[4] vor der Außenwelt

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Meine Unterlagen lagen verteilt auf dem kleinem Cafétisch vor mir und prüfend blickte ich über sie. Müdigkeit plagte mich und doch wusste ich, dass ich die Einteilungen bis morgen brauchte. Ich musste auch noch einige Worte vorbereiten, um wieder völlig ernst genommen zu werden. Nach dem Auftritt von heute durfte ich mir keine Fehltritte mehr erlauben. Fehler wurden kein zweites Mal verziehen nicht in dieser Welt. Jeder sollte Perfekt sein und genau das machte uns alle so gleich. Mein Blick wendete sich zu dem leeren Stuhl der ein paar Tische von mir entfernt stand und auf dem zuvor ein junger Mann gessesen hatte. Dieser Fremde ging mir nicht mehr aus dem Kopf.

Er hatte blonde Haare gehabt und wirkte ziemlich zerstört. Seine Haut war blass gewesen und unruhig sah er sich immer wieder um. Dabei behielt er seine Hände unter dem Tisch und gab nie eine Bestellung auf. Anscheinend wartete er auf jemanden besonderes. Doch dieser Jemand wollte sich nicht zu ihm gesellen. Denn der Platz vor ihm blieb die ganze Zeit leer. Einer älteren Frau fiel er wohl auch auf, denn sie ging hin um ihn zu fragen ob alles okay mit ihm sei. Er bejahte dies. Meinte es würde ihm gut gehen. Aber das war genau das was es nicht tat. Ihm ging es miserabel und das konnte nicht einmal die Maske verstecken, die er anscheinend trug. Die Frau verschwand wieder und der Junge Mann kam zu mir. Er sah kurz auf meine Unterlagen herab und blieb einfach stumm stehen. Es schien so als wollte er mich etwas fragen, jedoch blieb sein Mund zu, stattessen ging er einfach weiter. Fragend blickte ich ihm lange Zeit nach, bis mein Handy in meiner Hand vibrierte. Es war Vanessa. Es kam mir so vor, als würde sie mich zum hundersten Mal anrufen und zum hundersten Mal nahm ich nicht ab.
So war das.

Ich blickte wieder auf die Dokumente vor mir und probierte diesen Typen aus meinem Kopf zu bekommen. Aber es gelang mir nicht. Ich wollte nicht, dass auch er sich so verlor, wie ich mich. Denn ich war mir ziemlich sicher, dass es noch nicht zu spät für ihn war, wieder zu sich selbst zu finden. Nicht für ihn. Es war erst einige Minuten her, seitdem er gegangen war. Vielleicht konnte ich ihm helfen.
Möglicherweise brauchte er genau diese Hilfe, die ich ihm bieten konnte. Er wusste es nur nicht. Denn er kannte mich nicht.
Hastig packte ich meine Sachen zusammen und ließ den genauen Betrag, den ich bezahlen musste auf dem Tisch zurück, um so schnell es ging zu dem Mann gelangen zu können. Doch vor dem Cafe gab es drei verschiedene Wege, die voller Menschen waren. Er hätte überall hingehen können. Aufgeben aber war keine Option, nicht jetzt. Ich lief einfach in die Richtung, in die mich mein Herz hinführte und musste zugeben, dass es mich einmal nicht getäuscht hatte. Ich war in die Unbelebteste Straße gegangen und genau dort war er. Seine blonden Haare stachen aus der Menschenmenge heraus und zügig probierte er von hier weg zu kommen. "Warten Sie!", rief ich ihm nach, als sein Gang zu schnell für mich wurde und ich ihn beinahe aus dem Augen verlor. Seine Gestallt drehte sich zu mir um und verwundert sah er mich an. "Was wollen Sie?", murrte er. Anscheinend erkannte er mich. Ob es das einfacher machen würde? "Ich will ihnen helfen", gab ich bekannt, während ich vor ihm stehen blieb. Er lachte, bis ihm auffiel das ich es ernst meinte. Das war er wohl nicht gewohnt. Aufmerksamkeit war schon was seltenes, seitdem es Handys gab. "Warum?" Meine Augen verfingen sich in seinen und ich fand so viel Elend in ihnen. Sie waren grün und wahrscheinlich sogar sehr schön. Aber in diesem Moment, waren sie nur ein Tupfer in der Landschaft.  "Ich habe bemerkt, dass ihre Maske langsam fällt und sie ziemlich traurig sind. Ich möchte ihnen helfen, dass sie keine Maske mehr benötigen um glücklich zu sein." Ungläubig sah er mich an. Sein Vertrauen fehlte mir und genau das brauchte ich. Natürlich, er wusste nicht wer ich war. "Alaska Lunack", meinte ich und streckte ihm meine Hand entgegen. "Wie wollen Sie mir helfen?", fragte er. "Glauben Sie mir ein einfaches Gespräch reicht meistens schon aus." Er starrte meine Hand an, als ob er so etwas noch nie getan hätte. Misstrauen lag ihn ihm. Entweder wurde er schon oft verletzt, oder er war einfach nur nicht interessiert daran Hilfe von einer Frau anzunehmen. "Was sagen Sie dazu?"
Unschlüssig biss er sich auf die Unterlippe, überlegte ein weiteres Mal bevor er widerwillig meine Hand schüttelte. "Ma...", fing er an, doch ich unterbrach ihn. "Namen sind unwichtig. Ich muss ihn nicht unbedingt wissen." Er nickte. Dann gingen wir weiter - wobei ich ihm nur folgte - und ließen uns in einer Gasse nieder. Dort setzten wir uns auf den Boden. Der schönste Platz war es nicht, aber es schien sein Lieblingsort zu sein. Denn seine Haltung wurde viel weicher, als wir uns setzten. Das gefiel mir an ihm. "Erzählen Sie, wer hat sie so verletzt?", forderte ich ihn auf und blickte vor mich auf die graue Wand, die mit Graffiti verziert war. Sie war so unbeschreibbar schön. Das war Kunst, die mir gefiel. "Wissen Sie meine Freundin hat mich vor ein paar Jahren verlassen.", fing er an. "Warum?", platzte es aus mir heraus. Wahrscheinlich hätte ich ihn ausreden lassen sollen. Wie ein Psychiater ihn einfach seine Geschichte erzählen lassen, und nur wenige Wörter dazu sagen. Aber so war nun Mal meine Art, konnte ich mich manchmal doch nicht zurück halten. Ihm schien es aber nicht zu stören. Gefallen schien er an der Aufmerksamkeit zu bekommen. "Irgendwann hat es nicht mehr gepasst. Von dem einen auf den anderen Tag hat Liebe einfach nicht mehr gereicht um diese Beziehung zu führen." Gedankenverloren blickte er auf seine schwarzen Schuhe. Diese Marke, die er trug sah teuer aus. Ob er wohl..."Haben sie ihren Beruf bevorzugt?" Sekunden hielt er seine Augen geschlossen und nickte dabei. "Ich dachte ich würde groß raus kommen, aber bis jetzt hat sich nichts geändert. Ich bin immer noch da wo ich vor fünf Jahren war. Ich war so kurz vor dem Durchbruch aber...hat dann doch nicht gereicht. " Seine Augen ließ er zu der Wand vor uns gleiten. Geld machte nicht glücklich. Denn mit ihm konnte man nicht reden. Es konnte nicht lieben. "Und warum waren sie heute hier?" Schritte kamen näher zu uns und bevor er etwas sagen konnte betrat ein älterer Herr die Gasse. Er sah uns nur an, lächelte, um später wieder weg zu gehen. Wahrscheinlich dachte er ich und er seinen ein Paar und wollte uns nicht stören. Nett war er ja. "Mein Opa", gab der Typ neben mir bekannt. "Wohnen sie hier?"
Er schüttelte seinen Kopf und fuhr mit seinem Zeigefinger neben sich kleine Kreise. Immer im gleichen Abstand zueinander. "Nein, nicht wirklich. Ich besuche nur gerade meinen Opa. Eigentlich komme ich wo anders her." Zustimmend nickte ich. "Warum waren Sie in diesem Café?"
Sekunden vergingen bis er weiter sprach. Der Wind fuhr durch die Straßen und Geräusche von redenden Menschen drangen zu uns durch. "Sie hat mir geschrieben, dass sie heute kommen würde. Nach 5 Jahren hatte sie mir endlich wieder geschrieben und ich hatte wirklich gedachte ich könnte sie endlich wieder sehen, aber sie kam nicht." 5 Jahre waren vergangen und er hatte sie noch nicht vergessen können. Klar, das er eine Maske tragen musste um glücklich zu sein. "Sie müssen abschießen", forderte ich ihn auf. "Aber wie? Ich kann doch nichts gegen meine Gefühle tun. Ich liebe sie doch immer noch", jammerte er verzweifelt. Seinen Kopf stützte er in die Hände, während er die Knie an seine Brust zog. Das alles war so surreal. Männer weinten doch nicht. "Ich weiß wie hart es ist abzuschließen, glauben Sie mir. Aber es ist das richtige. Diese Frau wird sie nie wieder glücklich machen vertrauen Sie mir einfach." Meine Hand ließ ich auf seiner kalten Schulter nieder. Nach und nach hob er seinen Kopf hoch und sah mir in die Augen. "Sind sie Psychiater?" Ich schüttelte meinen Kopf, während ich ihn anlächelte. "Ich bin nur eine Frau die eine Maske trägt und ich kenne dieses bedrückende Gefühl was sie fühlen zu gut. Weil ich es auch fühle in diesem Moment." Seine Augen weiteten sich und Überraschung spiegelte sich in ihnen wieder. "Können Sie mir sagen, wie ich abschließen kann?" Und plötzlich vertraute er mir. Weil er wusste, dass wir gleich waren. Meine Hand wanderte zu seinem Kopf und vorsichtig zog ich ihn zu mir her. Er schloss seine Augen und kurz darauf lagen unsere Lippen aufeinander. Nur Sekunden, aber es fühlte sich nach viel mehr an.
"Kr-i-eg ich deine Nummer?", fragte er benommen, als wir und von einander lösten, doch ich schüttelte nur mit meinem Kopf. "Glauben sie mir ich breche ihnen nur ihr Herz. Suchen sie sich jemanden, der zu ihren passt. Jemanden für den sie alles aufgeben würden." Nach diesen Worten stand ich auf und ging die belebten Straßen entlang. Sein Blick haftete noch lange Zeit an mir. Jedoch wusste ich, dass ich das richtige Tat. Er wollte einen Neustart und den bekam er auch. Denn in dem Moment in dem ich ihn geküsst hatte. Hatte er sie vergessen.

Der Maskenball (Cro Ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt