29. Kapitel Für Remus
Vollmond kommt schneller als erwartet. Remus wird immer bleicher, immer nervöser, immer introvertierter. Die Ringe unter seinen Augen vertiefen sich. Heute Abend ist es soweit. Ich bin mit Marl bei den Rumtreibern. Sirius und Peter fehlen, sind eben mal wieder irgendwo. Remus liegt in seinem Bett, zusammengerollt zu einer Kugel. Ich schreibe, während James mit Marl Schach spielt. Ich halte inne, als ich leises Wimmern vernehme. Ich lasse die Feder sinken, lege das Pergament weg und gehe vorsichtig auf Rems Bett zu. Er jammert leise und krampft sich zusammen. „Rem", flüstere ich. Er zittert wie Espenlaub. „Remus", sage ich sanft. Er wispert mit brechender Stimme: „J-ah?" „Es ist okay. Wir sind da." Er vergräbt sein Gesicht im Kissen. James steht auf einmal neben mir, reicht ihm eine Tafel Schokolade. „Iss. Dann geht's dir besser." Der Junge greift danach, ich kann seine Anstrengung, seine Hände nur zu heben, merken. Ich fahre vorsichtig über seine Finger. Sie sind eiskalt. Mena setzt sich auf das Bett und sagt: „Remus, du schaffst das, okay? Survivor ist ja auch noch bei dir und wir sind auch da. Nicht unmittelbar, aber doch. Und morgen bringen wir dir eine Riesentasse heiße Schokolade rauf, okay?" Er bringt ein schwaches Nicken zustande. Sein Körper fällt kraftlos zurück in die Laken. Wir müssen was tun. So schnell wie möglich.
Abends, als der Mond sich bleich wie ein Opal am Himmel zeigt, sitze ich mit James, Sirius, Peter und Mena im leeren Gemeinschaftsraum und wir brüten über der Animaguslektüre. „Also, es ist eigentlich nicht so komplex, wie ich dachte", sage ich und runzle die Stirn, „ aber das mit dem Alraunenblatt wird eben schwierig." „Welches Alraunenblatt?", fragt Sirius misstrauisch. „Wir müssen es für ein Monat im Mund behalten", erkläre ich irritiert, „das wird schwer." „Was zur Hölle?", entfährt es James. „Jah", sage ich nur. „Wir haben da ein kleines Problem." „Klein", sagt Peter nüchtern. „Wir haben zwei Probleme", erläutert Mena, „Erstens: Wo bekommen wir dieses Blatt her? Zweitens: Wie, verdammt noch mal, behalten wir das solange ohne es runterzuschlucken?" „Danke", sage ich und Peter führt aus: „Herbekommen ist ja nicht die Schwierigkeit, aber wie behalten wir es?" „Und wo kriegen wir's her?", fragt Sirius stirnrunzelnd, „Einfach aus dem Gewächshaus, oder wie?" Ich starre in die Glut, der Feuers, das vor einer halben Stunde noch so schön gelodert hat. Ich nicke: „Müssten wir wohl oder übel." Schweigen. „Und wenn wir das Blatt einfach ganz klein zusammenfalten?", schlägt Marl vor. James antwortet: „Müsste gehen. Und dann irgendwie befestigen." „Mit welchem Zauber?", will Pete wissen „Dauerklebefluch", scherze ich schwach. „Haha", macht Sirius und streckt mir die Zunge heraus. „Die Frage ist halt, wann wir beginnen", meint Marl. „Na morgen, wann sonst?", ist die Antwort von James und mir. „Na, wann sonst", murmelt Sternchen leise. Ich gluckse, alles beim Alten.
Der nächste Morgen beginnt für mich um halb sechs. Ich habe mir mit den anderen ausgemacht, dass ich die Blätter hole. Wer denn sonst? James hat mir den Tarnumhang geliehen und meine Finger kribbeln nun aufgeregt, als ich über den Stoff, leichter als Wasser, fahre und ihn mir überwerfe. Es ist ein berauschendes Gefühl, als ich unsichtbar durch die, im fahlen Morgenlicht liegenden, Gänge streife, das Portal verlasse und auf die Gewächshäuser zu eile. Es weht eine frische Brise und lässt mich leicht zittern, aber ich genieße es. Ich stehe vor dem Glashaus, dem dritten, ziehe meinen Zauberstab und murmle: „Alohomora" Schnell husche ich, nachdem das Schloss geknackt hat, hinein, hinein in die feuchte Wärme des Gewächshauses. Still ist es, ich nehme den Tarnumhang vorsichtig ab, lege ihn behutsam über meinen Arm. Alraunen. Wo sind sie denn nur? Ich streife durch die Gänge, die Töpfe und Pflanzen. Ein Geruch von Erde und Laub liegt in der Luft. Es ist schwül, aber kühler als schwül, wenn man versteht, was sich meine. Da, da hinten, im sanften Schimmer der Dämmerung sehe ich sie, eile schnellen Schrittes darauf zu. Leise flüstere ich: „Diffindo" doch meine Stimme kommt mir zu laut vor, als sie die Stille durchbricht. Langsam fallen sieben große Blätter in meine Hand. Nur für den Fall. Ich stecke sie behutsam in meine Tasche und werfe mir den Tarnumhang über. Jetzt nur noch heil hier raus, nichts umwerfen und abschließen, dann ist es geschafft. Äh, ja, das mit nichts umwerfen hat gerade noch so funktioniert. Inkompetent halt.
