Es ist ein kalter Morgen, auch wenn sich der März dem Ende zuneigt. Regentropfen fallen schwer, dennoch glitzernd, wie kleine, runde, glatt geschliffene Diamanten aus den grauen, dicken Wolken hinab. Die Blüten, der Bäume, draußen vor den hohen Fenstern, lassen ihre Köpfe hängen, vermögen kaum die Last des Wassers zu tragen. Marl und ich brüten gerade über einem Blatt Papier, das die „übersetzte" Version des Trankes der Erkenntnis, beinhaltet. Lily hat das Originalrezept am Boden unseres Schlafsaales gefunden und sich lautstark darüber aufgeregt, warum das denn so unnötig verkompliziert wurde, hat sich hingesetzt und es kurzer Hand vereinfacht. Auf einem frischen Blatt Pergament, in leuchtender, königsblauer Tinte steht nun in Lilys wundervoll sauberer Schrift:
Trank der Erkenntnis:
Man braucht:
190g geschmorte Ulixus-Florfliegen (Aus Italien)
12 mittelmäßig gestampfte Skarabäuskäfer
8 Goldstachelspeichelperlen (klein, golden, in jeder Apotheke erhältlich)
5 gemahlene Mondsteine
3 Schwammflussbinsen
Die Hälfte des Wassers aufkochen, danach Flamme verringern. Florfliegen aufschneiden, Organe entfernen (Vorsicht bei der Gallenblase), langsam unter Rühren und leichtem Aufundabbewegungen unterrühren. Schnell Skarabäuskäfer hinzugeben. Trank 14 Tage unter Veränderung der Temperatur (gemäß des Wetters= wenn warm-> erhitzen, wenn kaltà Temperatur senken(Tageweise)) im 7,5 Sekundenabstand, die Goldstachelperlen einfügen. Mondsteine, wie Puderzucker darüber „stauben". 10 Minuten schmoren. Sollte helles Blau annehmen. Schwammflussbinsen in Scheiben schneiden, in den Trank fallen lassen. 3 Tage auf Siedepunkt erhitzen. Sollte eisig blau sein.
„Okay", sagt Mena, als sie es fertiggelesen hat, „Das kriegen wir irgendwie hin, oder?" Ich nicke nachdenklich. Ja, eigentlich sollte das funktionieren. Keine zwei Sekunden später muss Marl das Rezept außer Reichweite der vielen Eulen, von deren Flügeln nur so der Regen tropft, bringen. Desty landet so elegant wie ich, also, so elegant wie ein LKW, mit einem Päckchen, inmitten von Marys Frenchtoastturm. „Emily Haimerl", faucht sie mich leise an, „bring dein Vieh von meinem Frühstück weg!" „Sorry", entschuldige ich mich hastig und hebe das sträubende Tier zu meinem Teller, wo ich ihr das kleine Päckchen, das um ihren Fuß hängt, abnehme. Mary ist in den letzten paar Tagen ziemlich reizbar, nachdem sie von Zuhause die Nachricht erhalten hat, dass ihre Eltern sich getrennt haben. Sie tut mir leid und wir Mädels versuchen sie aufzuheitern, aber sie weist uns regelrecht von sich. Ich kenne die Reaktion von irgendwo her. Nachdem sich Desty ein Stück meiner Eierspeise genehmigt hat, flattert sie schon davon und ich packe vorsichtig aus. Meine Kinnlade klappt herunter, als ich sehe, dass mir mein Bruder, den einen Storrorpulli (Storror ist eine Parkourgruppe, die ich abgöttisch liebe), den ich schon seit Ewigkeiten haben will, geschenkt hat. Merlin, manchmal liebe ich meinen Bruder. Vertieft in die Betrachtung des weißen „X-plore" Schriftzuges am Rücken, bemerke ich erst nicht, dass mich Mena anstubst. „Hm?", mache ich. „Toby", murmelt sie und mein Blut schient für den Bruchteil einer Sekunde zu gefrieren und mein Herz stehen zu bleiben. Shit. Er kommt her.
Ich erhebe mich und habe die ersten drei hastigen Schritte in Richtung Ausgang getan, als ich seine Hand auf meiner Schulter spüre. Mein Herz beginnt zu rasen. Ich spüre ein Zittern in meinem Magen. „Ems", ich habe seine Stimme so sehr vermisst, dass es beinahe weh tut. Ich schließe meine Augen für einen Moment. „Warum gehst du mir aus dem Weg?" Au. Das tat weh. Wüsste er nur wie ich aussehe, dann würde er es verstehen. Ich räuspere mich und murmle nur ein knappes: „Nicht hier." Ich nehme wahr, wie er nickt und er nimmt meine Hand und zieht mich vorsichtig mit sich nach draußen. Ich stolpere ihm hinterher, die Stiegen hinauf, zu einem Fenster, mit einer großen Fensterbank in einem verlassenen Korridor. Er bugsiert mich auf das Fensterbrett und stellt sich vor mich. „Was ist los?", sagt er ruhig, aber ohne Umschweife, „Warum gehst du mir aus dem Weg?" Ich senke den Blick, die Kapuze immer noch ins Gesicht gezogen. Meine Hände wischen über meine Augen. Mit bebender, leerer Stimme beginne ich: „Ich weiß nicht, ob du es verstehen würdest." „Dann erklärs mir." „So einfach ist das nicht", sage ich mit einem Hauch von Resignation. „Ja, einfach bist du ja auch nicht und ich komm mit dir klar, also sags einfach, Ems." Ich schüttle verzweifelt den Kopf, vermeide sein Blick. „Ich kann nicht." „Warum nicht?", ich höre die Ungeduld und die leichte Angst in seiner Stimme. Ich beiße mir angespannt auf meine Lippe. Meine Hände fahren zu meiner Kapuze und mit einer wütenden Bewegung streife ich sie ab. „Deswegen!", blaffe ich ihn an, mit glühenden, schwimmenden Augen deute ich auf das Geflecht aus schwarzen Linien und Adern auf meiner Wange. Ich stehe wie unter Strom. Sieht er denn nicht wie schwer das für mich ist? Ich ekle mich ja schon vor mir selbst, warum zwingt er mich ihm das zu zeigen, was ich hasse? „Wie? Wie könnte jemand so etwas ansehen und es auch nur ansatzweise ertragen? Wie könntest du mich jemals ansehen ohne dich vor mir zu ekeln?" „Sei still!", fährt er zornig dazwischen und packt meine Schultern, „Jetzt, in diesem Moment sehe ich dich an. Sag mir ins Gesicht, dass ich mich vor dir ekle! Du wirst es nicht schaffen." Ich sehe voller Zorn, voller Verzweiflung in seine Augen. „Aber ich! Ich ekle mich vor mir!" Er mustert mich leicht sprachlos, versucht etwas zu entdecken. Dann lässt er mich los. Ich fühle, wie sich meine Brust zusammenkrampft. Kälte ergreift von meinen Fingern Besitz. Ich spüre, wie eisige Tränen meine Wangen hinabrollen. „Das ist das Problem", sagt Toby mit von Emotionen überladener Stimme, „Deine dummen Minderwertigkeitskomplexe sind das Problem und ich verstehe es einfach nicht." Scharfe Splitter bohren sich in meine Kehle, tief, in mein Herz. Ich schlucke. Ich wusste es. Er fährt fort, seine Stimme wird sanft: „Ich versteh einfach nicht, wie du nicht sehen kannst, wie hübsch du bist." Ich stehe da, wie am Boden festgenagelt und sehe ihn sprachlos an. Die Kälte löst sich vorsichtig auf, zieht sich zurück. „Und das ändern die Narben auch nicht. Auch nicht, wenn sie schwarz sind. Nicht einmal dann. Und das ist es eben, was ich nicht verstehe. Wie du auch nur denken kannst, dass es mir was ausmachen würde." Ich schließe meine Augen. Immer mehr Tränen entweichen meinen Augen. Ich torkle einen Schritt auf ihn zu und er schließt mich in die Arme.
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Glücksklee-grün wie die Hoffnung
FanficGLÜCKSKLEE-GRÜN WIE DIE HOFFNUNG 2. Teil der Karneolreihe/ Fortsetztung von Klatschmohn und Klatschmohnroter Sommer TEXTAUSZUG__„Dunkle Zeiten ziehen auf. Es kommen Tage, in denen wir Vertrauen und Loyalität brauchen um zu überleben. Und Entsch...