47. Durch alten Groll zu neuem Kampf bereit...

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Nachdem sie ihre Tassen geleert hatten, machten sie sich auf den Weg hinunter ins Foyer, das mittlerweile geöffnet hatte und Harry kramte ein wenig im Souvenirshop. Nach und nach trudelten die Gäste im Foyer ein. Alle waren freudig angespannt und ein aufgeregtes Summen erfüllte den Raum. Harry blätterte sich durch die ganzen Bücher, die zum Verkauf standen und innerlich war er immernoch ziemlich enttäuscht, wenn er las, dass Romeo und Julia als "Shakespeares größter Erfolg" bezeichnet wurde. "Hey, was geht dir im Kopf rum, du schaust so kritisch?" fragte Louis, trat an ihn heran und legte ihn den Arm um die Taille und zog ihn an sich, hob Harrys Kopf an und sah ihm in die Augen. "Ach mich ärgert es, dass er seine Werke nicht selber geschrieben hat – zumindest nicht alle." brummelte Harry und klappte seufzend das Buch zu, in dem er gerade geblättert hatte. Irgendwie hatte das Bild, das er von William Shakespeare gehabt hatte heute einen tiefen Kratzer bekommen. Louis seufzte ebenfalls, legte beide Arme um Harry, wobei seine Hände nur knapp überhalb seines Pos liegen blieben und murmelte: "Ach komm, jetzt mach dir bitte nicht so einen Kopf, es ist wie es ist und wir können daran nichts ändern. Lass uns einfach noch das Stück genießen und einen schönen Abend haben." sagte Louis und küsste Harry kurz auf die Lippen. Vielleicht hatte Louis wirklich Recht – er konnte nichts daran ändern, denn es gab keine Beweise, dass das Stück von Marlowe war. Aber Harry fand es ungerecht, obwohl er William als Autoren vergötterte, dass er es so lange zugelassen hatte, die Welt im Glauben zu lassen, das berühmteste Liebespaar der Literatur wäre seiner Feder entsprungen. Ein Gong ertönte nocheinmal und die schweren Holztüren zum Theater öffneten sich. Die Gäste ströhmten in den Zuschauerraum und auch Harry und Louis betraten Hand in Hand den Innenhof. Auf der Bühne hatte sich nichts geändert, denn in diesem Theater wurde ohne Kulissen gespielt: es wurde alles genutzt, was baulich sowieso schon vorhanden war. Nachdem der Innenhof und die Galerie voller Menschen war und alle aufgeregt murmelten, trat ein Mann auf die Bühne: es war William. Er trug Strumpfhosen und eine Pumphose mit einem schönen Jackett und war gekleidet, wie zur Zeit der Renaissance in der er auch gelebt hatte. Das Publikum verstummte. Er lies den Blick schweifen und es wirkte, als hieße er jeden Zuschauer einzeln willkommen, dann erhob er die Stimme:

"Zwei Häuser waren - gleich an Würdigkeit -
Hier in Verona, wo die Handlung steckt,
Durch alten Groll zu neuem Kampf bereit,
Wo Bürgerblut die Bürgerhand befleckt.
Aus dieser Feinde unheilvollem Schoß
Das Leben zweier Liebender entsprang,
Die durch ihr unglückselges Ende bloß
Im Tod begraben elterlichen Zank.
Der Hergang ihrer todgeweihten Lieb
Und der Verlauf der elterlichen Wut,
Die nur der Kinder Tod von dannen trieb,
Ist nun zwei Stunden lang der Bühne Gut;
Was dran noch fehlt, hört mit geduldgem Ohr,
Bringt hoffentlich nun unsre Müh hervor."

Tosender Applaus erfüllte das Theater, William verbeugte sich und ging von der Bühne ab.
Das Stück war wunderbar, wenn die Dialoge auch wirklich anstrengend und schwer zu verstehen waren, doch Harry genoss jeden Moment. Als Romeo und Julia zu ihrer Balkonszene ansetzten, schob sich Louis Hand in seine und er flüsterte ihm ins Ohr: "Das ist wie bei uns." Harry grinste und drückte Louis Hand kurz, dann wandte er sich wieder der Bühne zu.