Das einzige Problem ist, das Blatt dann auch im Mund zu behalten. Es ist Sirius mit der genialen Idee. Sticking-Charm. Also falten wir die Alraunenblätter so klein es nur geht und mit einem kleinen, gemurmelten: „Fixestsus" an der Innenseite der Wange. Das Blatt hat einen bitteren, dennoch etwas süßlichen Geschmack, ganz komisch zu beschreiben, aber ich denke nur: „Für Remus."
Eben diesen besuchen wir nach dem Frühstück mit einer riesigen Tasse heißer, geschmolzener Schokolade mit Schlagobers und Schokoraspeln und Minimarshmellows. Er sieht verheerend aus, wie meine Mutter sagen würde, blass, tiefe Ringe unter den Augen, Kratzer am Hals. Sein müdes Gesicht wird von einem Lächeln erhellt, als wir ihm die Tasse überreichen. „Danke, Leute", sagt er heiser. „Immer gerne", erwidert Marl mit einem Lächeln und umarmt ihn kurz. Für Remus.
Der darauffolgende Montag beginnt mit einer schockierenden Meldung im Tagespropheten über ein Werwolfmassaker in Kent, bei dem mindestens 23 Werwölfe beteiligt waren. 32 Tote. Ich lege die Zeitung zur Seite. Kann es nicht glauben, vielleicht will ich es auch nicht. Ich versuche den Propheten möglichst unauffällig verschwinden zu lassen. Ich will nicht, dass Remus es sieht. Es würde ihn zu sehr mitnehmen. Er würde sich die Schuld an etwas geben, woran er nicht einmal teilgehabt hat. Mit Marl diskutierend, über Merlin und die Welt, mach ich mich auf den Weg zu Verwandlung. McGonagall nimmt die Transfiguration von Ding zu Tiergattung durch. Kompliziert. Furchtbar kompliziert, denn zuerst schreiben wir Zeilen um Zeilen über Skelett und Organaufbau, die Strukturen von Fell und Knorpeln und die Ausbildung von Sinnen und ich komme mir vor, als säße ich wie der im Gymnasium, in meiner alten Klasse in Biologie. Oh, wie ich meine alte Schule nicht vermisse. Zumindest einen Großteil daran nicht. Auf einmal fällt mir auf, dass der Platz neben mir leer ist. Normalerweise sitzt da wer. Wo ist -? Remus fehlt. Scheiße. Scheiße, scheiße, scheiße, scheiße. Ich drehe mich um, suche ihn mit den Augen. Frank, den McGonagall eigentlich neben mich gesetzt hat, weil er zu viel mit Alice getratscht hat, sitzt nun neben Peter. Dort, wo Remus normalerweise sitzt. Ich schlucke. Wo ist er nur? Ich will gerade Marl fragen, aber in diesem Moment öffnet sich die Tür und ein leichenblasser Remus kommt herein. „Tut mir leid, Professor, wurde aufgehalten", sagt er, seine Stimme zittert kaum vernehmlich. Er sieht zu seinem Platz, ich winke ihn schnell zu mir und er lässt sich neben mich fallen, holt seine Sachen heraus, beginnt zu schreiben. Ich kann beinahe fühlen, wie sein Körper bebt. Ich streiche ihm über die Schulter. Will ihn beruhigen, aber es geht nicht. Nicht jetzt, nicht hier. Ich schmecke den bitteren Geschmack des Blattes in meinem Rachen. Ich schlucke. Remus legt die Feder beiseite und vergräbt das Gesicht in den Händen, während McGonagall schon lange fortgefahren hat. Mein Herz verkrampft sich vor Mitleid. Einer plötzlichen Eingebung folgend, ziehe ich meinen Zauberstab, wähle einige Worte und aus der Spitze entspringt ein kleiner goldener Faden, der sich zu einem winzigen, schimmernden Teddybären formt, der auf Remus zu geht und ihn, beziehungsweise seinen Arm, umarmt. Der lugt zwischen seinen Fingern hindurch und ich erkenne, wie sich ein Lächeln auf seine Lippen schleicht. „Danke", kritzelt er auf einen kleinen Zettel. „Bitte", schreibe ich. Für Remus.
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Glücksklee-grün wie die Hoffnung
FanficGLÜCKSKLEE-GRÜN WIE DIE HOFFNUNG 2. Teil der Karneolreihe/ Fortsetztung von Klatschmohn und Klatschmohnroter Sommer TEXTAUSZUG__„Dunkle Zeiten ziehen auf. Es kommen Tage, in denen wir Vertrauen und Loyalität brauchen um zu überleben. Und Entsch...