[2] trägt eine Maske

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Regentropfen prasselten auf den harten Asphalt, auf dem sie in tausende Teile zersprangen. Keiner von ihnen konnte sich retten. Alle der kleinen Tropfen zerteilten sich auf dem Boden. Beinahe eilig hatten sie es anzukommen und doch kam es mir so vor als flogen sie Zeitlos vom Himmel herab. Ich lehnte mich an das schwarze Auto hinter mir und zog mir meine Kapuze über den Kopf. Der Regen war nervig, dennoch erträglich. Es regnete gerade wenig genug, um wie fast jeden Morgen hier auf sie warten zu können, ohne völlig durchnässt zu werden. Es war Routine hier zu stehen und wenn es nicht nötig war, so blieb es auch Routine. Ich atmete die kalte Luft aus und schloss die Augen. Das Geräusch der Grillen wurde gegen das von Autos ausgetauscht. Das Brummen und Hupen ließ das kleine Dorf leben. Die gestern erscheinende Einsamkeit, verschwand gänzlich. Ich hörte ja, dass hier auch andere waren. Ich war nicht alleine. Besser ging es mir dennoch nicht.

Die Uhr schlug gerade 7, als sich ihre Zarte Gestallt auf den Parkplatz drängte und auf das Auto zu lief. Um ihre Schulter, hatte sie eine schwarze Tasche geschlungen und ihre Augen strahlten sogar aus dieser Entfernung. Sie waren so blau wie das Meer. Beinahe hätte man in ihnen ertrinken können. Sie waren so schön wie sie selbst elegant. Ein lächeln schlich sie auf meine Lippen, als sich unsere Blicke trafen. Doch ihr Gesichtsausdruck blieb gleich starr. Keine Sekunde dauerte es, da stand ich senkrecht da und ging auf sie zu. Auf halben Weg trafen wir uns. Zwar wusste ich nicht was los war, doch war mir klar, dass sie mich jetzt mehr brauchte als ich sie. Meine Arme schlangen sie in eine innige Umarmung und so blieben wir lange stehen. Ich hörte ihr schluchzen und bemerkte wie meine Schulter immer nasser wurde.

"Was ist?", flüsterte ich ihr durch den Autolärm zu und sah ihr in ihre Augen, die so leer und verloren waren.

Masken fallen und verlorene Seelen kommen zum Vorschein. Ich platzierte meine Hände auf ihrer Wange und wischte die Tränen weg.

"Ich kann nicht mehr tanzen", krächzte sie, während immer mehr Tränen auf den Boden fielen und es den Regentropfen nach machten.

Die Wörter, die sie sagte kamen bei mir erst viel später an. Ich sah wie sich ihr Mund bewegte doch ich verstand sie nicht und dann als ich ihre Worte realisiert hatte, hätte auch ich fast angefangen zu weinen. Das Tanzen war ihr Leben. Wenn sie tanzte schien alles um sie herum so bedeutungslos zu werden. Leicht, schwerelos, gerade zu perfekt erschien hingegen sie. Man sah die Freiheit in ihren Bewegungen und ihr Lächeln, wenn sie eine neue Choreografie fehlerfrei meisterte. Das konnte doch nicht das Ende sein. Erneut schloss ich sie in eine Umarmung. Wie grausam musste die Welt sein, um eine Tänzerin nicht mehr tanzen zu lassen? "Wir müssen gehen", bedauerte sie, während sie mich an der Hand sich nach ziehen wollte. Doch ich blockte sie ab, nahm meine Hand an mich und blieb bewegungslos stehen. Wegrennen war keinen Option mehr. Wir mussten darüber reden. Ich sollte ihr doch helfen, als ihre Freundin. In dieser Zeit für sie da sein. Alles liegen und stehen lassen um sie aufzumuntern. Ereignisse konnte man zwar verdrängen, aber die Verzweiflung, die daraus wuchs, deren war sie sich noch nicht gewachsen gewesen. "Was ist passiert?", fragte ich, während ich sie beobachte. Doch statt einer Antwort, folgte eine Stille, die Ungenehmer nicht hätte sein können. Meinem Blick wich sie aus, als wäre sie wenn sie in meine Augen gesehen hätte erblindet. Stattedessn hing er auf dem Wolken bedeckten Himmel, während sie sich ihre Worte zusammen sammelte. Dabei fing ihre Hand an unkontrolliert zu zucken. "Ich hab zu viel trainiert", presste sie hervor und plötzlich war mein Mitgefühl wie weggeblasen. Diese Ausrede. Es war doch immer das Geiche. Wie oft hatte sie sich schon verletzt und genau das zu mir gesagt? Warum konnte sie nicht einfach mal damit aufhören, wenn sie genau wusste, dass es zu dem hier führen würde? Nur einen Tag hätte sie nicht trainieren müssen, aber das konnte sie nicht. Ihrer Karriere selbst stand sie im Weg. Sie hätte so groß raus kommen können. "Wie kannst du nur immer mit dieser Ausrede kommen?", fragte ich, während die Enttäuschung meine Stimme regierte. "Es geht nicht anders. Es ist wie eine Sucht für mich zu tanzen"
Eine Sucht etwas, was man nicht kontrollieren konnte. Aber sie hätte mich doch Anrufen können, ich hätte ihr geholfen. "Deine Karriere!" Leicht bewegte sie den Kopf, den sie gesenkt hatte hin und her. Immer noch nicht konnte sie mich ansehen. Konnte sie denn nicht verstehen, dass ich nur das Beste für sie wollte? Immerhin war sie meine beste Freundin. "Alaska", fing sie an. Ihre Stimme war weich und zitterte. "Ich werde keine Karriere mehr haben. Dass geht sich nicht aus. Ich habe keine Zeit dafür. Auch wenn diese Verletzung jemals ganz Heilen wird, werde ich nie wieder Tanzen können. Mein Job ist mir wichtiger." Die Luft verschwand für kurze Zeit um uns herum. Ließ alles stehen bleiben. Nie war ihr etwas wichtiger, als das tanzen gewesen. So etwas zu behaupten, war nicht ihre Art. Was war mit meiner Vanessa passiert? "Bis jetzt ging sich, dass alles immer Prima aus. Sag mir , was jetzt anders ist?" Ihr blau, traf auf mein braun und ich bekam plötzlich so eine Angst vor ihrer Antwort. Auf einmal wäre ich lieber leise geblieben. Bitte keine Veränderungen mehr. "Ich muss umziehen." Die Worte prallten an meinem Kopf ab und ließen einen unheimlichen Schmerz zurück. Umziehen. Von dem war nie die Rede gewesen. Wir wollten doch zusammen bleiben, bis wir alt und runzlig waren, damit wir die kleinen Kinder Anschreiben könnten. "Wann?", brach es aus meinem Mund und erschüttert stand ich direkt vor ihr. Meine Kehle war trocken und ich drohte zu ersticken. "In einem Monat." Und dann drehte ich mich um und ging. Weg von hier. Ein Monat war zu wenig. Was war denn schon ein Monat im Vergleich zu einem ganzen Leben? Nichts. Es war nicht der Rede Wert. Ihre Schreie glitten an mir vorbei und nach jedem Schritt bemerkte ich mehr, dass diese Verletzung, beim Tanzen nur eine weitere Ausrede war, um mir die Wahrheit vorhalten zu können. Es ging immer nur um den Umzug. Mit meinen alten Converse stapfte ich durch einige Pfützen, ich trat in Schlamm und spürte wie meine Socken immer mehr Feuchtigkeit aufnahmen. Zurück ging ich jedoch nicht. Die Kälte in mir vergrößerte sich immer mehr und irgendwann fing in an zu rennen, nur um das Leben wieder einmal zu spüren.
Mein Puls raste und mein Atem wurde immer schwerer. Zwischen Personen schlängelte ich mich hindurch. Manche rempelte ich sogar an. Doch keiner einzigen widmete ich auch nur ein leises Sorry. Das einzige was ich konnte war es zu rennen. Gerade aus. So schnell ich konnte.
Die Person, die immer für mich da war, sie würde gehen. Nie mehr würde sie das Mädchen von neben an sein, die nur ein paar Blöcke von mir entfernt wohnte. Bald würde so viel zwischen uns sein. Nie mehr, würden wir zusammen in einem Auto zur Arbeit fahren. Keine Mädchenabende in denen wir uns alles über einander erzählten, nie wieder tiefgründige Gespräche bin in die Nacht hinein, nie wieder würden wir uns über Blödsinn streiten können. Unsere kleine Unendlichkeit war plötzlich nichts mehr. Sie war nur ein weiteres leeres Versprechen. Eines von vielen.
Meine Beine trugen mich bis über die Straßen. Quitschende Autoreifen, schreiende Menschen und lautes Hupen, welches nur mir galt. Ich rannte durch den Park, der das Dorf und die Stadt verband. Das Dorf in dem ich wohnte und lebte und die Stadt in der ich nur auf die Uhr starrte und wartete bis ich wieder zu meinem Leben zurück konnte. Ich wartete und vielleicht war das einer meiner vielen Fehler. Warum hieß das Leben den Leben? Nicht um die ganze Zeit auf etwas zu warten.
Die Kraft verließ mich plötzlich und erschöpft blieb ich stehen. Meine Hände legte ich auf meine Oberschenkel und beugte mich leicht vor. Keuchend stand ich da und bemerkte erst in diesen Moment, dass es aufgehört hatte zu regnen.
In meiner Tasche vibrierte mein Handy und ohne hinauf zu sehen nahm ich ab. "Lunack Alaska", gab ich schweren Atems von mir und stellte mich aufrecht hin. "Wo bist du?" "Lina?", fragte ich überfordert und sah zum ersten Mal, seit ich beim Auto gestanden bin wieder auf meine Uhr. Ich war zu spät. "Mein Auto hatte eine Panne. Ich bin gleich da. Mach dir keinen Kopf", gab ich geschlagen von mir. "Mach ich nicht, aber unser neuer Chef will dich sehen. Immerhin leitest du die Marketing Abteilung." Meine Finger platzierte ich auf meinen Schläfen und ließ sie kreisen. Unbedingt jetzt musste er kommen. An dem Tag an dem alles so schief lief und ich aussah, als käme ich von einem Obdachlosen Heim. Ein ungünstiger Zeitpunkt. "Gib mir eine halbe Stunde." Und schon hatte ich aufgelegt und lief weiter. Es hieß die Woche würde er kommen. Gestern sah ich aus wie etwas ansehnliches. Ich hatte geschlafen, eine Mitfahrgelegenheit, gute Laune und dieser Idiot musste heute kommen. Wie ich das Schicksal liebte.

Der Maskenball (Cro Ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt