14.Louis' Geschichte

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"Ich bin in Edinburgh aufgewachsen. Geboren wurde ich 1850. Mein Vater war ein einfacher Arbeiter und meine  Mutter hat ein wenig Geld als Näherin verdient. Ich hatte drei  Schwestern, Lottie, Felicité und Phoebe. Es gab noch eine Schwester, sie  hieß Daisy und war Phoebes Zwillingsschwester, aber sie starb noch als  Baby. Meine Familie lebte in den Straßen, die ich dir gezeigt habe.  Damals waren sie schon überbaut und lagen unter der Erde, aber wir  konnten uns keine Wohung leisten, also blieben wir im Untergrund, wie  viele andere Familien auch. Ich tat mein Bestes, um der Familie  ebenfalls zu helfen und schlug mich mit Gelegenheitsjobs durch. Meine  Schwestern wurden früh verheiratet und als ich 18 Jahre alt war, 1868,  sollte auch ich auf eigenen Beinen stehen und mir eine kleine Wohnung  oder ein Zimmer suchen. Natürlich verdiente ich auch nicht genug Geld,  um in die Neustadt von Edinburgh zu ziehen und so durchstreifte ich  abends häufig die unterirdischen Gassen auf der Suche nach einem  leerstehenden Zimmer. An einem Abend war ich ziemlich weit in das Netz  aus Gassen und Straßen vorgedrungen und hatte mich verirrt. Dort, wo ich  mich befand, gab es keine Beleuchtung mehr und ich hatte nur noch einen  kleinen Kerzenstummel, mit dem ich mir den Weg durch die Gassen  leuchtete. Schon damals ging das Gerücht um, es würde in den verlassenen  Straßen spucken und tatsächlich fiel mich Jemand von hinten an. Was  dann genau passierte, kann ich heute leider nicht mehr genau sagen, ich  erinnere mich nur an einen unglaublichen Schmerz, dass ich dann  ohnmächtig wurde und als ich aufwachte, hatte ich einen metallischen  Geschmack im Mund. Ich ging davon aus, dass man mich überfallen und ich  mir selbst dabei auf die Lippe gebissen hatte.
Mir  war schummrig und ich fühlte mich unglaublich schwach, als ich mich vom  Boden aufrappelte, auf dem ich aufgewacht war. Ein Fieber schüttelte  meinen Körper und ich verkroch mich in einem leerstehenden Haus, wo ich  mich zusammenrollte und hoffte zu sterben – so schlecht fühlte ich mich.  Fast zwei Tage hatte ich in dem dunklen, feuchten Zimmer gelegen, bis  es mir langsam besser ging und ich genug Kraft hatte, mich wieder zu  bewegen. Meine Kehle war trocken und als ich an einem unterirdischen  Brunnen ankam, wollte ich einen Schluck trinken, doch das Wasser  schmeckte so bitter, dass ich mich beinahe übergeben musste. Ich war  völlig verwirrt – was war mit mir los? Ich dachte ich wäre nur krank,  aber die Sache mit dem Wasser passte nicht zu einer Erkrankung.

Irgendwie  kämpfte ich mich zurück zu meiner Familie und meine Mutter wollte mich  gesund pflegen, doch es gelang ihr nicht. In einer Nacht lag ich in dem  Zimmer in dem wir lebten, auf dem Bett und als eine Ratte vorbeihuschte,  überkam mich etwas, das ich bis heute nicht erklären kann – es war eine  Art Instinkt: ich packte die Ratte und biss hinein. Als ich das Blut  schmeckte, fühlte ich mich plötzlich gestärkt und es ging mir viel  besser, allerdings überkam mich ein Ekel vor mir selbst und ich erkannte  sofort, was aus mir geworden war. Weil ich meine Familie nicht  umbringen wollte, stahl ich mich noch in derselben Nacht davon. Es war  mir lieber, wenn sie dachten, ich sei weggelaufen, oder tot, als wenn  ich sie womöglich auf dem Gewissen hatte.
Ich habe sie nie wieder gesehen.

Nach  einigen Wochen hatte ich gelernt, mit meinem neuen Körper, den neuen  Sinnen und dem unglaublichen Durst umzugehen. Ich hatte gelernt, dass  ich nicht so häufig Nahrung zu mir nehmen musste, wie die Menschen.  Einmal in der Woche zwei Ratten zu trinken genügte mir. Durch Zufall  entdeckte ich, dass mir Sonnenlicht nichts anhaben konnte, obwohl ich  lange davon ausgegangen war, dass es mir schaden würde, denn zu dieser  Zeit waren Vampirgeschichten gerade sehr angesagt und häufig wurde in  den Tageszeitungen in Kurzgeschichten über die Kreaturen der Nacht  geschrieben. Natürlich hatte auch ich diese Geschichten ab und zu  gelesen und wusste daher ein bisschen etwas über Vampire.

Zayn  traf ich einige Jahre später. Ebenfalls im Untergrund. Er war schon  länger ein Vampir und kannte sich noch besser aus, als ich. Während ich  versuchte, mich von Ratten zu ernähren, gab Zayn sich seinen Instinkten  hin und tötete, wann er es brauchte – und wen er brauchte. Wir  freundeten uns an und wurden Gefährten, denn ich kannte nur ihn und er  kannte nur mich...naja und so haben wir die Jahre verbracht.

Zayns  Angriffe wurden als Morde ausgelegt. Vielleicht hast du schonmal von  Jack the Ripper gehört? Er war der berüchtigste Serienkiller aus London  1888 – hat 5 Frauen innerhalb von 4 Monaten getötet – alle auf brutalste  Weise. Naja: die Morde hat Zayn begangen. Wir sind danach aus London  weg und er hat eine Weile Ruhe gegeben. Es war auch das letzte Mal, dass  er einen Menschen getötet hat. Ich konnte ihn davon überzeugen, dass  wir von Tieren leben oder uns in Krankenhäusern mit Blutkonserven  eindecken konnten."

Harry hatte ihm lange zugehört und hob jetzt den  Kopf. Während Louis gesprochen hatte, hatten seine Worte einen Film vor  seinem geistigen Auge vorbeiziehen lassen und erst jetzt war er sich  bewusst, dass er auf seinem Bett in seinem Zimmer saß. "War das das  'Altglas' in dem Beutel mit dem ich dich gesehen habe?", fragte Harry  leise und Louis nickte rasch: "Ja. Und das ist auch der Grund weswegen  Zayn und ich immer diese Thermoskannen mit uns herumtragen. Wir haben  einen Mann im Krankenhaus, der uns mit Blutkonserven  versorgt, wenn sie nicht mehr für Transfusionen benutzt werden können.  Dieser Mann – sein Name ist Sam – verkauft sie an uns weiter.  So ernähren wir uns....naja zumindest ich tue das. Zayn hat schon seit  Ewigkeiten nichts mehr zu sich genommen. Er ist sein Dasein satt und  hofft, vielleicht zu verhungern...aber ich glaube nicht, dass das so  funktioniert."

"Hast du nie einen Menschen gebissen?", fragte Harry  leise und sah Louis skeptisch an. Der Punkt fuhr sich durch die Haare  und schüttelte den Kopf: "Ich habe einmal Jemanden gebissen...er  war mein Freund und wusste von meinem Geheimnis, genau wie du jetzt  auch. Er hatte mir angeboten, dass ich sein Blut trinken kann, wenn ich  es benötige. Du musst wissen, dass man nur verwandelt wird, wenn das  Opfer auch das Blut des Vampirs trinkt, der ihn gebissen hat. Geschieht  das nicht, ist der Gebissene nur etwas geschwächt, bleibt aber ein  Mensch. Leider ist es mir eine Nacht nicht gelungen aufzuhören. Ich war  so hungrigt, dass ich ihn bis auf den letzten Tropfen geleert habe  und...." Louis Stimme brach und er wischte sich über die Augen bevor er  weitersprach: "...Thomas ist dann gestorben...Ich habe ihn geliebt und  ich habe ihn getötet....es tut mir immernoch so Leid und deswegen habe  ich mir geschworen, NIE WIEDER einen Menschen zu beißen. Naja, das war  eigentlich auch schon alles, was ich dir erzählen konnte. Also, wenn du  mich jetzt verurteilen und verlassen willst, dann kannst du das tun,  aber glaub mir, dass ich dir nichts tun wollte. Ich habe mich wirklich  in dich verliebt...du hast eine unglaubliche Anziehungskraft auf mich  ausgeübt und deswegen wollte ich auch nicht, dass du erfährst, was ich  wirklich bin, denn dann hättest du vielleicht nie mit mir gesprochen."

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