48. Silber im Körper

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Harry saß zusammengekauert in der Dunkelheit und ein ungutes Gefühl beschlich ihn. William hatte ihn absichtlich eingesperrt. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Was, wenn er zurückkam? Würde er ihm etwas tun, oder sollte Harry als Geisel herhalten, weil er eigentlich an Louis herankommen wollte? Wer und wie war William Shakespeare wirklich? Offenbar war er nicht derjenige, der er vorgab zu sein, sonst hätte er Harry nicht so hinterlistig in diesen Raum geführt und eingeschlossen. Harry stand auf, tastete sich an der Wand entlang auf der Suche nach einem Lichtschalter, doch es gab keinen – vermutlich war er draußen auf dem Flur an der Wand angebracht. Als er an der Tür vorbeikam, hämmerte Harry mit den Fäusten dagegen und schrie laut nach Hilfe, doch das Theater musste in der Zwischenzeit leer sein und sicherlich würde ihn niemand hören. Wo war Louis überhaupt? Das Büro von William war nicht weit entfernt: so lange konnte er doch nicht brauchen, um einige Vorräte einzupacken. Oder hatte der Vampir ihn vielleicht auch irgendwo eingeschlossen? Harrys Gedanken rasten, genau wie sein Herz. Er musste irgendwie hier rauskommen. Mehrmals rüttelte er panisch an der Tür und warf sich mit der Schulter dagegen. Sie gab ein wenig nach, doch er war nicht kräftig genug, um sie aus den Angeln treten zu können. Vielleicht klappte es besser, wenn er ein paar Schrite Anlauf nahm, dachte Harry und gerade als er seine Idee in die Tat umsetzte, öffnete sich die Tür und er stolperte genau in Williams Arme. "Nana, hast du gerade vorgehabt, meine Tür einzutreten?" fragte er, legte den Kopf schief und hielt Harry an den Schultern fest. "Wieso haben Sie mich eingesperrt?" fragte Harry angriffslustig und versuchte sich zu befreien, doch natürlich war der Vampir viel zu stark für ihn. "Ich musste ersteinmal Louis loswerden und bis dahin durftest du mir nicht entkommen." sagte er und klang dabei plötzlich gar nicht mehr so nett, wie noch vor wenigen Minuten. "Was haben Sie mit ihm gemacht?" - "Ich? Ich habe gar nichts mit ihm gemacht. Meine Mitarbeiterin hat ihn zufällig vor die Tür gesetzt, weil sie dachte, er würde sich unerlaubterweise noch hier aufhalten. Er wird also nicht mehr hereinkommen und wir zwei haben alle Zeit der Welt." William verstärkte seinen Griff und schob Harry weiter ins Zimmer hinein, der sich einfach nicht wehren konnte: "Und was wollen Sie von mir?" fragte er und versuchte nicht zu stolpern. "Du weißt mein Geheimnis und schienst darüber nicht erfreut zu sein....glaubst du wirklich ich lasse es zu, dass du weiter Draußen herumläufst und womöglich einen Weg findest, mich zu enttarnen? Nein nein, das kommt gar nicht in Frage, Bürschchen." William war Harry nun so nahe, dass er seinen Atem auf der Haut spüren konnte, als er ihn hochhob und mit einer Leichtigkeit gegen die Wand drückte. "Außerdem," fuhr er fort, wärend Harry strampelnd versuchte, sich zu befreien, "habe ich schon so lange kein frisches Blut mehr zu Trinken bekommen. Diese Konserven aus der Blutbank schmecken einfach schal und abgestanden. Du, mit deinen jungen Jahren, kommst mir da genau richtig. Irgendwie ist deine unschuldige Art ziemlich anziehend und mal ganz unter uns: einen solch jungen Kerl habe ich auch noch nie gebissen. Du musst wissen Harry; das Beißen ist ein bisschen wie Sex...es berauscht einem die Sinne und betört den ganzen Köper...und du, mit deinen grünen Augen und den dunklen Haaren bist ein wunderbares Opfer für mich." schnurrte er, lies ihn herunter, packte Harrys Arm und drehte ihn auf seinen Rücken, sodass er vornübergebeugt dastehen musste, um ihn sich nicht auszukugeln. Harry keuchte vor Schmerz und Tränen stiegen ihm in die Augen. Wenn Louis wirklich draußen vor dem Theater stand, dann half es auch nichts, wenn er jetzt nach ihm rief. Wobei Louis gute Ohren hatte und der Innenhof nicht überdacht war. Vielleicht hörte er ihn sogar. "Louis! Hilfe!" schrie Harry aus vollem Hals und spürte sogleich einen stechenden Schmerz im Arm. William hatte ihm tatsächlich mit einem kurzen Ruck die Schulter ausgekugelt! Schreiend vor Schmerzen fiel Harry auf die Knie und gab es auf, sich aus dem Griff von William zu befreien, denn das würde nur noch mehr Schmerz bedeuten.

