[25] die

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Durch das verdreckte Fenster der Tankstelle beobachtete ich Johanna, die sich an mein Auto angelehnt hatte, wie sie genüsslich an einer Zigarette zog. Ich biss mir auf die Unterlippe, presste die Tüte Chips und die Cola Flasche an meine Brust und trat einen Schritt näher zur Kasse.
Die Zigarette fand ihren Weg zum Boden, auf dem sie zerstampft wurde und entgeistert kniff ich meine Augen zusammen. Das hätte so schief gehen können. Bei einer Tankstelle sollte man nicht rauchen. Jojo holte sich die zweite Zigarette aus ihrer Jackentasche heraus und in diesem Moment fragte ich mich nur woher sie die Packung hatte. Ihre Sachen waren frisch gewaschen, niergends hatte ich auch nur eine gesehen und besorgt hatte ich ihr keine.
Erneut trat ich einen Schritt näher, wendete meinen Blick jedoch von draußen ab. Erforschend sah ich durch die Regale, blickte vor mir die Schlange an, sah jedoch nichts interessantes für das sich näheres hinschauen gelohnt hätte. Noch ein Schritt nach vorne und obwohl ich mir innerlich geschworen hatte nicht mehr nach draußen zu sehen, beobachtete ich sie schon zum dritten Mal wie sie eine Zigarette anzündete und seufzte lediglich ein wenig enttäuscht auf. "Nichtraucher?", hauchte mir eine Stimme ans Ohr und erschrocken drehte ich mich um. Seine Augen trafen auf meine und für einem Moment wünschte ich mir aufzutauchen und nicht mehr zu versinken. "Aber wie?", stotterte ich und hielt die Luft an, während er mich schmunzelnd ansah. Wie klein die Welt doch war. "Zufall würd ich meinen. Das ist doch die kleine Johanna von der Sie gesprochen hatten oder?", fragte er, während er auf sie deutete. Ich nickte, während sich alle meine Haare aufstellten. Je näher er mir kam, desto schneller schlug mein Herz und es wurde immer lauter. "Wenn ich in ihre Erziehungsmethoden eingegriffen hab, tut es mir leid", gab er bekannt und sah über mich die Schlange vor mir an, wobei ihm ein lauter Seufzer entfuhr. "Die Zigaretten sind von Ihnen?" Er nickte und wir traten einen Schritt näher zur Kasse. "So schnell kann man sich so was nicht abgewöhnen, vor allem wenn man innerlich schon aufgegeben hat." Meine Augen wurden bei seinen Wörtern größer. Allerdings nicht vor Empörung, sondern weil er recht hatte. Sie hatte diese Sucht, dagegen konnte ich nichts machen. Durch keines meiner Wörter wäre sie sofort clean gewesen. "Wissen Sie ich hab zuvor mit ihr geredet und sie ist wirklich nett, wegen dieser Kleinigkeit sollten sie nicht enttäuscht sein. Sie versucht sich zu bessern." Er musterte sie ebenfalls von hier aus und ignorierte dabei die Personen, die an uns vorbei gingen, um ihre Waren zu bezahlen. So wie er sie ansah wirkte er beinahe fasziniert von ihr. "Rauchen ist toll, das verstehen Sie wahrscheinlich nicht. Aber wenn Sie es auch nur einmal probieren würden, Sie würden es." Er trat an mir vorbei und lief zum Kassierer vor, nahm mir meine Sachen aus der Hand und ehe ich mich versah drückte er mir eine Tüte in die Hand und deutete mit seinem
Finger auf ihren Boden. Einige Zigarettenpackungen lagen unten. "Leo...was wird das?" Er legte seine Hand an meine Wange und zog meinen Kopf zu sich, um mich zu küssen. Ich schloss meine Augen und genoss den kleinen Augenblick, der meiner Meinung nach viel zu früh sein Ende gefunden hatte. Denn ehe ich mich versah, war er schon verschwunden und ich stand umgeben von Leuten und dann doch so alleine in diesem Laden, mit einem Sack voller Zigaretten.
Lange sah ich auf die geschlossene Türe. Er war so schnell verschwunden, wie er aufgetaucht war.
Dabei war mir immer noch unklar, wieso er überhaupt hier gewesen war. Mit leeren Händen war er gekommen und wieder abgefahren. Warum aber war er denn eigentlich gekommen?
Lange starrte ich gerade aus, blieb still stehen und tat nichts.
Dann irgendwann spürte ich wie jemand mein Handgelenk packte, ich spürte den Druck ganz deutlich und wendete meinem Blick, sobald ich ihn auch mit meinem Verstand wahrnahm, in das Gesicht von einem Mann mit den grauen Haaren und einem Aussdruck im Gesicht, als wäre ich gerade dabei zu sterben. Er hielt meine Hand fest und bewegte seinen Mund, sodass er sich öffnete und wieder schloss. Ob er etwas sagte war mir unklar. Da war nur dieses Rauschen.
Mein Blick war leer und ich fühlte mich verloren. Leo war der ersten bei dem ich wieder etwas fühlte. Der erste bei dem mir mein Herz wieder bis zum Hals schlug. Er war der erste nach Carlo, der die Raupen in meinem Bauch zu Schmetterlingen machte. Ich fühlte mich in seiner Gegenwart immer so, als konnte ich normal weiter leben. Als wäre meine Vergangenheit unwichtig und als würde er mich auffordern wieder anzufangen im Jetzt zu leben. Aber eine Zukunft hatten wir nicht. Ich war mir hundert prozentig sicher. Vielleicht war das zwischen uns ja Liebe. Möglicherweise hatte ich mich schon in Leonardo hoffnungslos verliebt. Im Jetzt zu leben war für mich dennoch nur reine Illusion. Jeder forderte mich dazu auf. Ich konnte allerdings nicht. Carlo kam immer wieder in meinen Träumen vor und solange ich noch an ihn hing, war jegliche Zukunft mit einem anderen Mann unvorstellbar.
"Geht es Ihnen gut?", fragte der alte Mann vor mir und das Rauschen verschwand. Die Zeit ging weiter. Ich fuhr mir mit meiner Zunge über meine trockenen Lippen und nickte zaghaft.
"Glaub schon." Der Griff lockerte sich und tief atmete er aus. Sein Gesicht spiegelte Erleichterung, während meines Farbe bekam. Ich sah zu der Tüte hinab und dann wieder zu dem Mann in seine dunkelgrünen Augen. Ich hasste Augenkontakt, ich fand es unhöflich und generell einfach langweilig jemanden so lange anzusehen. Manchmal überwand ich mich dennoch, um einen guten Eindruck zu hinterlassen oder einfach um zu sehen, ob derjenige vor mir Hilfe benötigte. Bei seinen Augen war ich mir nicht sicher. Entweder versteckte er seine Probleme ziemlich gut, oder er war wirklich glücklich. "Geht es Ihnen gut?"

Hände packten mich an den Schultern und schüttelten mich hin und her. "Atmen, Alaska. Sie müssen Atmen!" "Ich kann aber nicht. Ich ertrinke"

Ich kniff meine Augen zusammen und verwarf die Gedanken, die Erinnerungen um mich dem Mann vor mir zu wenden. Er hatte den gleichen Blick wie einer der Ärzte von Carlo gehabt. "Ich bin nicht derjenige, der sich für eine halbe Stunde nicht bewegt hatte", behauptete er. Eine halbe Stunde hatte ich also da gestanden. Eine halbe Stunde gerade aus gestarrt. Warum war Johanna nicht gekommen? Hatte sie sich nicht gefragt wo ich blieb? Möglicherweise hatte sie ja ein weiteres Mal mit Leo gesprochen und die Zeit vergessen. Vielleicht hatte sie auch die Schlange vor mir gesehen und sich nichts dabei gedacht, dass ich so lange fort war oder ich war ihr egal. "Sie scheinen nicht ganz anwesend zu sein", merkte er an. "Ich hatte nur vergessen was ich tun sollte. Wissen sie da stand ein Typ, er hatte mich einfach geküsst und ich wusste nicht wie ich mich hätte verhalten sollen, da war er schon lange gegangen." Der Unbekannte strich mir über den Arm und da vielen mir die Schuppen von den Augen. Mein Blick war klar und ich erkannte ihn. Es hätte nicht nur Carlos Arzt sein können, er war es. Aber nun waren seine Haare ganz grau geworden, ein Vollbart zierte sein Kantiges Gesicht und seinen Kittel hatte er gegen eine schwarze Jacke getauscht. Doch außer sein Aussehen hatte sich nichts geändert. Ohne nachzudenken schlang ich meine Arme um seinen schmalen Körper und vergrub meinen Kopf in seiner Jacke. Sekunden verharrten wir so, bevor ich mich wieder von ihm entfernte. "Und nun ernsthaft wie geht es der kleinen Alaska?", fragte er worauf mir ein leiser Lacher entfuhr. Jetzt wussten wir also beide wer vor uns stand. Er war der eine Arzt von Carlo gewesen, der ihn die ganze Zeit begleitet hatte. All die Jahre war er da gewesen, obwohl er nicht für ihn zugeteilt war. Aber er kannte Carlos Vater für ihn kümmerte er sich gerne um Carlo. Es war mir schon fast unangenehm gewesen, ihn nicht erkannt zu haben. Er half mir damals immer wieder auf die Beine. Wegen ihm hatte ich nie aufgegeben. "Gut, denk ich. Alles ziemlich seltsam im Moment. Wissen Sie ich habe angefangen abzuschließen und das ist schon ziemlich hart." Er nickte und wir sprachen noch lange Zeit miteinander. Wir waren noch mitten im Gespräch, da ging die Sonne schon langsam unter. Es war das letzte mal, dass ich ihn gesehen hatte, die letzte Umarmung von ihm. Damals dachten wir beide, dass wir noch genug Zeit hätten. Dass wir uns ein weiteres Mal treffen würden, als wir uns verabschiedeten. Aber die Zeit ist ein elendiger Bastard.
"Du warst lange weg", murmelte Johanna verschlafen, als ich die Tüte nach hinten warf und mich ins Auto setzte. Inzwischen war sie auf den Beifahrersitz verschwunden und blickte mich nur neugierig mir ihren zusammen gekniffenen Augen an. "Ich hab nur jemanden getroffen. Warum bist du eigentlich nicht rein gekommen?" Die Frage lag mir auf der Zunge und hätte ich sie nicht ausgesprochen, so hätte sie mich wahrscheinlich ewig verfolgt. "Leonardo hat mir gesagt ich sollte hier warten. War das ein Fehler?" Ich schüttelte meinen Kopf. Falten bildeten sich auf meiner Stirn. Wieso hatte er das getan?

Der Maskenball (Cro Ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt