42. Auf den Spuren von Zayn 1888

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"Next stop: Aldgate East. Mind the gap between the train and the platform." kam es aus den Lautsprechern und die Türen öffneten sich zischend. Zusammen mit einem Schwung Pendler wurden Louis und Harry aus dem Zug geschwemmt und gingen die Treppenstufen zur Oberfläche hinauf. "Wo werden wir schlafen?" fragte Harry, nachdem er sich mit seiner Reisetasche durch das Drehkreuz gezwängt hatte und nun neben Louis auf einer belebten Straße stand. "Ich habe eine kleine Ferienwohnung gefunden. Ich fand das irgendwie besser, als ein Hotelzimmer oder ein Hostel zu buchen." sagte Louis und lies den Blick über die Kreuzung streifen: "Wow, also hier hat es sich ja wirklich ziemlich viel verändert. Das letzte Mal, als ich in diesem Stadtteil war gab es noch nicht mal elektrische Straßenbeleuchtung." - "Welcher Stadtteil ist das denn?" erkundigte sich Harry und als Louis sagte: "Whitechapel." ging Harry ein Licht auf: "Oh. Das war der Stadtteil in dem Zayn diese ganzen Frauen...." - "Pssst nicht so laut, das muss ja jetzt nicht jeder mitbekommen. Sonst ist der ganze Mythos um Jack the Ripper im Eimer." flüsterte Louis, grinste aber dabei.

Die Ferienwohnung befand sich in der Commercial Street in Sichtweite der Haltestelle. Den Schlüssel erhielten sie im Kiosk, der sich direkt unter der Wohnung befand. Sie stiegen die schmale Treppe hinauf in den zweiten Stock, wo Louis die Tür öffnete und sie in ihre Bleibe traten. Die Wohnung war winzig, bestand aus einem Schlafzimmer und einer kleinen Küche, sowie einem winzigen Badezimmer, doch für zwei Nächte würde es ausreichen. Alles war ein wenig abgenutzt, aber sauber. Louis lies seine Tasche aufs Bett fallen und sah sich um, wärend Harry an das schmale Fenster herantrat und hinunter auf die Straße blickte, auf der reger Verkehr herrschte. "Hier hat Zayn also sein Unwesen getrieben..." murmelte er und strich mit einem Finger über das staubige Glas, dann wandte er sich zu Louis um: "Was hast du damals gemacht?" fragte er und Louis sah ihn ausdruckslos an, also wollte er ihm nicht sagen, was er unternommen hatte, wärend Zayn wie eine Bestie durch den Stadtteil gewütet war. "Ich hab meistens im Pub 'Ten Bells' gesessen und mir die Zeit vertrieben. Wir hatten zu der Zeit beide keinen großen Antrieb, etwas zu tun. Es war eine ziemlich trostlose Zeit. Viel Arbeitslosigkeit, Überbevölkerung und Elend. Meistens saß ich im Pub und habe mir die Menschen angesehen. Ja, ich will nicht verleugnen, dass ich zu der Zeit auch noch Menschen überfallen habe, aber ich habe sie nie getötet. Im Pub fand ich immer Jemanden, der sich als Opfer gut anbot: meistens waren sie schon betrunken und orientierungslos, sodass ich ihnen anbieten konnte, sie nach Hause zu bringen. Naja und dann habe ich sie meistens überfallen." Louis senkte den Blick, als Harry ihn entgeistert anstarrte – so offen hatte Louis noch nie von seiner Vergangenheit erzählt und Harry war zugegebenermaßen ziemlich geschockt von dieser rücksichtslosen Vorgehensweise zu hören. "Und wo habt ihr gelebt?" fragte Harry, die Hand immernoch gegen das Glas gedrückt. "Hier in der Nähe. Ich kann es dir zeigen. Komm." sagte Louis, griff Harrys Hand und zog ihn an sich heran. Er legte die Arme um ihn und sah ihm ernst in die Augen: "Harry, verurteile mich bitte nicht danach, was ich 1888 getan habe. Ich war noch unerfahren und damals gab es für uns keine andere Möglichkeit uns zu ernähren. Wir mussten es tun. Aber heute bin ich anders und ich schäme mich für das, was ich in meiner Vergangenheit getan habe...bitte hab kein schlechtes Bild von mir." sagte er und klang dabei so bittend, dass Harry nicht anders konnte, als seinen Freund anzulächeln und ihm einen sanften Kuss zu geben. "Tu ich nicht. Ich weiß nicht, was ich getan hätte...komm jetzt zeig mir eure alte Wohnung." sagte er, legte den Arm um Louis Taille und zusammen gingen sie wieder hinunter auf die Straße.

Whitechapel war ein multikultureller Stadtteil mit vielen Handyläden, Indischen Restaurants, Asiatischen Lebensmittelgeschäften und einer Menge Pubs. Sie gingen an schäbig aussehenden Häuserfronten vorbei und kamen an einer weißen Kapelle heraus, die ihren Glockenturm in den Himmel reckte, dabei die umstehenden Häuser allerdings kaum überragte. In einem Eckhaus befand sich ein kleiner Pub: schwarze Markisen waren ausgefahren worden, auf denen in verblassten, goldenen Lettern "The Ten Bells" stand. Auch über der Tür war der Name aufgedruckt, allerdings war das Holz schon ziemlich verkrazt und abgenutzt. Andächtig blieb Louis davor stehen und sein Blick wurde ganz melancholisch. Seine blauen Augen huschten über die Doppeltür am Eingang, über die Fenster und hinein in den Schankraum, wo die Stühle dicht an dicht standen. "Es hat sich fast nichts verändert. Sogar die Bar steht noch an derselben Stelle." hauchte er und lächelte mild. Harry sah auf die schmale Steinstufe, über die man in den Pub gelangte und er musste unwillkürlich daran denken, dass Louis vor 122 Jahren bereits über diese Türschwelle getreten war. Louis schien dasselbe zu denken, denn er zuckte zusammen, als Harry seine Hand vorsichtig berührte: "Willst du mal reingehen?" fragte er, doch Louis schüttelte rasch den Kopf: "Nein, du bist erst 16, du müsstest sonst draußen warten und ich lasse dich hier nicht allein auf der Straße stehen. Komm wir gehen weiter. Unsere alte Wohnung liegt nur wenige Meter weit entfernt." Der Punk bog in die Fournier Street ab, die zwischen dem Pub und der Kirche hindurchführte und blieb irgendwann vor einem Backsteinhaus auf der rechten Seite stehen. Das Haus war nicht unauffällig, denn die Fensterrahmen waren hellblau gestrichen worden. "Hm, also vor 122 Jahren waren die Fenster noch schwarz, aber gut. Wenn ihnen babyblau besser gefällt..." stellte Louis fest und schüttelte ein wenig ungläubig den Kopf, dann deutete er auf das Fenster direkt über der Eingangstür: "Das war unser Zimmer. Zwei Jahre haben wir hier gelebt." - "Ihr hattet nur ein Zimmer?" fragte Harry und folgte Louis Blick zu dem Fenster hinauf. Das Haus hatte viele Fenster, demnach mussten die Räume dahinter wirklich schmal gewesen sein. "Ja, das war damals ganz normal. Wir hatten ein Zimmer mit einer Waschschüssel und die Toilette war hinten im Hof. Im Vergleich zu heute ist das natürlich unzumutbar, aber damals war das völlig okay." Einen Moment blieben sie vor dem Haus stehen, denn Harry spürte, dass Louis sich gedanklich gerade in der Vergangenheit befand und wollte ihn nicht stören. Irgendwann löste sich der Punk allerdings aus seiner Starre und sagte: "Soll ich dir die Tatorte vom Ripper mal zeigen? Das ist alles nicht weit von hier. Zayn hat sich einen Umkreis von etwa 1 Meile ausgesucht, um seine Opfer zu töten. Meistens hat er sie im Pub aufgegabelt, da haben sich die armen Frauen nämlich abends betrunken und Zayn konnte sich mit ihnen als Freier getarnt davonmachen. Sie waren alle Prostituierte." - "Ja, das hab ich mal gelesen." sagte Harry. Tatsächlich hatte er vor einigen Jahren in der Schule einmal ein Referat über Jack the Ripper gehalten und kannte sich deswegen in diesem Fall ganz gut aus – zumindest wusste er, wie die Tatorte damals ausgesehen hatten und wie die Frauen hießen, die damals getötet worden waren.

Sie gingen etwa 15 Minuten durch die Straßen, bis Louis irgendwann an einer hellen Backsteinmauer stehenblieb und mit der flachen Hand gegen die Steine klopfte: "Durward Street. Früher hieß sie Bucks Row. Hier hat Zayn das erste Mal zugeschlagen. Und, weißt du noch wann das war und wie das Opfer hieß?" fragte Louis und sah Harry interessiert an, als wollte er ihn testen. Doch der Lockenkopf hatte sein Referat noch im Kopf und antwortete sicher: "Das war am 31.August 1888 und das Opfer war Mary Ann Nichols." - "Richtig, Mr Styles." sagte Louis, wie ein Oberlehrer und drückte Harry einen Kuss auf die Lippen. "Das bekommst du jetzt immer, wenn du eine Antwort richtig hast. Los, weiter zum nächsten Tatort."

"Adresse?" - "29 Hanbury Street." - "Richtig und der Tatort war, wo?" - "Im Hinterhof. Und das Opfer hieß Annie Chapman. 8.September 1888." antwortete Harry, als sie vor einem leerstehenden Ladengeschäft in einer schmalen Straße standen, in der eine Menge Müll herumlag un Graffiti an die Wände gesprüht war. "Da hat er sich schon ziemlich ekelhafte Orte ausgesucht..." meinte Harry und sah sich um. Natürlich musste diese Straße früher noch viel schlimmer ausgesehen haben, doch er fand sie jetzt schon ziemlich unheimlich und heruntergekommen. Louis zuckte mit den Schultern und meinte nur: "Naja, er musste ja sicherstellen, dass er seine Ruhe hatte." Harry erinnerte sich plötzlich daran, dass die Morde ziemlich brutal gewesen waren und fragte: "Wieso hat Zayn die Frauen eigentlich so brutal getötet und nicht einfach nur gebissen?" Louis seufzte und sah ein wenig traurig aus: "Wenn ich das so genau wüsste. Ich denke, er hatte damals einfach eine Phase in der er denn Menschen gegenüber seine körperliche Überlegenheit beweisen wollte. Vielleicht war das ein verspäteter Anfall von pubertierender Rebellion."

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Wenn ihr Louis altes Haus bei Googel Street View suchen wollt: folgt einfach meiner Anleitung in der Geschichte, dann werdet ihr es finden und euch ansehen können ;-)
Ich bin auch ziemlich interessiert in Jack the Ripper, ich hoffe, ich habe euch nicht zu viele Infos reingepackt.

Liebe Grüße

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