Das Stück ging zwei Stunden und als die letzten Sätze gesagt waren, brach das Publikum begeistert in Applaus und Jubel aus. Auch Harry klatschte, weil die Schauspieler wirklich eine hervorragende Leistung gezeigt hatten und er sich immerwieder fragte, wie man sich einen solchen Text merken konnte. Als die Schauspieler sich nocheinmal verbeugten gab William Louis noch ein Zeichen, das ihnen bedeutete, noch kurz hier zu bleiben. Also setzten sich die Beiden auf die freien Bänke, als sich das Theater langsam geleert hatte und warteten auf William, der sich hinter der Bühne umziehen wollte. Sie saßen keine 10 Minuten, als der Poet auf der Bühne auftauchte und die Beiden zu sich winkte. "Louis, du wolltest doch noch ein wenig Proviant mitnehmen. Hier hast du den Schlüssel für mein Büro. Nimm dir einfach was du brauchst. Ich zeige Harry noch rasch die Garderoben und den Backstagebereich. Ist das okay, Harry?" fragte William und Harry nickte – begeistert, dass er ins Allerheiligste gehen durfte. Louis nahm den Schlüssel von William entgegen, lächelte Harry nocheinmal zu und ging dann nocheinmal in Richtung Buro. "So, die Kollegen müssten jetzt weg sein, dann können wir nach Hinten." sagte William und grinste: "Unter Theaterleuten sagt man, dass es Unglück bringt, wenn jemand hinter die Bühne geht, der dort nichts zu suchen hat, deswegen müssen wir warten, bis die anderen Schauspieler weg sind." Harry kletterte auf die Bühne und sah nocheinmal andächtig in den Zuschauerraum,der jetzt menschenleer war, dann folgte er William hinter die Bühne. Hier war es ein wenig dunkler und ziemlich eng. Mehrere schmale Türen gingen ab und William öffnete sie nacheinander: "Hier ist unsere Garderobe: hier machen wir uns fertig, ziehen uns um und spielen uns ein. Wer nicht auf der Bühne ist, kann hier sitzen und Pause machen." erklärte er Harry, der den Raum musterte in dem sich zwei lange Tische an den Wänden befanden, die mit Spiegeln ausgestattet waren. William schloss die Tür wieder und ging zur nächsten Tür die er öffnete: "Und hier haben wir unseren Kostümfundus." Er knipste das Licht an und Harry sah unzählige Fahrbare Kleiderstangen an denen Kostüme hingen, die aufwändig gearbeitet waren und wunderschön aussahen. "Manche Kostüme sind schon über 50 Jahre alt und immernoch total gut intakt." sagte William, der mit zufriedenem Gesicht in der Tür stand und Harry beobachtete, der mit strahlenden Augen die Kleidungsstücke betrachtete. Mit einer Hand strich Harry über eine prächtig bestickte Jacke, als William einen Schritt nach vorn machte und ihn so heftig stieß, dass er in die Kleiderstange fiel und sich zwischen den Klamotten verfing. "Hey, was soll das?" fragte er und kämpfte sich gerade aus dem Kleiderständer frei, als das Licht ausging, eine Tür zufiel und der Schlüssel sich im Schloss drehte. Erschrocken hielt Harry inne.

William hatte ihn tatsächlich eingesperrt.

Louis POV:
Er hatte sich aus Williams Büro vier Beutel Blut aus dem Kühlschrank genommen und in seinen Rucksack gepackt. Wirklich nett von dem Vampir, ihm ein wenig seiner Vorräte abzugeben, dachte Louis und schlenderte die Treppe wieder hinunter. "Junger Mann, was machen Sie noch hier?" ertönte plötzlich eine harsche Frauenstimme und eine ziemlich streng aussehende Dame im Hosenanzug kam mit schnellen Schritten auf ihn zu, als er gerade die Galerie betreten wollte, um wieder hinunter ins Theater zu gelangen. "Ich...ähm..." - "Verlassen Sie bitte das Theater, wir haben jetzt geschlossen. Die Zuschauer sollten nach Beendigung des Stückes das Gebäude zügig verlassen. Schließlich wollen wir auch Feierabend machen." sagte sie und nahm Louis Arm und zog ihn Richtung Ausgang: "Ja, aber mein Freund ist noch hier und ich muss auf ihn warten." versuchte Louis der Dame zu erklären, doch sie sagte nur: "Das können Sie auch Draußen tun, es ist nicht allzu kalt und Sie haben ja eine Jacke an. Sie werden schon nicht erfrieren." sagte sie, zog ihn durch das Foyer und schob ihn aus der Tür. "Aber..." versuchte Louis es nocheinmal, doch da hatte sie die Tür schon zugezogen und schloss demonstrativ vor seiner Nase ab. So war das eigentlich nicht geplant, dachte sich der Punk, fügte sich allerdings seinem Schicksal. Harry würde sicherlich von William nach Draußen gebracht werden, sobald er seine exklusive Backstageführung bekommen hatte.

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Tja, jetzt haben wir ein Problem...

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