Erschrocken zucke ich zusammen und schließe instinktiv die Augen, um mich auf Schmerz vorzubereiten. Shit. Was ist jetzt los? Doch anstatt der Qual, die ich erwartet habe, breitet sich nur eine sanfte Kühle über meine Wange aus, als hätte ich sie in den See getaucht, die meinen Schmerz lindert und meine Anspannung löst, die meine Atmung normalisiert, die meine Sinne zurück ins hier und jetzt kehren lässt. Als wäre ich mitten in die Realität gefallen, schlage ich die Augen auf und starre direkt in Madam Pomfreys große Augen, die kaum zehn Zentimeter von meinem Gesicht entfernt sind. Ich schrecke zurück. Heilige Scheiße. Ein Lächeln schleicht sich auf ihre Lippen: „Oh, du bist noch da." „Hä?", kommt es nur geistreich von mir. „Du sahst sehr abwesend aus", sagt sie und lehnt sich wieder zurück. Während sie nach einer Salbe greift, die auf einem kleinen Tischchen auf langen goldenen Storchbeinen, der neben meinem Bett steht, liegt, fährt sie fort: „Vermutlich liegt das an der Brandwunde, an deiner Wange, die, nebenbei bemerkt, ziemlich böse aussieht." Ich beobachte sie, wie sie den Tiegel öffnet und eine weiße Creme auf ihre Handfläche schüttelt. Sie kommt wieder zu mir, dreht meinen Kopf und berührt vorsichtig meine Haut. Ich zucke zusammen, als Schmerz wie kleine Nadelspitzen mein Gesicht durchblitzt. „Ja, das kann brennen", sagt sie munter nebenher, „aber die Wunde ist nicht gefährlich. Sie tut dir vielleicht weh, aber sonst nichts." „Vielleicht", murmele ich sarkastisch. In vorsichtigen, kreisenden Bewegungen trägt sie die Salbe auf. Sie riecht nach Wasser. Nach diesem unendlich beruhigenden Duft von Nässe, Tang und Sand. Ich atme tief durch. „Jedenfalls", macht sie weiter, „scheint dich das Schicksal ziemlich zu verabscheuen, nicht wahr?" „Die Vorherbestimmung", widerspreche ich mit einem leichten Grinsen, das meine Haut verzieht, „nur die Vorherbestimmung." Kühle legt sich über mein Gesicht, als die Krankenschwester den Zauberstab schwingt. Unwillkürlich hebe ich meine Hand, um die Wange zu betasten. Meine Finger fahren über etwas Glattes, das unmöglich mein Körper sein kann. Ein Verband. Da vernehme ich aufgeregte Stimmen von draußen. Mein Kopf zuckt sofort zur Seite, zum Eingang. Ich höre einen Mann nach Pomfrey rufen. Sie wuselt hektisch los. Ich setze mich neugierig auf, um zu sehen, was vor sich geht.
Der Zeltstoff des Einganges wird zur Seite geschoben und zwei Männer tragen eine Bahre herein. Auf ihr liegt ein Junge. Der Junge aus dem Wald. Ich zucke erneut zusammen. Sein Körper ist verbrannt, vollkommen aufgerissen. Der Zauberer windet sich unter Qualen. Meine Augen werden wässrig. Meine Schuld. Mal wieder. Er hat uns gehört deswegen, war er dort. Wären wir nur leiser gewesen, ginge es ihm noch gut. Verzweifelt versuche ich meinen Blick abzuwenden, aber ich kann es nicht. Es ist, als hielte mich das Grauen fest und ich könne mich nicht lösen. Eine junge Aushilfsheilerin kommt auf mich zu, während Madam Pomfrey zu den anderen läuft, einen Vorhang vorzieht und dahinter verschwindet. Die dunkelhäutige Aushilfsheilerin lächelt mich mutig an und drückt mich sanft in die Laken zurück. „Ihm wird es gut gehen, aber du brauchst jetzt vor allem Ruhe", sie holt etwas aus einem Schränkchen aus der Wand. Ein blau schimmerndes Fläschchen, das sie mir reicht. „Ich bin übrigens Aster." Ich räuspere mich und erwidere: „Emmi. Freut mich."
Da ertönt ein hastiges „Aster! Wir brauchen die Suisanitem-Verbände! Schnell!" Sie setzt sich sofort in Bewegung und verschwindet hinter dem Vorhang und lässt mich allein. Das ist für eine längere Zeit, das letzte, was ich von drüben, außer den Schreien voller Qual, höre.
Irgendwann haben sie mich in den Krankenflügel verlegt, wo ich für eine beschissene Woche bleiben muss. Es ist zwar nicht so schlimm, weil meine Freunde mich besuchen kommen können, aber dennoch ist es quälend irgendwo zu liegen und nichts zu tun, wenn einem langweilig ist. Besonders, wenn man schon um sechs Uhr morgens aufwacht. Meine Tätigkeit ist es dann bis sieben aus dem Fenster zu sehen und sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wann man denn endlich hier rauskommt. Weiters ist es zu einem Ritual zwischen Toby und mir geworden um sieben Kaffee zu trinken, beziehungsweise er Tee, bis er dann in den Unterricht muss. Einfach nur schweigend aneinander gekuschelt daliegen und die Nähe des anderen spüren und warten, dass Madam Pomfrey aufwacht und mir den Verband wechselt. Dann fadisiere ich mich am Vormittag und in der Mittagspause, schauen dann die Rumtreiber vorbei. Wir scherzen, blödeln herum, machen uns über Snape und die restlichen Schlangen lustig und sie zögern den Aufbruch immer so weit hinaus, dass sie dann zu spät kommen. Am Nachmittag lerne ich dann mit Lily und Marl, während Alice und Mary daneben sitzen und mit Gwen tratschen.
Heute ist der letzte Tag meines Aufenthaltes, während dem der März nun schon angebrochen ist. Der letzte Vormittag meiner „Gefangenschaft", die letzten paar Stunden, dann kann ich hier endlich hinaus. Ich starre aus dem Fenster, wie immer wenn ich keinen Schimmer habe, was ich tun soll und warte. Warte darauf, dass die Stunden vergehen, dass ich endlich hier weg kann. Madam Pomfrey ist heute wiedermal im St. Mungos, um nach dem verbrannten Jungen, Nick heißt er, zu sehen. Ihn dürfe es ziemlich schlimm erwischt haben. Ich zucke zusammen, als ich höre, wie sich die Flügeltüre öffnet. Ich wirble herum und entspanne mich wieder, als ich Dumbledor, in einem seiner nachtvioletten Umhänge aus Brokat im Türrahmen stehen sehe. Er kommt auf mich zu, seine Schnallenstiefel hinterlassen ein Klackern auf dem grauen Steinboden. Er setzt sich vorsichtig auf eines der Betten vor mir. Ich sehe ihn an und lächle begrüßend. So sitzen wir. Ich auf dem Fensterbrett, er auf dem Bett.
„Wie geht es dir?", fragt er sanft und durchbricht so die Stille. Ich räuspere mich: „Gut." Ruhe legt sich erneut über den Krankensaal. „Das ist gut", sagt er. Seine blauen Augen blitzen freundlich, dennoch nachdenklich über den Rand seiner Halbmondbrille zu mir. „Weißt du noch, was passiert ist, dort im Wald?", will er wissen, „Mr. Inglis konnte im St. Mungos eine Aussage tätigen. Er sprach von Feuer. Unbändigem, selbsthandelnden Feuer. Was weißt du noch, Emily?" Langsam sickert die Information zu mir durch. Meine Augen huschen umher, mein Hirn rattert. „Er... er hat niemanden gesehen", bringe ich vorsichtig hervor. Dumbledor nickt: „Seiner Beschreibung nach zu urteilen nicht, nein." Mein Blick hängt starr an den goldenen Schnallen seiner Stiefel. Ist die Dämonin nur eine Halluzination von mir? Sehe nur ich sie? Sieht Mena sie? Bin ich jetzt vollkommen krank? Das kann doch nicht sein. Ich bin mir sicher, dass sie echt war. So hundertprozentig. Ich, das kann doch nicht nur alles eine Halluzination sein! Sie ist echt. Ich bin mir sicher, so sicher. Ich muss recherchieren. Alles herausfinden was geht. Sie ist echt. Ich bin mir sicher. Ich muss mit Mena reden. Die Typin ist gefährlich. „Emily?", reißt mich Dumbledor aus den Gedanken, „Hast du noch etwas dazu zu sagen? Hast du noch etwas anderes gesehen?" Er lehnt sich etwas vor um mich mit seinen blauen Augen zu fixieren. Ich wende den Blick von seinen Stiefeln ab und sehe direkt in seine durchdringenden ernsten Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde zögere ich. Überlege, ob ich ihm etwas sagen soll. Er könnte mir helfen. Aber er würde mich für verrückt halten. Glauben, dass ich nicht mehr alle Zutaten im Kessel habe. Obwohl - es ist Dumbledor. Er würde mir doch sicher glauben. Er könnte uns helfen.
„Nein", sage ich ruhig
Nach diesem Statement ist er gegangen. Es sieht so aus, als müsse er über etwas nachdenken. Als wäre er kurz davor, die Variable x zu finden. Und ich sitze hier wieder allein am Fensterbrett und sehe der Sonne zu, wie sie über den Himmel wandert. Meine Finger fahren unablässig über den Verband an meiner Wange. Ich will wissen, wie ich aussehe. Ich will diesen Verband lösen und mein Gesicht sehen. Ob es so schlimm ist, wie ich glaube. Madam Pomfrey meint, dass es noch eine Weile dauern wird, bis die Schwärze aus den Kerben meiner Narben verschwindet. Pechnarben, wie sie in der Zauberwelt genannt werden. Pechnarben. Klingt wie eine abscheuliche Krankheit, die man nicht wieder loswird. Die Haare auf meinen Armen stellen sich auf. Ich will wissen, ob ich mich in den Spiegel sehen kann, ohne mich vor dem, was ich sehe, zu ekeln. Meine Finger scheinen selbst zu handeln, als sie den Verband von meiner Haut schälen. Es ziept und zwickt, als wolle es meine Narben nicht loslassen, doch mit einem letzten Ruck entferne ich das weiße Stück Stoff. Ich merke, wie meine Hände zittern, ebenso mein Herz, doch ich rutsche von meinem Sitzplatz und gehe mit zögernden Schritte auf den Spiegel zu, der bei Madam Pomfreys Büro an der Wand neben dem Kalender hängt. Ich atme tief durch. Ich bin eine Gryffindor. Ich schaffe es doch verdammt noch mal mich in den Spiegel zu sehen. Ich trete den letzten Schritt vor und schreie leise auf, als ich meine Spiegelung wahrnehme.
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Glücksklee-grün wie die Hoffnung
FanfictionGLÜCKSKLEE-GRÜN WIE DIE HOFFNUNG 2. Teil der Karneolreihe/ Fortsetztung von Klatschmohn und Klatschmohnroter Sommer TEXTAUSZUG__„Dunkle Zeiten ziehen auf. Es kommen Tage, in denen wir Vertrauen und Loyalität brauchen um zu überleben. Und Entsch...