[30] macht

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Ihre Augen flogen über das Papier, dann schweifte ihr Blick zu der Bühne hinüber, zu den Schauspielern und anschließend zu mir. "Als ob sie mir alles von ihm erzählt, wenn ich sie einfach nur so frage. Sie kennt mich doch nicht einmal", protestierte Johanna und seufzte laut auf. Ich hatte mich in die Türe gelehnt, war Meter von ihr entfernt und sah nur an ihr vorbei zu, wie die Schauspieler den zweiten Akt probten. Ihre Konzentration war darauf gerichtet, keine Patzer zu machen. Uns sahen sie nicht genau an. Nach dem Akt hätten sie uns vielleicht raus geschickt, jetzt aber noch nicht. Buschmann Stella als die Schöne stand hinten auf dem Fleier. Ich schloss meine Augen und ließ meine Hand senken. Das Blatt wurde zerknüllt. Der Regen von draußen hallte bis hier her an und er hörte sich an wie Applaus. Applaus für eine wunderbare Schauspielerin. Ein Atemzug später und ich blickte zu Johanna, lächelte ihr zu und sah wie sie den Namen mehrmals ließ. Sie wollte mehr von Carlo erfahren, mehr als ich über meine Lippen brachte. Deshalb standen wir da. Beide mit einem Fleier in der Hand. "Sag ihr, dass ich dich geschickt habe. Ich kann ihr nun einmal nicht gegenüber treten", gab ich kleinlaut von mir. Es war im Grunde genommen nicht einmal Stella, die ich nicht sehen wollte, es war Ben. Ben war zu diesem Zeitpunkt 28 Jahre und so wie ich ihn kannte immer noch ein sehr guter Freund von der nun 26 - jährigen Stella und wenn Stella wusste wo ich war, dann auch Ben. Das wollte ich nicht. Sich der Vergangenheit entgegen zu stellen, war schwerer als zuerst gedacht und ich hatte nie einen Zweifel daran, dass es einfach werden würde. "Ich dachte du möchtest sie treffen? Abschließen." Auf diese Frage schüttelte ich meinen Kopf. Eigentlich wollte ich zu meiner Schwester gehen. Nicht zu Stella oder den anderen. Sie hier auf der Bühne zu sehen und zu wissen, dass sie mich nicht wahrnahm war in einer Weise beruhigend und zugleich das direkte Gegenteil davon, so als wäre ich unsichtbar gewesen. Nicht mehr existent und daran zweifelte ich eh schon. Gab es denn überhaupt eine Alaska Lunack oder war das hier nur eine Einbildung von irgendjemand? "Entweder du gehst jetzt hinter die Bühne oder nie", sagte ich entschlossen und versuchte dabei nicht all zu hektisch zu klingen. Ich wollte gehen, bevor Stella mich entdecken konnte.
Kleine und schnelle Schritte entfernten sich von mir und ich tat das gleiche. Weiter in dem Raum zu stehen, hätte mich nur umgebracht. Die Tür fiel ins Schloss. Ein Knall und gleichzeitig sackte ich an der Wand entlang auf den Boden. Ich nahm mein Handy aus der Hosentasche heraus und scrollte zu seinem Namen hinunter. Den Verlauf von uns zu löschen brachte ich nicht übers Herz. Unser Chatverlauf war inzwischen zwei Jahre unverändert geblieben. "Verdammt, ich vermiss dich", flüsterte ich und las unsere Zeilen durch. Diese unbedeutenden Unterhaltungen, die manchmal bis in die Nacht gingen. Sein Profilbild änderte er andauernd , was bedeutete er hatte seine Nummer behalten. Ein Klicken und mein Handydisplay wurde schwarz. Tief durchatmen und aufstehen. Hier sitzen zu bleiben, hätte mich nur in die Versuchung geführt rein zu gehen und Stella zu fragen, ob er immer noch der gleiche geblieben war. Mein bester Freund. Den Gedanken warf ich weg und sah auf meine Schuhe während ich den Gang entlang lief. Die kalte Luft strömte ihm entlang. Die Türe wurde geöffnet. Mein ganzer Körper versteifte sich und ich blieb für einen Augenblick stehen. Meine Aufmerksamkeit richtete sich nach vorne und ich sah wie ein braunhaariger Typ das Haus betrat. Hier rein zu kommen, war nicht schwer. Berühmte Schauspieler waren nicht hier, die Leute die da waren, taten es Hobbymäßig für einen guten Zweck. Wer mitmachen wollte konnte es auch. Unterstützung war sehr angesehen. Zwei braune Augen schweiften durch den Raum und fokussierten eines der vielen Gemälde an der Wand. Mein Atem lag lahm. Seine dünne Gestalt und dieses markante Gesicht. Ich löste mich aus der Starre und lief schnellen Schrittes in einen anderen Gang. Als er meine Schritte wahrnahm richtete er seinem Blick mir nach. Um mich zu erkennen war ich dennoch zu schnell gewesen. Ein verträumtes Ausschnaufen war zu hören und später ein Tippen auf seiner Tastatur. >>Wenn du hier bist, bitte versteck dich nicht mehr...<< Sein Name leuchtete auf. Zwei Jahre ein neuer Rekord. "Ach, Ben", seufzte ich und drückte mich an die Wand, um hinter den vielen Kleidungsstücke die in der Garderobe hingen nicht all zu sehr aufzufallen. Ich senkte mein Handy wieder, ohne es jemals entsperrt zu haben. >>Jetzt träum ich sogar Tags über von dir.<< Eine neue Nachricht. Eine neue Chance raus zu kommen. Eine neue Gelegenheit, die ich nicht wahrnahm. Mein Atem war flach. Die Schritte wurden immer lauter. Zwischen den vielen Kostümen, die in der Garderobe lagen, und zwischen denen ich stand, betrachtete ich ihn, wie er eines an sich nahm. Verwundert blickte ich ihm nach, als er mit ihm verschwand. Die Schritte verstummten und eine Nachricht blinkte auf. >>Ich spiel jetzt auch Theater.<< Ein schmunzeln schlich sich auf mein Gesicht. Ben als das Bist konnte ich mir gut vorstellen, manchmal war er wirklich furchtbar gewesen. Eine richtige Zicke. >>Ich bin ein Baum.<< Dieser Satz hingegen ließ mich leicht auflachen. Zur selben Zeit schlug ich mir meine Hand vor den Mund. Seiner Aufmerksamkeit wollte ich entkommen. Mich nicht zeigen. Seine Gestalt tauchte, dann jedoch doch vor meinen Augen auf. Er beugte sich vor und tippte Worte ein. >>Warum kannst du nicht wie jedes normale Mädchen den Ton deines Handys anhaben. Ich weiß du bist hier. << Seine Hand schob einige der Kleidungsstücke auf die Seite. Er kam mir immer näher und immer mehr hoffte ich er würde verschwinden und nie wieder kommen. Sein Handy nicht mehr so ansehen, wenn er mit mir schrieb. Seine Hand berührte den Saum, des braunen Mantels, der vor meinem Gesicht hin. Mein Körper zitterte. Dann allerdings ertönte eine mich erlösende Stimme. Stella stand hinter Ben und legte ihre Hand auf seine Schulter. Als er zurück sah blickte ich um mich und suchte vergeblich nach einem Ausweg. Stellas Augen glänzten, während sie Ben in die Augen sah. Ein unglaublich schlimmes Gefühl machte sich in meiner Bauchgegend bemerkbar und ich wollte wegrennen. Aber wohin? Johannas Gestallt tauchte hinter ihr auf und Ben drehte sich endlich zu den beiden um. Seine Hand ließ die Jacke los und unschlüssig sah er zwischen den beiden hin und her. "Wer ist das?", hörte ich ihn fragen. Seine Stimme war tiefer geworden. Als hätte er seinen Stimmbruch zum zweiten Mal erlebt. Stella lächelte über ihr ganzes Gesicht. "Johanna, sie ist eine Freundin von Alaska." Ben ging auf Johanna zu und schloss sie in seine Arme, kurz nachdem er meinen Namen wahrgenommen hatte. Er legte seinen Kopf auf ihre Schulter. Wie überfordert sie mit dieser Zuneigung war, konnte keine der beiden wissen. Möglicherweise hätte ich ihr helfen sollen. "Lass mich raten, sie ist hier?", fragte er sich hoffnungsvoll. Sie nickte. Er ließ sie los und ging wieder zu dem Mantel, hielt ihn wieder fest. "Zeig dich Maskenmädchen oder ich zeige der Welt dein wahres Gesicht." Ich kniff meine Augen zusammen und griff nach meinem Handy. Hoffte er würde gehen, wenn ich ihn darum bitte. >>Ich will dich nicht sehen. Geh weg. Bitte. << Sein Blick klebte am Display. >>Entweder du oder ich. Es ist Zeit dich zu zeigen. << Stella blickte Ben so an, als wär er geistig gestört. Dabei hatte er recht. "Du meinst also sie ist hinter diesem Mantel?", wiederholte sie ihre Erkenntnisse, die sie gesammelt hatte. Er nickte und deutete auf den Boden, auf meine Schuhe. Er wusste es die ganze Zeit. Er hatte es mit Absicht getan. Alles. Wahrscheinlich hatte er mich schon früher gesehen als ich ihn. Darum hatte er mich angeschrieben. Warum liebte er es nur mich so zu quälen? Seine Hand war kurz davor den imaginären Vorhang wegzuziehen. Da meldete sich Johanna zu Wort und er stoppte. Es fühlte sich an, als wäre ich in meiner alten Klasse und wartete gespannt darauf, dass der Lehrer mir meine Note sagen würde. Ich wusste dass es passieren würde. Ich wusste, dass es nicht zu verhindern war. Aber ich wusste auch dass ich eigentlich wissen wollte wie meine Note lautete. Innerlich wusste ich, dass ich wissen wollte, wie es jetzt zwischen uns aussah. Wie Ben geworden war. Was er erlebt hatte. Ich wollte es wissen. Stellas Nähe wollte ich spüren. Mich unter Freunden geborgen fühlen. Wenn sie noch meine Freunde waren, nachdem ich so lange nichts mehr von mir hören ließ. "Woher weißt du, dass sie das Maskenmädchen war?" Das braun vor meinen Augen verschwand für einen Moment und dann kam ein anderes braun zum Vorschein. Das von seinen Augen. "Einmal Maskenmädchen, immer Maskenmädchen."

Ich hör jetzt mal auf zu nerven und wünsche euch einen guten Start ins neue Jahr. ❤️

Der Maskenball (Cro Ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt