38. Fünf Ampullen

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Er ging im unruhig auf und ab und konnte aus dem Schlafzimmer nichts außer einem unterdrückten Fluchen und einem Rumpeln hören. Vermutlich hatte Zayn Louis gerade gegen die Wand gedrückt, um ihn zur Vernunft zu bringen. "Lass mich los! Ich werde meinen Harry nicht anrühren. Voher falle ich einen Fußgänger oder einen Obdachlosen an!" hörte er Louis schreien und es zerriss ihm beinahe das Herz: klar, Louis wollte ihm nichts tun, und dass er lieber einen fremden Menschen beißen würde, ehrte Harry sehr. Aber er spürte auch, dass Louis nicht mehr ganz zurechnungsfähig schien und das tat ihm sehr leid. Es rumpelte nocheinmal, dann kam Zayn aus dem Zimmer, schlug die Tür hinter sich zu und atmete frustriert aus. Er begegnete Harrys Blick und sagte: "So ein Dickschädel. Aber ich habe eine Idee. Komm mal mit in mein Zimmer, bitte." sagte er und Harry folgte ihm. Als er den Raum betrat kramte Zayn gerade in einem Karton herum und zog eine steril verpackte Spritze und eine Nadel heraus. Harry schluckte: was hatte Zayn jetzt vor? Der Dunkelhaarige wandte sich ihm mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck zu und hielt die Utensilien hoch: "Hast du was gegen Blutspenden? Louis sagt, er will dich nicht beißen, dann nehmen wir dir Blut ab und geben es ihm so. Ist das eine Option für dich?" Harry zuckte mit den Schultern: wenn er ehrlich war, war ihm ein Pieks mit einer Nadel auch lieber, als zwei Schnitte von Louis Zähnen. "Gut, dann setz' dich bitte." Er wies auf einen Holzstuhl und Harry nahm Platz, krempelte seinen Ärmel hoch und sah Zayn dabei zu, wie er sich Handschuhe überzog, Harrys Arm abband, die Haut fachmännisch desinfizierte und ihm dann 5 Kanülen Blut abnahm. Seine Handgriffe wirkten so geübt, dass Harry sich zwangsläufig die Frage stellen musste, wie oft der Vampir das schon gemacht hatte. "Gut, das wars. Hier drück das auf deinen Arm. Ich geh mal zu unserem wilden Raubtier....oder willst du es ihm geben?" Zayn hielt die Ampullen mit einem schiefen Grinsen hoch, in denen Harrys Blut dunkelrot schimmerte. "Ich würde es ihm gerne geben, wenn das okay ist." sagte der Lockenkopf, schob sich den Ärmel wieder herunter und nahm von Zayn die Ampullen entgegen. "Okay, aber dann lass mich zuerst ins Zimmer gehen, falls Louis dich anspringt. Er ist grade wirklich nicht ganz klar im Kopf."

Vorsichtig klopfte Zayn an die Zimmertür und von Drinnen kam ein Brummeln. "Darf ich reinkommen?" - "Hmpf..." - "Danke, sehr freundlich." sagte Zayn und betrat das Zimmer, dann winkte er Harry herein. Louis saß wieder auf seinem Bett, hatte die Beine an die Brust gezogen und wiegte sich langsam vor und zurück, als müsste er sich selbst beruhigen. Harry ging vor Louis in die Hocke und hielt ihm die Ampullen hin. Der Vampir schien einen Moment zu brauchen, um zu verstehen, was Harry ihm da gerade zeigte, dann sah er ihn unverwandt an: "Was ist das?" fragte er und seine Stimme war kratziger als sonst. "Zayn hat mir Blut abgenommen, dann musst du mich nicht beißen....und es ist weniger gefährlich." sagte Harry unsicher und reichte Louis die Ampullen. Mit zitternden Händen nahm er sie entgegen und schraubte einen Deckel auf, setzte sie an die Lippen und nahm einen kleinen Schluck, den er so genüsslich herunterschluckte, wie ein Weinverkoster. Seufzend öffnete er die Augen wieder und sah Harry dankbar an: "Du schmeckst so gut...danke, Curly...." - "Bedanke dich bei Zayn, der hatte die Idee." sagte Harry und deutete auf Zayn, der wachsam neben ihnen stand und Louis nicht aus den Augen lies, bis er sicher war, dass sein Kumpel wieder soweit klar im Kopf war, um ihn mit Harry allein lassen zu können.

"Geht es dir besser?" fragte Harry und sah Louis von der Seite unsicher an, nachdem er drei der fünf Ampullen geleert hatte. "Ja, danke. Du kannst dir nicht vorstellen, wie schlimm das ist..." - "Doch. Menschen haben auch Hunger, hast du das schon vergessen?" Harry kicherte und wuschelte Louis durch die Haare. "Ich bin froh, dass es dir wieder besser geht." flüsterte er und drückte seinem Freund einen Kuss auf die Wange. "Danke fürs Spenden." murmelte Louis und erwiderte den Kuss dann liebevoll, bis Harry gähnte. "Ich bin müde. Zayn hat mich heute geweckt. Kann ich hier noch ein bisschen schlafen?" fragte er und als Louis nickte, schlüpfte er aus seiner Jeans und kuschelte sich unter Louis Bettdecke, wo er fast sofort einschlief.

Er wurde gegen 12 Uhr Mittags wieder wach, weil Louis neben ihm am Computer herumtippte und das Geräusch der Tasten so laut war. "Was machst du denn?" murmelte er verschlafen und hob den Kopf, doch Louis drehte den Bildschirm schnell so, dass er nichts erkennen konnte. "Das wird eine Überraschung." sagte er und klappte das Gerät zu. "Oh, wofür denn?" - "Dafür, dass du mir Blut gespendet hast und, dass du für mich da bist, mein Freund bist und keine Angst davor hast, mit einem Vampir zusammen zu sein." zählte Louis an den Fingern auf und stupste Harry liebevoll gegen die Nasenspitze, dann stand er auf und legte den Computer beiseite. "Wir brauchen aber noch das Okay deiner Eltern, schließlich bist du minderjährig und ich muss die Verantwortung für dich übernehmen." - "Meine Eltern arbeiten gerade. Die haben erst heute Nachmittag Feierabend, das dauert noch ein bisschen..." gähnte Harry und setzte sich noch ein wenig schlaftrunken auf. "Gut, dann gehen wir erst später zu deinen Eltern." sagte Louis bestimmt und klappte den PC wieder auf. "Ich plane dann mal deine Überraschung zu Ende...." - "Gut, dann geh ich Duschen." sagte Harry, stand auf und tappte ins Badezimmer, wo er in Zayn hineinstolperte, der vor dem Spiegel stand und sein Spiegelbild betrachtete. "Oh, sorry. Bist du noch lange hier drin?" fragte Harry und wollte schon wieder hinausgehen, als Zayn den Kopf schüttelte und nach einem Revolver griff, der auf dem Waschbecken lag. Harry erschrak und schluckte, als er die Waffe sah, doch Zayn beruhigte ihn, indem er sagte: "Keine Angst, der ist nicht geladen. Ich habe auch gar keine Patronen dafür...." - "...außer der einen aus Holz...." beendete Harry den Satz und sah Zayn traurig an. Irgendwie hatte er sich in den letzten Tagen sehr an seine Anwesenheit gewöhnt, dass er wirklich traurig darüber war, dass der Vampir seinem Leben bald ein Ende setzen wollte. Er war ihm dankbar dafür, was er getan hatte und er würde ihm fehlen, denn er nicht mehr da war. "Willst du...willst du es dir nicht nocheinmal überlegen? Ich meine: das Leben ist doch so schön und ich bin sicher, dass du wieder Jemanden findest, der dich liebt und den du lieben kannst..." Seine Worte schienen Zayn zu schmeicheln und er lächelte mild, trat an Harry heran und legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Danke, dass du das sagst, das bedeutet mir wirklich viel...aber glaub mir, wenn ich dir sage, dass ich es wirklich lange versucht habe...und nach 142 Jahren hat man einfach die Nase voll. Du verstehst das nicht, du bist ja wirklich erst 16 Jahre alt, aber ich habe mein Leben gelebt und hätte gerne einfach meine Ruhe. Aber tu mir den Gefallen und pass auf Louis auf, wenn ich nicht mehr da bin. Der Chaot braucht manchmal jemanden, der ihm in den Arsch tritt und ihn ein bisschen zurechtweist...." Zayn schmunzelte und fügte dann noch hinzu: "....und ich glaube, du bist dafür sehr gut geeignet, Harry. Und jetzt mache ich für dich mal das Bad frei." Er klopfte ihm ein letztes Mal auf die Schulter, verließ dann den Raum und schloss die Tür hinter sich. Harry starrte einen Moment auf die Klinke und biss sich auf die Lippe: er wollte nicht, dass Zayn seine Entscheidung wirklich durchzog, denn obwohl er anfangs wirklich grob zu ihm gewesen war, hatte er sich doch als zuverlässiger und treuer Mensch herausgestellt, den Harry sehr zu schätzen gelernt hatte.

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