Auf den Balkon stand ich und ließ meinem Blick über Stuttgart schweifen. Und während die anderen scheinbar schliefen und Sorgenlos aussahen, war ich viel zu wach, um mich hinzulegen, weshalb meine Augen offen blieben und ich hier stand. Aber auch weil ich die kühle Nachtluft liebte, ich liebte es in der Nacht draußen zu stehen, ich liebte den Blick über Stuttgart und noch viel mehr. Alles was ich eigentlich wollte war hier. Alles was ich brauchte war genau in dieser Stadt, doch irgendwas ließ mich das nicht kapieren. Irgendetwas in mir meinte, dass ich nach einigen Tage wieder nach Hause sollte. Es wollte, dass ich nicht losließ und ich hörte darauf. Weil ich vor dem anderen Angst hatte. Weil es anders war.
"Kannst du auch nicht schlafen?" Seine Stimme durchbrach die Stille und erhellte die Dunkelheit. Doch auch wenn er mir eine Frage gestellt hatte, so erwartete er anscheinend keine Antwort darauf. Jedenfalls machte er nicht den Anschein, als wär er daran interessiert.
Mit große Schritte näherten er sich mir, bis er neben mich getreten war, das Geländer mit beiden Händen umfasst hatte, seinen Kopf in meine Richtung gedreht hatte und leise meinte "Ich auch nicht." Lächelnd drehte ich meinen Kopf ebenfalls auf die Seite und blickte in sein Gesicht, welches nicht zu durchschauen war. Ich konnte keine Trauer, noch Wut und keinerlei Enttäuschung in seinem Ausdruck bemerken und doch war da etwas unbeschreibliches in seinem Gesicht. Etwas was so aussah wie Glück.
Aber seines Schlussfolgerung war falsch. Nur weil ich hier stand hieß das nichts. Eigentlich hätte ich schlafen können, aber ich wollte nicht. Ich wollte hier stehen und nachdenken. Das schien mir grundsätzlich sinnvoller zu sein. Mein Blick schlich von seinem Gesicht zu seinem Körper, seiner Körperspannung und seiner Kleidung. "Ohne Anzug siehst du anders aus." Er schmunzelte und wendete seinen Blick vor sich, sodass nun selbst er Stuttgart betrachtete. "War das ein Kompliment?" Ich dachte zurück an die Perfektion, die er einst an sich trug, wie jedes seiner Worte kalt und herablassend klang und ich so fasziniert von dem war was er tat. Wo der Anzug zu ihm schien zu gehören und ich dachte er würde kein anderes Kleidungsstück besitzen. Das war vor einigen Tagen gewesen, da hatte ich gedacht, ich würde ihn hassen und kurz darauf war ich mir sicher ihn zu lieben. In kurzer Zeit hatte ich so viele Gefühle gehabt, die ich mit ihm verband. Es war so viel passiert. Jetzt stand er neben mir ohne Anzug nur mit einem weißen T-Shirt und einer Jogginghose. Es sah anders aus. Seltsam, eigenartig, einfach nur komisch. Nicht wie der Mudrack, den ich kennengelernt hatte. Er war nicht mehr derjenige den er mir vorgespielt hatte. Die Karten lagen offen auf dem Tisch. "Ja, sozusagen." Ich wusste nicht, ob er meine Wörter überhaupt noch gehört hatte. Möglicherweise war er ja schon wieder in seiner Gedankenwelt versunken gewesen, als ich die Wörter gesagt hatte. Denn sein Blick war starr über Stuttgart gerichtet und angeschlagen meinte er, ohne jeglichen Zusammenhang zu unsere Vorgespräch, dass er diese Stadt so vermisst hatte. Er hatte die Freiheit hier vermisst und die Menschen, die ihm diese Freiheit gaben.
Er blickte über die Stadt so als würde er gerade etwas suchen. Dabei hätte er es in der Dunkelheit sowieso nicht gefunden. "Warum schläfst du denn nicht?", hauchte ich ihm entgegen, doch seine Augen blieben über Stuttgart hängen. Ich wollte seine Aufmerksamkeit, diese bekam ich jedoch nicht. Vielleicht dachte er darüber nach was er sagen sollte, vielleicht war er deswegen so lange leise geblieben. Ich weiß es nicht. Das einzige was ich weiß ist, dass er meine Frage dann doch beantwortete. "Ich wollte mit dir reden." Ich musste schlucken, als ich seine Worte wahrnahm. So etwas war doch nie positive gewesen, beinahe klang es so als wolle er mit mir Schluss machen. Jedoch waren wir nicht zusammen und gefeuert hatte er mich schon. Zwischen uns konnte sich doch nichts mehr zum Negativen verändern. Wir konnten nichts mehr verlieren. "Also, dann schieß los." Meine Stimme klang so unsicher, dabei hätte sie voller Elan sein sollen. Allerdings kontrollierte mich die Angst, die Unsicherheit und bei einem war ich mir sicher, wäre es Ben gewesen der soetwas gesagt hätte, wäre ich wegen diesen paar Wörtern gestorben.
Leo holte sich eine Zigarette aus seiner Hosentasche, steckte sie sich in den Mund und zündete sie an. Der Rauch stieg in die Luft und dann war er bereit Klartext zu sprechen. Mir zu sagen wieso er denn jetzt bei mir stand und nicht schlief. "Ich hab viel nachgedacht und ich bin der Meinung du bist einigen Leuten etwas schuldig." Kurze Stille, dann überwand er sich weiter zu sprechen. "Deine Worte haben so vielen Menschen geholfen, jetzt musst du Taten zeigen damit deine Worte ihren Zweck erfüllen. Alaska Lunack du musst den Menschen zeigen wer du wirklich bist. Das du noch lebst, damit niemand den gleichen Fehler macht wie Carlo." Mit seiner einen Hand wühlte er in seiner Jackentasche herum, bis er ein Stück Papier fand und es mir reichte. Es war ein ganz gewöhnlicher Zeitungsartikel auf den ernsten Blick und auf dem zweiten Blick war es eine Einladung für das Maskenmädchen bei der Eröffnung eines Museums nahe der Stadt dabeizusein und eine Rede zu halten. Alles würde live übertragen werden. Es sollte ein ganz großes Ding sein. Ich sollte also kommen. Ich sollte dabei sein und eine Rede halten und somit abschließen mit einem Abschnitt meines Lebens. Der Artikel in meiner Hand wurde aufeinmal so schwer als ich das Datum las, das ich ihn nicht mehr halten konnte. Dieses Ereignis war heute um zehn Uhr in der Früh. Also hatte ich in einigen Stunden entweder mit diesem Teil in mir abgeschlossen oder ich hing darin fest. "Ich kann das doch nicht. Nicht schon morgen", sagte ich stockend, trat einige Schritte zurück und setzte mich auf die Gartenbank die hier ihren Platz gefunden hatte. Der Boden unter meinen Füßen zerbrach. "Doch du kannst und das weißt du auch. Du kannst, aber anscheinend willst du nicht." Er nahm meine Hände in seine und kniete sich vor mich hin. Seine
Zigarette hatte inzwischen den Weg zum Boden erreicht und glühte dort ihre letzten Sekunden aus. "Darf ich dich was fragen?" Seine Augen sahen mich gespannt an und ohne je gezögert zu haben nickte er. "Warum hast du mich die ganze Zeit über gesiezt?" Er kniff seine Augen zusammen und atmete dann bedauernd aus. Diese Frage war im
Grunde genommen zu unwichtig um darauf eine Antwort zu bekommen. Man hätte sie einfach vergessen können. Aber ich musste sie stellen. Eine Antwort darauf bekommen. "Um Abstand zu gewinnen, damit du vergessen kannst ohne dich zu sehr an mich zu gewöhnen." Die Antwort die er mir gab war kurz und direkt. Das was er jedoch mit dem bezwecken wollte was er die letzten Tage getan hatte damit ich mich nicht in ihn verliebte, war kläglich gescheitert. Ich hatte mich in das arrogante Arschloch verliebt, das er vorgespielt hatte. Manche würden es als eine Überkorrektur bezeichnen. Was soviel bedeutete das ich mich in das Komplette Gegenteil von Carlo verliebt hatte. Denn Leo hatte nichts von Carlo an sich. Er war als mein Chef jemand erwachsenes, er war verantwortungsbewusstes gewesen also das genaue Gegenteil von meiner einstigen großen Liebe.
"Und warum bist du wirklich mit mir zu dem See gegangen?" Langsam stand er auf und setzte sich neben mich hin. Ich folgte jeden seiner Bewegungen, bis er schließlich seinen Arm um mich legte. Ich hatte so viele Fragen an ihn und ich war mir nicht sicher, ob ich noch Zeit hatte, ihm diese nach dieser Nacht zu stellen. "Dieser See ist wunderschön findest du nicht? Ich wollte das du glücklich bist. Nur deswegen sind wir dorthin gefahren. Das war total spontan. Eigentlich wollte ich gerade nachhause fahren und dann ranntest du vor meinem Wagen verrückt nicht?" Ja, so hätte man es nennen können. Es war wirklich verrückt. Doch anstatt ihm zu antworten, fragte ich weiter. Ich brauchte die Antworten, die ich schon so lange suchte und ich war mir sicher, dass nur er sie mir geben würde. "Warum hast du mich erst so spät gefeuert? Was hat es die gebracht und was hat Markus mit dem ganzen zu tun?" Er drückte mich näher an sich, sodass ich seinen Geruch einatmete und dann sprach er so viele Worte. Sodass ich endlich anfing zu begreifen. "Ben hat gesehen, dass alles bergab mit dem Blog ging und selbst ich hatte es bei unserem ersten Treffen bemerkt, dass nichts in deinem Leben okay war. Wir haben alle gedacht, dass wenn du jemand hast dem du helfen kannst, den Blog weiterführen würdest und Markus war gerade bei seinem Opa zu besuch. Carlo hat gesagt wir sollten in dein Leben treten, aber erst nachdem du mit deinem Blog aufgehört hast. Darum ist Ben nie zu dir gekommen und auch wenn er es immer gewollt hatte mir dir zu reden, so hatte er dann doch Angst, dass du ihn jetzt nicht mehr wieder sehen möchtest. Wir hatten alle Angst vor der Zukunft und darum war Markus da und darum hab ich dich erst später gefeuert. Weil du deinen Blog erst später geschlossen hast." Leicht hatte ich angefangen zu zittern, doch jetzt gab es nur noch eine Frage die ich ihm stellen musste. "Und was würdest du in meiner Situation tun? Würdest du zu diesem Treffen gehen?" Er wendete seinen Kopf von mir ab. Sah mich nicht mehr an und dann plötzlich reichte er mir etwas kleines, etwas weißes, ohne mich auch nur einmal anzusehen. "Ja, aber nicht ohne Maske. Immerhin bist du das Maskenmädchen."
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Der Maskenball (Cro Ff)
Romance"Wenn du aufhören würdest daran zu denken, würde es nicht mehr so schmerzen." "Das geht aber nicht. Ich kann nicht." . Ich hielt an der Vergangenheit fest, weil ich Angst vor der Zukunft hatte und die Mas...