27.Romeo und Julia

6K 633 40
                                    

Zayn verlor an diesem Nachmittag kein  Wort mehr über Pistolen oder Kugeln aus Holz. Stattdessen lies er sich  von Louis und Harry dazu überreden auf der Straße vor dem Haus ein wenig  Fußball zu spielen. Louis war verrückt nach diesem Sport und kickte den  Ball bereits im Treppenhaus von einer Zehenspitze auf die andere, weil  er es nicht abwarten konnte, bis sie endlich vor dem Haus standen.  Draußen vor dem Haus war zwischen einigen geparkten Autos genügend Platz  um ein wenig zu kicken. Zayn, der nicht sonderlich gut im Fußball war,  musste ins Tor, wärend Harry und Louis versuchten einander gegenseitig  den Ball abzunehmen und an Zayn vorbei zu bugsieren. Louis war  unglaublich flink und konnte so gut mit dem Ball umgehen, dass Harry  kaum eine Möglichkeit hatte, selbst ein Tor zu schießen. Dafür hatte  Zayn allerhand zu tun, denn Louis ballerte den Ball so oft an Zayn  vorbei, dass er kaum hinterher kam und irgendwann genervt die Arme vor  der Brust verschränkte: "Louis, sag mal; wieso brauchst du einen  Torwart? Eigentlich kannst du auch alleine spielen." meinte er und  schlenderte langsam in Richtung Haustür davon. Louis stoppte den Ball  mit den Zehenspitzen und sah ihm ein wenig enttäuscht nach. "Ach komm,  ist doch nicht so schlimm." versuchte Harry ihn aufzumuntern, kam zu  Louis hinüber und legte ihm den Arm um die Schulter. "Mir ist sowieso  kalt, komm wir gehen auch rein." schlug Harry vor. Louis beförderte den  Fußball mit einem gezielten Kick in seine Arme, dann gingen sie  gemeinsam in Richtung Haustür.
Im  Treppenhaus kam ihnen eine Frau entgegen, die ihnen einen bösen Blick  zuwarf, als sie Harry und Louis Arm in Arm die Treppe hinaufgehen sah.  Sie schüttelte unverständlich den Kopf und murmelte nur: "Dreckspack."  dann schob sie sich grob an den Beiden vorbei und drückte Harry gegen  das Metallgeländer. Irritiert warf der Lockenkopf Louis einen Blick zu  und hob fragend die Augenbrauen, doch der schüttelte nur den Kopf, zum  Zeichen, dass er es ihm gleich erklären würde, legte ihm die Hand auf  den Rücken und schob ihn ziemlich bestimmt in die Wohnung hinein. "Was  sollte das?" fragte Harry sofort, als die Tür hinter ihnen ins Schloss  gefallen war. Louis trat sich die Sneakers von den Füßen und seufzte:  "Das geht schon so, seit wir eingezogen sind. Die Leute im Haus mögen  uns nicht, weil wir nicht aussehen, wie man ihrer Meinung nach  auszusehen hat." Bei diesen Worten spielte er mit der Zunge an dem Ring  herum, der in seiner Unterlippe steckte. "Dabei haben wir hier Niemandem  etwas getan. Aber die Nachbarn regen sich ständig auf. Wenn Zayn zu  laut Musik hört, klopfen sie gegen unseren Fußboden und einmal hat sich  sogar Jemand beschwert, dass bei uns nachts um 3 Uhr noch das Licht  gebrannt hat. Dabei ist es ja nicht deren Problem, ob und wann wir ins  Bett gehen." grummelte er und ging über den Flur in sein Zimmer. Harry  folgte ihm und setzte sich dann auf die durchgelegene Matraze. Louis  kramte in einer Schublade und stellte einige Kerzen auf einen kleinen  Tisch, der neben dem Bett stand. Draußen war es ziemlich schnell dunkel  geworden und die Wolken, die Harry durch das kleine Fenster sehen  konnte, kündigten Regen an. Ein Zischen ertönte, als Louis eine Kerze  nach der anderen anzündete und so das Zimmer mit flackerndem, warmem  Licht erfüllte. "Jetzt riecht es, wie Weihnachten." stellte Harry fest,  als Louis das Streichholz ausgepustet hatte und sich zufrieden  zurücklehnte: "Mich erinnert das an meine Familie. In den Gassen  unterhalb der Stadt haben wir erst ziemlich spät elektrischen Strohm  gehabt und deswegen ziemlich lange mit Kerzenlicht gelebt. Wenn es  Draußen so ungemütlich ist, zünde ich oft einige Kerzen an und lese." -  "Was liest du denn?" fragte Harry und überlege, wie viele Bücher Louis  im Laufe der Jahre wohl schon gelesen hatte. Der Punk deutete auf ein  Regal hinter der Tür: "Sieh nach." sagte er schlicht und Harry erhob  sich, um zum Regal hinüber zu gehen.

Fein  säuberlich sortiert standen die Bücher da: schmale, kleine und große  Wälzer, alle nach Themen geordnet. Manche Bücher waren neu, anderen  wiederum sah man an, dass sie mindestens 80 Jahre alt, wenn nicht sogar  noch älter waren. Ein in grünes Leinen gebundenes Buch fiel Harry ins  Auge und er zog es heraus. Es war Shakespeares "Romeo und Julia" und es  war noch in alter Schrift gedruckt, die Harry kaum lesen konnte. Er  öffnete es und der Geruch von altem Papier ströhmte ihm entgegen, als er  durch die vergilbten Seiten blätterte, die eng bedruckt waren. "Und,  was hast du gefunden?" fragte Louis und Harry hielt das Buch hoch. "Oh,  einen ganz alten Schinken." stellte Louis fest und grinste. "Ich kann  die Schrift gar nicht lesen." sagte Harry und lies sich neben Louis  fallen, wobei er ihm das Buch auffordernd unter die Nase hielt: "Du  kannst es bestimmt. Willst du mir vorlesen?" - "Wenn du es hören  willst..." sagte Louis, nahm das Buch entgegen, wobei er dabei sanft  über Harrys Handrücken strich, stopfte sich ein Kissen unter den Rücken,  zog Harry in seinen Arm und fing an zu lesen:

" Eine Strasse in Verona.

Sampson  und Gregorio, zween Bediente der Capulets, treten mit Schwerdtern und  Schilden bewaffnet auf, und ermuntern einander sich tapfer gegen die  Montägues zu halten; ihre ganze Unterredung ist ein Gewebe von  Wortspielen, Doppelsinn und Zoten.

Abraham und Balthasar zu den Vorigen.

GREGORIO zu Sampson.
    Zieh vom Leder, hier kommen ein Paar von den Montägischen - -

SAMPSON.
    Meine Fuchtel ist heraus; fang nur Händel an, ich will dir den Weg weisen - -

GREGORIO.
    So? Willt du davon lauffen?

SAMPSON.
     Sey ohne Sorge, ich will stehen wie eine Mauer; aber es ist doch das  Sicherste, wenn wir das Gesez auf unsrer Seite haben; wir wollen sie  anfangen lassen.

GREGORIO.
    Ich will die Nase rümpfen, indem ich bey ihnen vorbeygehe; sie mögen's dann aufnehmen, wie sie es verstehen...."

Harry  konnte nicht anders, als Louis dafür zu bewundern: er las diese alten  Buchstaben, als sei es ein Leichtes und genauso leicht ging ihm diese  geschwollene Sprache über die Lippen, die aus seinem Mund auch  keineswegs fremdartig oder lächerlich klang. Sie schien genau für ihn  gemacht zu sein und Harry lauschte neugierig. Zwar kannte er die  Geschichte von dem unglücklichen Liebespaar und hatte sie selbst schon oft gelesen, doch aus Louis Mund klang sie noch besser. Der Regen prasselte mittlerweile gegen das  Fenster, wärend im Zimmer die Kerzen flackerten und Louis Stimme den  Raum mit Worten füllte und Bilder in die Luft malte. Geborgen und  entspannt lag Harry in Louis Arm und lauschte der Geschichte, die immer  dramatischer wurde. Als Louis bei der heimlichen Hochzeit von Romeo und  Julia angekommen war, legte Harry eine Hand auf das Buch und drückte es  auf Louis Bauch: "Liest du morgen weiter? Ich kann mich nicht mehr  konzentrieren. Die Sprache ist so anstrengend." seufzte er und streckte  sich, um von dem Punk einen Kuss zu bekommen. Louis Lippen streiften  seine ganz sanft und Harry schloss genüsslich die Augen. "Wenn ich so  eine Geschichte höre, dann würde ich gerne mal in der Zeit  zurückreisen." überlegte Harry laut und sah dabei abwesend in eine der  Kerzenflammen. Verwundert sah Louis zu ihm hinab, legte das Buch neben  sich auf den Boden und fuhr Harry durch die Locken: "Wieso das denn? Ich  glaube ich würde ungern in den Kampf zwischen Montagues und Capulets  hineingeraten wollen." - "Nein, das meine ich nicht...ich meine: es wäre  doch mal interessant Jemanden wie Shakespeare persönlich zu treffen.  Aber das geht ja leider nicht." Harry seufzte. Ja, William Shakespeare  hatte ihn schon immer interessiert und er hatte sich oft gefragt, wie Shakespeare wohl gewesen war.

Als  er noch in Holmes Chapel gelebt hatte und keine Freunde gehabt hatte,  mit denen er sich hätte beschäftigen können, war es Harrys liebster  Zeitvertreib gewesen, alte Geschichten auszugraben und  Verschwörungstheorien zu entschlüsseln. So rankten sich um William  Shakepeare einige Spekulationen; wie zum Beispiel der Verdacht, dass er  seine Werke gar nicht selbst geschrieben hatte und zu gerne hätte Harry  die Wahrheit herausgefunden.

Umzug mit FolgenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt