[17] Hülle

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Vergessen!", schrie ich und schnappte krampfhaft nach Luft. Meine Haare hingen meine Schultern herab und einige der nassen Strähnen hingen mir mitten in mein Gesicht. Leo betrachtete mich vom Ufer aus, während er seine Hände am Lagerfeuer wärmte. Einige Male schrie er meinen Namen und bat mich aus dem Wasser zu kommen. Es sei zu gefährlich, ich würde krank werden. Doch nach diesen Erinnerungen wollte ich nur noch abtauchen und nie wieder die Oberfläche sehen. Möglicherweise auch einfach nur aufwachen.
Meine Lungen füllte ich mit Luft und tauchte ab. Dunkelheit umhüllte mich, während das laute Rauschen des Baches mir bestätigte, dass ich nicht wegtrieb. Ich öffnete meinen Mund und schrie. Doch außer einigen Blasen drang nichts zur Oberfläche durch. Ich schrie und wehrte mich gegen den Schmerz tief in mir, der nicht verschwienden wollten.
In manchen Momenten lächelte ich über das alles. Über ihn über mich, über unsere kleinen Abenteuer. In der Nacht aber holte mich alles ein.
Die Luft ging mir langsam aus und ich tauchte auf. Erleichterung machte sich in mir breit, als ich die Oberfläche erreichte. Die Sonne warf ihre letzten Strahlen zu uns, worauf die Wärme sich ruckartig sank.
Nur einmal noch, schwor ich mir leise und tauchte erneut ab.
Meinen Mund öffnete ich und probierte zu atmen. Es funktionierte nicht und kurze Zeit später war ich schon aufgetaucht und schwamm ans Ufer. Die Gedankenzüge von damals brannten in mir. Ohne ihn ertrank ich in dieser Welt.

Leo ging auf mich zu und legte seine Jacke über meine Schultern. "Sie sind verrückt", sagte er und ging wieder zurück zum Lagerfeuer. Ich folgte ihm und dachte dabei nur daran wie recht er hatte. Ich war eine Irre. Sprang einfach so in den See und versuchte zu atmen. Aber es funktionierte nicht.
Er reichte mir einen Holzstab und reichte mir die Packung Würstchen hinüber, sodass ich eines aufspießen
konnte. In diesen Moment hatte ich so einen Hunger bekommen. Ich streckte den Stab zum Feuer aus, um mein Essen zu wärmen und umklammerte mit der freien Hand das schwarze Jackett. "Wo haben Sie das Essen gekauft?", fragte ich und lehnte mich an einen Baumstumpf, der hinter mir stand, an. Der Duft von Fleisch wirbelte durch die Luft und tief atmete ich sie ein. "Aus einem Supermarkt", meinte er mit einem fahlen Unterton, trank einen Schluck aus seinem Bier und erklärte weiter "Zehn Kilometer von hier entfernt. Ein Katzensprung mit dem Auto." Ich nickte und ließ den Smalltalk liegen. Das Gefühl, dass ich noch etwas sagen sollte war nicht da. Die Gespräche mit ihm endeten immer wieder so komisch. Dabei wollte ich in der Normalität leben. Ich entfernte das Würstchen vom Spieß und biss ab.
Aß schweigend weiter
"Was bedrückt Sie Frau Lunack?", fragte er, als ich mit Tränen in den Augen zum Horizont blickte. Und die Maske fiel, und fiel und fiel auf den kalten Boden. Tausend Scherben lagen vor uns verteilt und ich schrie nach Hilfe, die ich nicht annehmen wollte. "Das Sie mich mit dem Nachnamen ansprechen. Sie haben mich gefeuert. Sie müssen mich nicht mehr so ansprechen. Neben Ihnen fühle ich mich immer so alt", murmelte ich und fuhr den wenigen Falten in meinem Gesicht nach. Zählte die Neuen auch wenn dies unmöglich  schien. "Das ist nicht das einzige, Frau Lunack." Gefühlslos nickte ich, sprach aber das Thema nicht an, sondern sprach meine Gedanken laut aus. "Das ist doch alles reine Nebensache oder interessiert Sie mein langweiliges Leben? Es interessiert doch nicht mal mich, Herr Mudrack." Langsam rutschte er mir näher und drehte meinen Kopf mit dem Zeigefinger zu sich, sodass er meine Augen im Glanz des Lagefeuers sehen konnte. "Alaska, ich weiß zwar nicht wie sie es geschafft haben, aber sie sind zu der Hauptrolle meines Films geworden." Meine Augen weiteten sich und unschlüssig sah ich ihn an. Seine Stimme wirkte ehrlich. "Ich weiß, dass hier war nicht der beste Start, aber immerhin auch nicht der schlimmste." Ein Lächeln zog sich über sein Gesicht und langsam senkte er seine Hand. Dann war sie weg und ich wollte, dass sie mich wieder hielt. Ich vertrauten dem Mann vor mir und ich fing an zu erzählen."Ich möchte nur vergessen und das schon seit einer unglaublich langen Zeit." Nachdenklich studierte er mein Gesicht und blickte anschließend Richtung Lagerfeuer auf dem sein Essen jämmerlich verschmort war. Ohne jedoch auch nur eine Bemerkung dazu, warf er es in die Flamme und nahm das nächste Würstchen aus der Packung um es aufzuspießen. "Etwas oder jemanden?" "Jemanden." "Erzähl mir mehr über ihn", befahl er. Mir blieb die Spucke im Hals stecken. Leonardo bemerkte es und reichte mir sein Bier woraus ich einen Schluck nahm. "Sein Name war Carlo", fing ich stotternd an. Seine Gesichtszüge wurden bei dem Namen weicher und mir wurde bei ihm schlecht. Die ganzen Erinnerungen, gingen über, die ganzen Gefühle. "Wir waren beste Freunde, bis vor ein paar Jahren. Er hat mir so vieles Gezeigt, er hat mir so vieles erklärt, mit ihm hatte ich meinen ersten Kuss. Er war immer für mich da und dann haben sich unsere Wege getrennt. Von den einem auf den anderen Tag. Wir haben uns nicht einmal voneinander verabschiedet. Er hat mir mein Herz gebrochen und trotzdem Träume ich jede Nacht von ihm. Die Erinnerung tut so weh, aber ich bin anscheinend noch nicht bereit loszulassen, sonst könnte ich doch endlich normal schlafen. Wieder ein beides Leben beginnen. Ich meine die Träume kommen nicht immer von ihm, aber zurzeit kommen die Träume jede Nacht und sogar Tags und an diesen Tagen tut es so weh wie am Anfang. Ich bin ein Weichei ich weiß. Ich weine oft ich bin nicht gerade die stärkste Person. Aber nach diesen Träumen habe ich dazu einfach keine Kraft. Es fühlt sich alles so realistisch an." Das Feuer knirschte und einzelne Funken fielen wieder auf den Boden. Außer dieser Quelle war sonst nichts hier und außer diesem Geräusch war es still nur der Bach verlieh dem ganzen ein wenig Leben. "Was vermisst du an ihm am meistens." Ich zuckte mit den Schultern. "Herr Psychiater, ich vermisse alles an ihm. Sein Geruch, seine Stimme, seine Nähe." Ich biss mir in die Hand und übertönte den Schmerz. Ich war so abhängig von ihm gewesen und war es sogar immer noch. "Manchmal vermiss ich die Tage an denen ich noch ein Kind war. Damals habe ich nicht nachgedacht, wie man glücklich ist. Ich war es einfach und es war toll." Zustimmend sah er mich an. Seine Augen verfingen sich in meinen und plötzlich sah ich das Elend in Ihnen. Warum hatte ich nicht hingesehen? Verdammt auch er trug eine Maske und seine war sogar noch Heil. Er war nicht besser als ich dran. "Wer war sie?", flüsterte ich und lehnte mich an seiner Schulter an. Seine Hand ballte er zu einer Faust und richtete seine Haltung, sodass er wieder gerade saß. "Maya. Sie war wunderschön." Von der Seite blickte ich ihn an. "Was ist passiert?" "Vieles. So unglaublich vieles. Wir passten am Anfang so unbeschreiblichperfekt zusammen, aber es hat irgendwann nicht mehr funktioniert. Sie war immer für mich da, so war es nicht, sie war die perfekte Frau für mich. Ich liebte sie so abgöttisch." Er schloss seine Augen und lächelte leicht. "Aber ich war nie für sie da. Selbst wenn ich dann da war. Ich musste doch arbeiten." Schweigen.
"Wir sind hoffnungslose Fälle. Das mit dem Abschließen sollten wir noch lernen", flüsterte ich in sein Ohr. Er lachte. "Ja sollten wir." "Wir sind furchtbar" "Sind wir?"
Seine Augen trafen wieder auf meine. Nun jedoch mit noch mehr Sympathie. Mit jeder Sekunde mochte ich ihn lieber.
Seine Hand legte er auf meiner Wange ab und meine vergrub ich in seinen Haaren. Mein Herz pochte immer schneller und heute war der Alkohol daran nicht Schuld. Wir grinsten uns blöd an und probierten uns zu entscheiden, ob es nun richtig oder Falsch wäre. Meine Lippen näherten sich seinen immer mehr. "Werden wir das hier bereuen?", fragte ich, während mein Kopf zwischen seinen Händen lag. "Keine Ahnung", flüsterte er. "Wir werden es bestimmt bereuen." Ich schluckte und zog an seiner Karawatte, sodass er seine Hände kurz löste, um sie zu lockern. "Nur ein Kuss." Es war so komisch, wie richtig sich das alles anhörte. "Ein Kuss", hauchte ich gegen seinen Mund und sah wie sich sein Kopf nach vorne bewegte. "Und dann?", fragte ich, seine Schultern hebten sich, um sich anschließend zu senken. "Gibt es ein dann?" Unentschlossen biss ich mir auf die Unterlippe. Vielleicht gab es das. "Sollten wir darüber jetzt nach denken?" Er schüttelte seinen Kopf und zog mich zu sich er her. Seine Lippen auf meinen. Meine auf seinen.
Und für einen Moment war ich wunschlos glücklich.

Der Maskenball (Cro Ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt