5.Harrys Beobachtung

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Die Tage vergingen und Harry lebte sich immer besser ein.

Die Lehrer kannten bald seinen Namen und auch ohne Liam und Niall fand er den Weg zu den Klassenzimmern selbstständig.

An einem Dienstagnachmittag hatte er Werkunterricht. Hierzu wurden die Klassen geteilt, da es ansonsten zu viele Schüler gewesen wären und so kam es, dass Niall und Liam zum ersten Mal nicht zusammen mit Harry in einer Klasse waren. Heute würden sie ein neues Thema beginnen, nämlich das Entwerfen und Schleifen eines Schlüsselanhängers aus Holz. Keine sonderlich schwere Sache, aber es erforderte Fingerspitzengefühl.

Harry hatte seinen Entwurf schnell fertig und bekam von dem Lehrer Mr. Logan seine Materialien ausgehändigt. Zwei Stunden lang feilte er das Stück Holz in Form, was ziemlich anstrengend war. Der Raum war alsbald erfüllt vom Schabgeräusch der Feilen, als Harrys Blick aus dem Fenster fiel und er hinter den Sträuchern, die das Schulgelände eingrenzten zwei Gestalten erkennen konnte. Eine Gestalt identifizierte er sofort als Louis, denn er erkannte die spitze Kapuze seiner Jacke, die er immer trug.
Die Andere kannte er nicht: es war ein hochgewachsener, schmaler Mann, mit dunklem, schulterlangem Haar und einer Sonnenbrille auf der Nase, die völlig unnötig war, denn es war bewölkt und regnerisch. Der Mann reichte Louis einen kleinen Beutel und nahm im Gegenzug von ihm einen Geldschein entgegen.

Harry machte große Augen. Wurde er gerade Zeuge einer illegalen Geschäftsabwicklung? Bevor er noch weiter darüber nachdenken konnte, rutschte er mit der Feile ab, die er noch immer in der Hand hielt und die grobe Oberfläche schabte ihm über die Fingerknöchel. Er fluchte und biss die Zähne zusammen, doch das Klappern der herunterfallenden Metallfeile hatte Mr Logan alarmiert, der sofort zu ihm kam. "Jungs, ich sage immerwieder, dass ihr euch bei der Arbeit konzentrieren müsst, sonst passiert sowas. Ab zur Schulkrankenschwester mit dir", sagte er, gab Harry ein Papiertuch, dass er sich auf die verletzte, blutende Hand drückte und schickte ihn aus dem Zimmer.

Er hatte keine Ahnung, wo die Schulkrankenschwester ihren Raum hatte und so beschloss Harry, ersteinmal ins Sekretariat zu gehen, um dort nachzufragen.

Außer ihm war Niemand auf dem Korridor, denn überall war Unterricht. Als er am Klo der Jungen vorbeikam, trat ein anderer Junge heraus, so plötzlich und unerwartet, dass sie zusammenprallten. "Oh, entschuldige, ich hab dich nicht gesehen", sagte Harry rasch und sah auf. Dunkelblaue Augen mit riesigen Pupillen starrten ihn an. Es war Louis und seinen Augen zu urteilen musste er gerade voll drauf sein.

Niemand, der clean war, hatte sonst solche Pupillen.

"Kein Problem, ich habe ja auch nicht richtig aufgepasst", sagte Louis und trat einen Schritt von Harry zurück, der ihn immernoch wie hypnotisiert anstarrte. Von Nahem sah Louis wirklich ziemlich unheimlich und ungesund aus. Das kam sicher von den Drogen. Er war auch ziemlich dünn, was durchaus für eine Abhängigkeit sprechen würde.

Harry war so mit Denken beschäftigt, dass Louis Frage gar nicht bis zu ihm durchgedrungen war. Erst, als dieser sie wiederholte, realisierte Harry, dass der Punk mit ihm sprach. "Was ist mit deiner Hand?" Harry sah darauf hinunter und ihm fiel jetzt erst wieder ein, wieso er nicht in seinem Klassenzimmer war: "Ähm ich hab sie beim Werkunterricht verletzt." Bei diesen Worten hob er das Papiertuch hoch und zeigte Louis die aufgeschrammte Haut, der drehte sich schnell weg - einen angewiderten Ausdruck im Gesicht. "Tut mir Leid, aber ich kann kein Blut sehen", sagte er unterdrückt und hielt sich die Hand über die Augen.

So knallhart schien der Punk ja doch nicht zu sein, dachte Harry und bedeckte seine Hand schnell wieder: "Könntest du mir sagen, wo ich die Schulkrankenschwester finde?", fragte Harry und Louis nickte, noch immer etwas blass um die Nase: "Also du gehst den Flur entlang und dann in den Flügel B, da gehst du eine Treppe hinauf, biegst dann links ab und gehst dann einen Flur entlang, wo die ganzen Aquarien stehen und dann..." Er schien den verwirrten Blick des Lockenkopfes zu bemerken, lächelte kurz und sagte schnell: "Ach komm, ich begleite dich", bot er an und gemeinsam gingen sie den Flur entlang. Harry fiel auf, dass Louis den Stoffbeutel in der Hand hatte, den er vorhin von dem Mann auf dem Hof entgegengenommen hatte. Es klapperte darin.

"Was schleppst du denn mit dir herum?", fragte Harry, versuchte entspannt zu klingen und deutete auf den Beutel. "Ach, nur Altglas", sagte Louis. Harry fragte sich, was um alles in der Welt Louis mit Altglas in der Schule anfangen wollte.

Sie gingen nebeneinander her und Louis führte ihn zum Zimmer der Krankenschwester. "Bist du eigentlich neu hier an der Schule?", fragte Louis irgendwann und Harry nickte: "Ja, ich bin erst vor etwa einer Woche hergezogen." "Und hast du dich schön eingelebt?" Harry zuckte mit den Schultern. "Sag mal, wieso ist Zayn eigentlich so...grob?", platzte es plötzlich aus ihm heraus und er sah Louis an, der seinem Blick auswich und nur murmelte: "Ach, er hat ein bisschen private Probleme", wiegelte er die Frage ab und blieb dann stehen. "So, da sind wir." Er deutete auf eine Holztür auf die ein rotes Kreuz gepinselt war.
"Okay, danke Louis."
"Moment mal, woher kennst du meinen Namen?", fragte Louis misstrausich und sah Harry direkt in die Augen, dem das Herz mit einem Mal bis zum Hals schlug. "Ähm...mein Kumpel Niall hat mir gesagt, wie du heißt", sagte Harry und es war ihm mit einem Mal unglaublich peinlich.
"Ah...interessant....", murmelte Louis, warf Harry nocheinmal einen intensiv fragenden Blick zu, bevor er sich dann aus dem Staub machte.

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