Louis POV:
Wie erstarrt stand Louis vor dem Theater auf dem kleinen Vorplatz. Das war Harrys Schrei gewesen - dessen war er sich sicher. Und so, wie er geklungen hatte, war er in Schwierigkeiten. Hektisch sah er sich um: irgendwie musste es einen Weg in das Theater geben. Louis sah sich das Gebäude genauer an: wenn er auf das Vordach des Eingangs kletterte, könnte er von dort aus, an den Fenstersims im zweiten Stock springen und sich dann auf das Dach schwingen. Ja, das müsste gehen. Eine andere Möglichkeit gab es für ihn nicht. Louis warf seinen Rucksack ins Gebüsch, nahm Anlauf und sprang mit einem Satz auf das Vordach. Als Vampir verfügte er glücklicherweise über einen hervorragenden Gleichgewichtssinn und so gelangen ihm alle Sprünge, die er geplant hatte. Leichtfüßig landete er auf dem mit Reet gedeckten Dach, das vom Regen des Vormittags ein wenig rutschig war, legte sich auf den Bauch, kroch bis an den Rand und sah hinunter in den Innenhof des Theaters: die großen Lichter war ausgeschaltet worden und er Innenhof nur noch spärlich beleuchtet. Louis kauerte sich hin und beobachtete, ob sich dort unten etwas regte. "Komm mit..." konnte er William hören, der jetzt auf der Bühne auftauchte und Harry hinter sich herschleifte. Louis Augen weiteten sich, als er sah, dass Harrys Arm ganz seltsam abstand – er war verletzt!
"Louis hat dich nicht gehört. Sicherlich ist er schon gegangen und wartet irgendwo auf dich...dumm nur, dass du nich mehr nach Hause kommen wirst..." hörte er William sagen und kniff vor Wut die Lippen fest aufeinander. "Sie sind ein richtiger Sadist. Ihnen macht es Spaß, anderen weh zu tun, oder?" presste Harry hervor und setzte noch nach: "Kein Wunder, dass Romeo und Julia von Marlowe geschrieben werden musste. Für so viel Gefühl sind Sie gar nicht fähig!" Wie mutig Harry doch war. Sogar jetzt, wo er scheinbar mit einem ausgewachsenen und kräftigen Vampir allein war, brachte er es noch fertig, diesem eine Beleidigung an den Kopf zu werfen.

William bückte sich, packte Harry an den Schultern, der aufschrie und warf ihn im hohen Bogen von der Bühne. Wie eine Puppe, flog der Lockenkopf durch die Luft und landete hart und mit einem dumpfen Geräusch auf dem festgetretenen Boden. Er regte sich kaum noch, nur ein leises Ächzen entwich ihm und nun war es mit Louis Beherrschung vorbei. Niemand tat seinem Freund so weh, auch nicht William Shakespeare persönlich.
Mit einem lauten Schrei sprang er vom Dach, fiel über 10 Meter in die Tiefe und landete auf beiden Beinen genau hinter William, der sich erschrocken umdrehte. "Ich hab Harry sehr wohl gehört." sagte Louis und griff sofort an, bevor der Vampir erkennen konnte, was passierte. Leider hatte Louis vergessen, wie alt der Vampir war, mit dem er sich anlegte und so bekam er ihn kaum zu packen. William war so schnell, als würde Louis sich für ihn in Zeitlupe bewegen. Er wich jedem seiner Angriffe mit Leichtigkeit aus und lachte dabei höhnisch. "Du bist zu langsam für mich Louis...gib auf." - "Niemals!" rief Louis, bekam überraschenderweise Williams Arm zu fassen und biss hinein. Sofort griff ihm eine Hand ins Haar, zog seinen Kopf grob zurück und nun war er es, der einen heftigen Biss in die Schulter abbekam. Er spürte den Schmerz kaum und die Reißzähne des Mannes hinterließen auch keine Spuren auf seinem Körper, doch William hob Louis hoch und wirbelte ihn durch die Luft, genau wie Harry. Louis bekam jedoch einen Balken der Überdachung der Bühne zu packen, hielt sich daran fest und verpasste William einen Tritt, sodass er von der Bühne geschleudert wurde.
Er wollte diesen Vampir vernichten, weil er Harry wehgetan hatte. Allerdings wusste Louis nicht wie er das anstellen sollte. Er hatte ja keinen Holzpflock zur Hand. Noch wärend der Vampir sich vom Boden aufrappelte, sprang Louis ihm leichtfüßig nach und hatte ihn fast erreicht, da drehte der sich blitzartig um und rammte ihm einen silbernen Dolch in die Brust, den er aus seinem Gürtel gezogen hatte.

Das Silber wirkte wie eine Narkose.

Louis erstarrte, ächzte dann und fiel auf den mit Sägespähnen ausgestreuten Boden. Unfähig, sich zu bewegen, blieb er liegen.

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