[10] man

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Ihr Blick schweifte durch meinen kleinen Eingangsbereich und blieb auf dem einen Foto, welches über den Kleiderhacken hing, mit ihren Augen hängen. Ihr Körper war starr, als sie es betrachtete während ihr Aussdruck mit der Zeit immer weicher wurde und
auch mich überkam ein mulmiges Gefühl, als ich es länger betrachtete. Dieses unscheinbare kleine Foto in dem schwarzen Rahmen löste Gefühle in mir aus. So viele, so viele verschiedene. Doch beschreiben hätte ich sie nicht können. Einerseits waren sie gut und andererseits unsagbar schlecht. Mein Herz klopfte mir bist zum Hals und mein Atem wurde schwerer. Vieles vergaß ich mit der Zeit, Geburtstage, Lieder, manchmal sogar selbst die Zeit, das Leben, glücklich zu sein, Gefühle zu zeigen aber nie hätte ich die Momente mit ihm vergessen können. Mein Atem wurde immer unregelmäßiger, bis es sogar Johanna bemerkte, sich um drehte und mich ansah. Verwirrt musterte sie mich von oben bis unten,sah wie ich da stand und den Tränen nahe war, nach Luft schnappte. Die Maske absetzen musste. Erinnerungen taten so unfassbar weh. "Wer ist das?", fragte sie leise, wollte Beachtung von mir bekommen und schien sich ihrer Frage doch nicht ganz sicher gewesen zu sein. Mein Mund war trocken und die Wörter drehten sich in meinem Kopf um, während ich den blassen Typen auf dem Foto ansah. Seine braunen Augen stachen mir entgegen. Sie hatten so eine schöne Farbe. Wie gerne ich für immer in sie gesehen hätte. Braun war nämlich nicht immer gleich braun. Seines war besonders. Er war es.
Eine schwarze Mütze hatte er bis kurz vor seine Augen gezogen. Ein breites Lächeln zierte sein kantiges und mageres Gesicht, während er der Kamera seine Zunge entgegenstreckte. Ich saß neben ihm, hatte meinen Arm um seine Schulter geschlungen, lächelte bedrückt und betrachtete ihn traurig von der Seite aus. An diesen Tag konnte ich mich so gut erinnern. Er wollte das ich fröhlich war, aber dazu war ich nicht in der Lage. Die meiste Zeit hatte ich mein Gesicht verzogen. Traurig in den Tag gestarrt. Nur für das Foto änderte ich meinen Ausdruck. Nur für einen Moment, für eine Erinnerung, für ihn. "Er war mein Freund", murmelte ich und umfasste das Bild mit beiden Händen, nahm es von der Wand herunter und sah den silbern glänzenden Nagel darunter, der nun die Wand mit seiner Anwesenheit schmückte. Dieses Bild hätte ich schon früher abnehmen sollen. Vor Jahren. Abschließen und das ganze Zeug. Doch ich konnte nicht. Soetwas konnte ich noch nie. Mein Finger fuhren ein letztes mal seinem Umrissen nach dann entfernte ich mich von der Wand. Neben der Tür stand eine kleine Komode, in die ich es verkehrt hinein legte. Sodass man die Seite mit dem Bild nicht erkennen konnte. Dann sah ich zu Johanna hin. "Was ist passiert?" So klein, so süß, so neugierig. Wie ich es auch einmal war. "Lange Geschichte", murmelte ich nur und quetschte ein Lächeln hervor. Sah das Misstrauen in ihr und verstand es. Ich war ein tolles Vorbild. Zerbrach innerlich und konnte dies nicht einmal verstecken. Wie konnte sie nur vertrauen zu so einer Person bekommen? Ich war kaputt. "Kurze Zusammenfassung." Atempause. "Wir sprechen nicht mehr miteinander." Ich sah wie Fragen sich in ihrem Kopf türmten. Darauf ging ich aber nicht ein. Die Tür die ich offen gelassen hatte schloss ich, zog meine Sachen aus und verschwand in der Küche.

Meine Hände ließ ich völlig aufgelöst auf der Arbeitsplatte nieder und versuchte meine Atmung zu kontrollieren. Am liebsten wäre ich in mein Bett gegangen und hätte mich dort eingerollt. Dort für mehrere Stunden versteckt. Doch nun hatte ich ein Kind bei mir. Jemand der auf mich brauchte. Für sie musste ich stark sein und meine Maske aufrecht erhalten, sodass sie eine Möglichkeit bekam sie runter zu nehmen. Ich tat es für sie.
Leise Schritte kamen näher und ich stellte mich wieder aufrecht hin. Wischte mir meine Haare hinter die Ohren und drehte mich um, setzte die Maske wieder auf, sodass ich beobachten konnte wie sie die Küche betrat und sich senkrecht hinstellte. Johanna Lieb wie ich erfahren hatte. Manches hatte sie mir während wir hier her gekommen waren erzählt. Sich den Kummer von der Seele gesprochen. Erleichterung gespürt. Anscheinend hatte sie die Schule abgebrochen. Ihre Noten waren gut, Deutsch war ihr Lieblingsfach, sie hatte sogar eine Klasse übersprungen, aber niemand hatte es gekümmert. Niemand hatte sie dafür gelobt. Es gab niemanden, dem es aufgefallen wäre, wie gut sie war. Ehrlich gesagt tat sie mir leid. Meine Eltern hatten mir bei einer guten Note immer ein Lächeln geschenkt. Es war nicht viel, aber ich bekam liebe. Sie bekam nichts außer Abneigung. Der Streber der Klasse, gemobbt und verspottet und vor einem Jahr war sie aus dem überfülltem Weisenhaus ausgebrochen. Keine Vermisstenanzeige, gar nichts.
Sie war alleine und niemand interessierte es. So oft wurde sie ignoriert, das restliche letzte Jahr hatte sie bei einer älteren Frau gewohnt. Sie bekam dort vieles. Essen, trinken, Kleidung, ihrer Ansicht nach aber keine Liebe. Deshalb war sie von ihr fort gegangen. Von der einzigen Frau, die ihr zeigte, dass sie nicht unsichtbar war. Weil sie so nicht mehr weiter leben wollte. Ihre Vergangenheit war grausam zu ihr gewesen. Denn was ist es Wert auf der Welt zu sein, wenn man alleine ist?. "Willst du dich duschen?", fragte ich und sie nickte den Kopf dabei gesenkt. Peinlich berührt starrte sie auf den Boden. Die Situation vorhin hatte sie wohl überfordert. Ich war doch gleich wie alle anderen zuvor. Abweisend und kalt. Vielleicht hatte sie schon daran gedacht, doch zu der Brücke zu gehen. Jedoch noch stand sie da. "Und nacher trinken wir einen Kakao?", fügte ich hinzu um zu beweisen das alles gut war. Ihre Mundwinkel zuckten kurz nach oben. Amüsiert über diese Worte funkelten mich ihre Augen schwach an. "Kaffee?", fragte sie unsicher nach und ich bestätigte diesen Plan. Kaffee war im Grunde genommen vielleicht sogar besser um sich abzulenken als Kakao. Er half gegen Müdigkeit.

"Ich bin schon lange kein Kind mehr", beteuerte Jojo flüsternd, als ich vor in mein Zimmer ging und meine Schranktüre öffnete. Zu alt für Kakao. Was dieses Lang wohl für sie bedeutete. Seid wann musste sie erwachsen sein? Was war für sie lang? Wie viele Jahre war sie schon erwachsen gewesen, bevor ich auf sie getroffen war?
Ich wüllte in meinem Schrank herum, betrachte einige Oberteile und Hosen bis ich mich schließlich entschieden hatte und warf ihr ein Top und eine kurze schwarze Hotpan zu. Es war devinitv noch zu warm für einen Pullover. Ihre Augen wurden größer, als sie die Kleidung ansah, ihr Blick fiel auf ihre Arme. Stumm stand sie da und traute sich nichts zu sagen. Diese Narben waren ihr Peinlich.
"Ich habe sie gesehen", gestand ich und öffnete eine Schublade um ihr ein Handtuch zu reichen. Ihrem Blick aus dem Weg zu gehen. Erst als ich es ihr überreichte sah ich in ihr Gesicht. Es hatte etwas tröstendes an sich. Langsam streckte ich meine Hand aus und streichelte ihr über die Wange. "Ich verurteile dich deswegen nicht. Bei mir kannst du dich so zeigen", redete ich ihr zu. Sie war nicht die erste, die ich so gesehen hatte. "Okay", hauchte sie in die Stille. Es war unsicher und ängstlich aber mit so viel Hoffnung in sich. Möglicherweise brauchte ich sie auch. Die Hoffnung, die sie ausstrahlte. Johanna gab mir wohl mehr als ich ihr je geben hätte können. Ich nahm ihre Hand in meine und drückte sie fest. "Das hier ist unser Neuanfang." Hastig nickte sie, lächelte und drückte ebenfalls meine Hand. Zusammen war so etwas doch um einiges leichter, als alleine. Ohne etwas zu tun standen wir lange einfach da. Ihre Nähe war erfrischend so kühl. Damals wusste ich es noch nicht, aber das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Die Scherben am Boden hatte sie glücklicherweise nicht bemerkt, als wir das Zimmer verlassen hatten. Den Geruch vom Schnaps musste sie dennoch gerochen haben. Das ganze Zimmer stank dannach. Mein Magen verkrampfte sich bei dem Geruch immer noch und Übelkeit bekam mich.

Johanna verschwand im Badezimmer und ließ mich alleine in der Küche zurück. Normalerweise schaltete ich den Radio immer ein, wenn mich dieses Gefühl überkam. Aber diese Lieder waren ausschließlich für mich gedacht. Niemand sollte sie außer mir jemals hören. Er hatte sie mir geschenkt.

Neugieig sah ich auf mein Handy hinab und erblickte einen verpassten Anruf von Lina und eine SMS. Vanessa hatte nichts mehr geschrieben. Dafür aber schrieb ich ihr nun. Nicht mal einen Monat hatten wir mehr.

>>Hey! Sorry, dass ich dich gestern ignoriert hatte, aber das kam mir einfach zu schnell. Dieses Datum und die Erinnerungen bringen mich so durcheinander. Ich weiß ich hab dir versprochen abgeschlossen zu haben. Aber die Narben sind noch da. Meld dich bitte. ~Alaska <<

Der Maskenball (Cro Ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt