Flashback
Er betrachtete sich im Spiegel und strich sich durch die Haare. Ein brauner Büschel löste sich von seinem Kopf. Erkenntnis spiegelte sich in seinem Blick wieder, als er seine Haare in der Hand hielt. Ich wusste nicht was er dachte, was dieses Büschel für ihn bedeutete. Aber für mich bedeutete es, das er eine Chance hatte zu leben und das er sie nutzte. "Kann ich?" Er nickte und ließ sich auf den Stuhl nieder. Das Brummen des Rasierers hallte durch den Raum, im gleichen Moment kniff er seine Augen zusammen. Ich musste schlucken, setzte an und die ersten Haare vielen auf den Boden. Eine kahle Stelle zog sich über seinen Kopf und die Krankheit, die zuerst nicht erkennbar gewesen war, konnte man ihm immer mehr ansehen. Das Brummen verstummte und seine Augen gingen auf. Zuerst betrachtete er die Stelle, bevor er mich durch den Spiegel hindurch ansah. "Was ist?", fragte er sachte nach, wobei seine Stimme so brüchig klang. Das alles hier war so wahnsinnig falsch. Er hätte nicht hier sein sollen. Er hätte mit mir auf dem Skateplatz stehen sollen, gesund und Spaß haben. "Ich kann das nicht", stottere ich und fuhr ihm durch die restlichen Haare, um einige später in meinen Händen zu halten. Das war doch alles nur ein Traum. Diese Krankheit existierte nicht. Carlo war nicht krank. Das alles durfte nicht die Realität sein. "Es muss sein und selbst kann ich es nicht tun. Dazu kannst du mich nicht zwingen." Tief atmete ich ein, fing mich und das Brummen ertönte wieder. Ich liebte diesen Kerl auf diesem Stuhl. Nur deshalb tat ich es und nur deshalb tat es mir so weh es zu tun.
Seine Stimme erklang durch den Raum und er beteuerte mir alle meine Seiten gelesen zu haben, sogar die Neuen und er forderte mich auf, sie an einen Verlag zu senden. Der Gedanke daran ließ mich schmunzeln. Was hätte ich dafür getan mein Buch in einem Geschäft zu sehen? Doch anstatt auf das Thema einzugehen, wechselte ich es. Hoffnungen wollte ich mir keine machen. Denn mit Enttäuschung kam ich nicht klar. Noch nie.
Ein Klopfen ließ mich verstummen und das 'Herein' von Carlo gab bekannt, dass es okay war ihn so zu sehen. Einmal hätte ich noch darüber fahren müssen, dann hätte er eine entgültige Glatze gehabt. Dann wäre alles beendet gewesen. Dann hätte ich durchatmen können, wenn auch nur für einen Moment.
Dr. Kraus betrat das Badezimmer und musterte mich und Carlo. Er betrachtete die Haare auf den Boden und sah wie nah uns das beiden ging. Damals hatte er braunes Haar gehabt und nur einzeln funkelten graue Strähnen hervor. Er war viel fester gebaut, aber dieser Blick. "Soll ich weiter machen?", fragte er. Meine Hand zitterte, hätte ich das hier zu Ende geführt, ich weiß nicht in wie das geendet hätte. "Bitte", flüsterte ich und reichte ihm den Rasierer in die Hand. Nur wenige Sekunden dauerte es und dann lagen selbst die letzten Haare von Carlo auf den Boden. Ungläubig sah Carlo seinem Spiegelbild entgegen und strich sich über seine Glatze. Ohne Haare sah er ganz anders aus und man sah ihm nun endlich seine Krankheit an. Den ganzen Schmerz den er bei sich trug. Keine Maske hätte es mehr verdecken können. Seine Haare waren ab.
Damals gab es noch Chancen ihn zu heilen, aber sie waren so gering, das es ein Wunder hätte geben müssen. Diese Erkenntnis tat weh. Wohlmöglich hätte ich für uns beide stark sein müssen. Meine Maske lag jedoch auf dem Boden und ich sackte ebenfalls auf ihm ab, vergrub meinen Kopf zwischen meinen Beinen und meiner Brust.
Dr. Kraus bückte sich zu mir herunter und seine Hand hielt mich kurze Zeit später an der Schulter fest. Ich wendete meinen Blick zu ihm hoch. "Vergiss nicht zu atmen", riet er mir und ich nickte. In diesen Momenten, in denen mich die Angst überrollte, passierte es nicht selten, dass ich einfach nicht mehr nach Luft schnappte. Ich vergaß es einfach. "Können wir kurz alleine sein?", fragte Carlo und ihre Blicke trafen sich. Die Hand von Dr. Kraus entfernte sich von meiner Schulter und er stand auf. Den Rasierer ließ er auf dem Waschbecken liegen und in dem er die Türe Zuschlag, gab er seinen Abgang bekannt. Eine Zeit lang starrte Carlo zu der verschlossenen Türe, lehnte sich dann an der Wand an, um ihr entlang auf den Boden zu rutschen. Er griff nach meiner Hand und hielt sie fest. "Geht es dir gut?" Seine Frage war so albern. Nein es ging mir nicht gut, aber er hätte es mich nicht fragen sollen. Er hatte Krebs ich hätte mich um ihm kümmern sollen. "Es tut mir so leid. Ich bin eine schlechte Freundin." Ich vergrub meinen Kopf an seiner Schulter und unterdrückte die Tränen. Wie elendig ich mich in diesem Moment fühlte, war nicht zu beschreiben gewesen. Es fühlte sich so an, als würde mein Herz zerreißen. Ich war nicht die, die er wollte. Ich war einfach nur ich. "Du kannst dafür nichts. Außerdem bist du wohl die beste Freundin, die sich ein Junge wünschen könnte." Seine Worte verstand ich nicht. Das ergab keinen Sinn. Was hatte ich schon gemacht, dass er so etwas behaupten konnte? "Du verstehst mich nicht oder?" "Kein Stück." Er lachte vor sich hin und legte seinen Kopf anschließend schräg. Ich tat es ihm nach und langsam fing auch ich an zu schmunzeln. Seine Art war so ansteckend. "Du bist die einzige, die immer für mich da ist. Es nimmt dich mit, das tut es uns doch alle. Aber das du trotzdem bleibst ist etwas besonderes." Mein Herz pochte mir bis zum Hals. Meine Hand fuhr ihm über seine Glaze. Sein Blick folgte ihr so weit er konnte. Dann ging er zurück zu meinen Augen. "Darf ich dich noch einmal küssen?", flüstere er mir ins Ohr. Als hätte es niemand anderes hören sollen, obwohl wir alleine in diesem Raum waren. Ich entfernte meine Hand von seinem Kopf und blickte ihn erschrocken an. Eigentlich wollte ich seine Lippen so gerne auf meinen Fühlen. Dieser erste Kuss mit ihm war einfach umwerfend gewesen, aber ich wusste nicht wieso er mich das fragte. Warum genau jetzt. "Rein Freundschaftlich", beteuerte er und legte seine Hand auf meiner Taille ab. Mein Gehirn schaltete sich gerade vollkommen ab. Alle Überlegungen waren zwecklos. Meine Gefühle waren stärker, als mein Verstand es war. "Rein Freundschaftlich", bestätigte ich ihm seine Aussage und ignorierte das Kribbeln an den Stellen, an denen er mich berührte. Sonst wäre ich möglicherweise noch verrückt geworden. Sein Atem streifte meine Haut, während seine Augen an meinen Lippen klebten. Dann berühren unsre Lippen sich und in diesem Moment fragte ich wieso dieses Gefühl gut war obwohl das hier mehr als nur Falsch war. Diesen Kuss hätte es nicht geben sollen. Er hätte mich nicht auf den Boden drücken sollen. Diese Kuss hätte kurzer sein sollen. Wir hätten dabei nicht Lächeln sollen. Ich hätte nein sagen sollen, dass hier war nämlich schon lange nicht mehr nur Freundschaftlich. Egal wie oft wir uns es versuchten einzureden. Aber wir hatten beide Angst. Es gab keine Zukunft für ihn und keine Zukunft für ein uns. Deshalb beließen wir es bei einer Freundschaft und zwei Küssen. Es war albern keine Frage. Besser hätten wir die Zeit zusammen genossen, dennoch wollte er mir mein Herz nicht brechen. Er sah ja wie schlecht es mir ging, wenn ich ihn so sah. Erneut ertönte ein Klopfen und ruckartig lösten wir uns voneinander. Beinahe erschrocken blickten wir uns entgegen. Erst in diesem Moment wurde zumindest mir klar, dass das ein viel zu langer Kuss gewesen war. "Herein", beteuerte ich, während meine Augen in Carlos sahen. Die Luft fehlte mir erneut. Wie funktionierte noch einmal das Atmen? Lu betrat das Badezimmer und betrachtete Carlo genauer. Sie schnappte nach Luft, als sie die vielen Haare erblickte und ließ sich ebenfalls auf dem Boden nieder. Sie wusste das wir das machen wollten. Aber nun war es getan und nicht mehr rückgängig zu machen. Die Zeilen wurden bereits geschrieben. Das war etwas ganz anderes. Lu blickte an mir vorbei zu Carlo, wodurch unser Augenkontakt aufgelöst wurde und ich auftauchte. Sie reichte Carlo ihre Kappe, die er dankend annahm und sie sich aufsetzte. "Ich muss gehen", beteuerte ich, stand auf und lächelte die beiden an. Dieser Kuss, er verwirrte mich so. Ich wollte wegrennen vor allem. "Kommst du morgen wieder?", fragte er, wobei ich den Zweifel in seiner Stimme erkannte. Warum musste sich das auch so richtig anfühlen? Es war doch falsch. Ich hätte nicht mehr kommen sollen.
Trotzdem bejahte ich seine Frage, bevor ich durch die Türe trat.

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Der Maskenball (Cro Ff)
Romance"Wenn du aufhören würdest daran zu denken, würde es nicht mehr so schmerzen." "Das geht aber nicht. Ich kann nicht." . Ich hielt an der Vergangenheit fest, weil ich Angst vor der Zukunft hatte und die Mas...