Wie Vögel im Sturm

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Die ersten Tage der Ferien verbringe ich mit Rem, Pete und Pascal, der mir beibringt auf der Gitarre zu spielen. Ich sitze in der großen Halle, wie immer mit meinem Kaffee, als ein Steinkauz neben mir auf dem Milchkrug landet und mir einen Tagespropheten vor die Hände wirft. „Danke", sage ich und gähne und gebe ihm drei Knuts. Immer noch starrt mich der Vogel aus vorwurfsvollen Augen an und ich seufze. „Hier", schnaube ich und werfe ihm ein Stück Toast zu, das er mit einem Happs verschlingt. Dann schuhut er, breitet die Flügel aus und flattert davon. „Dämliches Ding", murmle ich und entfalte die Zeitung. Die Schlagzeile lässt alles Blut aus meinem Gesicht weichen:

12 Todesseranschläge über die Feiertage in ganz England

„Fuck", entfährt es mir. Ich überfliege den Text. York, drei in London, Liverpool, Manchester, Dundee, Northampton, Bristol, Leicester, Aberdeen und Oxford. 415 Tote, 521 Verletzte. Teils Muggel, teils Zauberer. Ich habe die Hand fassungslos vor den Mund geschlagen. Ein kalter Schauer der Panik läuft meinen Rücken hinab. wohin wird das führen? Was wird das aus uns machen? Wird es uns zerstören, noch mehr auseinanderreißen? Ich weiß nicht mal, ob wir alle wieder heil hier hinaus finden. Lebend. Aber ich weiß, dass ich alles dafür tun werde, damit sie das hier überstehen. Ich weiß auch, dass ich alles dafür geben werde, härter trainieren werde als zuvor. Weil ich muss. Weil es immer noch von mir abhängt. Nicht von James oder Sirius. Nicht von Lily, von Toby, Regulus oder Gwen. Es hängt letzten Endes von Mena und mir ab. Und keiner kann uns diese Bürde abnehmen. Ich weiß, dass ich alles tun werde um sie zu schützen. Und wenn mich dieser Krieg auseinanderreißt, bitte schön. Wenn ich zerreiße, dann ist es mir egal, aber keiner, keiner meiner Freunde soll leiden, nicht wenn ich es verhindern kann.

Letztendlich sind wir doch nur wie Blätter im Wind, die vom Schicksal verblasen werden; wie Vögel im Sturm. Ich werde kämpfen, gegen diesen Wind ankämpfen, diese Kraft, die mich versucht zurückzuhalten. Vielleicht werde ich es schaffen, vielleicht werde ich nicht davon geblasen, umhergewirbelt und zu Boden geschleudert. Doch wenn es so ist, wenn das Schicksal mich in die Knie zwingt, dann soll es so sein. Solange es nicht die sind, die ich liebe, die zu Boden geschleudert werden. Es ist in Ordnung, wenn mein Licht erlischt, doch niemals das ihre. Alles läuft hier zusammen, wie die Fäden eines Spinnennetzes. Und letzten Endes bin es ich, dessen Leben an diesen Fäden hängt. Ich springe auf und lasse mein angebissenes Brot liegen. Peter packt meinen Arm, fragt mich, wo ich hin will. „Trainieren", lautet meine knappe Antwort.

Kurze Zeit darauf stehe ich im Wald. Ich habe das Trainingsgewand an, den Speer in meiner rechten Hand. Auf den Bäumen vor mir befinden sich Kreuze, die ich mit einem Stück Kreide, das mir Hagrid gegeben hat, aufgemalt habe. Ich atme tief durch und beginne eine Runde zu laufen, meinen Speer in das Holz zu rammen. Meine Lungen füllen sich mit der eisigen Winterluft. Ich nehme den Geruch von Kälte und Moder auf. Immer wieder steche ich zu, laufe, steche, laufe. Wie ein Schleier aus Aggression, aus Angst hat sich etwas über meine Gedanken gelegt. Ich schleudre den Speer gegen den Stamm zu meiner linken und sprinte durch den Schnee, der knirschend und krachend unter meinen Füßen nachgibt. Meine Finger kribbeln voller Energie und ich setze mit einer einzigen Bewegung über einen umgefallenen Baum hinweg. Meine Beine trommeln im Einklang über den Boden. Ich renne auf eine Lichtung zu, das letzte Kreuz. Der Speer materialisiert sich in meiner Hand und mit einer Kraft, von der ich selbst nicht weiß, wie ich sie aufbringen konnte, ramme ich ihn in die Rinde, die nachgibt, wie ein Stück Pergament und bohre ihn tief in den Baum. Atemlos halte ich inne, das Blut rauscht in meinen Adern. Ich hole tief Luft, bevor ich die Waffe herausziehe, mich abwende und aus dem Wald hinaus auf das Schloss zu jogge.

Am zweiten Tag merke ich, wie meine Bewegungen flüssiger werden, meine Stiche präziser. Sie scheinen sich in mein Unterbewusst sein einzubrennen, sich zu selbstverständlichen. Ich spüre, wie sich meine Lungen weiten, mein Körper mehr Energie aufbringt. Mit jedem Schlag, den ich mache, mit jeder Minute, die ich trainiere, werde ich kräftiger. In mir baut sich eine Stärke auf, eine Ruhe, die meine Finger am Zittern hindern und meine Gedanken fokussieren. Ich laufe wieder durch die dicht stehenden Bäume, immer tiefer in das Dickicht hinein, ohne zu wissen wo ich bin, bevor ich am Rande des Tals stehe, in dessen Nähe wir Survivor letztes Jahr gefunden haben. Ich stehe an dessen Kante, meine Brust hebt und senkt sich. Der Himmel färbt sich in allen erdenklichen Nuancen. Von zartem Gelb über warmes Rosa bis hin zu eisigem Blau. Glutrot schwebt die Sonne am Firmament und taucht die Baumwipfel in goldenes Licht. Ich genieße für einige Momente die Friedlichkeit, die mich umgibt.

Glücksklee-grün wie die HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt