Es war doch immer der gleiche Grund wieso ich nicht schlafen konnte. Nie war es ein andere gewesen und es hätte nie einen anderen gegeben. Die Angst, dass er mir wieder in meinen Träumen erschienen würde war viel zu groß, um meine Augen ein weiteres mal schließen zu können. Sein blasses Gesicht, seine Worte kamen mir immer wieder in den Sinn bei jedem Augenzuschlag. Halb tot war er vor mir gelegen schon vor Jahren, doch die Vergangenheit holte mich jetzt mit diesen Träumen wieder ein. Ich hörte seinen Namen, wie er ihn sagte und war schon wieder den Tränen nahe. Er war jemand der mir so viel wie mein eigenes Leben bedeutete. Vielleicht sogar ein wenig mehr. Die Zeit ist ein elendiger Bastard. Warum war er nicht mehr neben mir? Am liebsten wäre ich immer noch 14 gewesen, damals zurück gereist als er noch bei mir war und mit mir reden konnte. Mich Maskenmädchen nannte und als sein Herz nur für mich geschlagen hatte. Als die Welt bunt und mit Hoffnung geschmückt war. Wie gerne ich doch wieder 14 gewesen wäre. Damals als ich so ehrlich lachen konnte, damals als er mir die Welt neu erfand. Warum musste die Zeit alles ändern? Mit ihm war ich so frei. Jetzt war alles anders. Es war schrecklich.
Die Tür zu meinem Schlafzimmer wurde geöffnet und langsam setzte ich mich auf, um Johanna direkt vor mir betrachten zu können. Das Bett im Gästezimmer war anscheinend nicht sehr bequem, um dort ruhig schlafen zu können. Sie streckte ihren Kopf ins Zimmer und lächelte mir gequält zu. Jeder ihrer Schritte, die sie mir näher kam, schien in der Stille ohrenbetäubend zu sein. Tap, Tap, Tap. Vorsicht setzte sie sich neben mich und kuschelte sich an mich heran. Ihre Nähe tat mir gut. Schon in diesem Moment bekam sie einen großen Platz in meinem Herzen. So schnell konnte es gehen. Erschreckend. "Kannst du auch nicht schlafen?", fragte sie leise und sah mich mit ihren Kulleraugen an, während sie ihre Arme an ihren Körper drückte, sodass ich ihre Narben nicht sehen konnte. Mit meiner Hand fuhr ich über ihr Haar. Sie war ein wunderschönes Mädchen. Dass das niemand sah. "Nein. Heute ist wohl keine Nacht zum schlafen", beteuerte ich. Ihren Kopf drückte ich an mich heran und schloss meine Augen. Atmete tief ein und versuchte mir vorzustellen, dass sie Carlo war. Vergebens. Aber sie hatte eine ähnliche Ausstrahlung an sich. "An wen denkst du gerade?" Überrascht sah ich ihr wieder in die braunen Augen. "Wieso?" Sie biss sich auf ihre Unterlippe, drückte sich von mir weg und zuckte mit ihren Schultern. "Denkst du an den Jungen auf dem Foto?" Meine Maske war auch einmal dicker gewesen. Nicht zu durchschauen. Aber nun war sie mir runter gefallen und hatte erkennbare Risse. "Warum weißt du das?" "Da war dieser Blick, den hattest du zuvor auch gehabt. Er war dein Freund oder? Was ist passiert?" "Das ist eine lange Geschichte." "Kurzfassung", presste sie zwischen ihren Lippen hervor, während sie sich die immer noch nassen Haare hinters Ohr schob. Ohne schminke wirkte sie viel jünger, viel unsicherer, aber gleichzeitig auch vertrauenswürdiger, freundlicher und glücklicher, wenn auch nur ein klein wenig. "Das willst du nicht hören." Diese Worte wollte ja selbst ich nicht hören. Sie ließen meine Maske noch mehr einreisen, noch dünner werden. Möglicherweise aber hätte ich ihr zeigen sollen wie es ging seine Maske freiwillig abzunehmen. Vielleicht war das der besserer Weg, als sie alleine in die Dunkelheit gehen zu lassen. Ich ging nun vor. "Doch will ich." Meine Lippen zitterten als ich meinen Mund öffnete. Die Erinnerung holte mich ein. Sein Gesicht, die Krankenhausgeräte, seine heisere Stimme, die Zigarette in seiner Hand, sein leerer Blick, sein müdes Lächeln, seine Maske, seine schwarze Mütze, seine dürre Gestallt, seine braunes Haar verteilt auf dem Boden, die Tränen in seinen Augen, die Verzweiflung in ihnen. Wo hätte ich anfangen sollen? Am Anfang? Nein, das wäre zu lange gewesen. Eine ewig lange Geschichte, mit zu viel Emotionen. Aber beim Ende. Bei dem einen Ton. Kurzfassung. "Sein Herz hat aufgehört zu schlagen. Ende." Erschrocken sah sie mich an, hielt die Luft an und ich bemerkte ein weiteres mal, dass ich damit immer noch nicht klar kam. Nicht auch nur ein wenig. Ich stand auf und ließ sie auf dem Bett sitzen. Wie sie da saß, alleine, traurig, mitfühlend. Doch ich ging aus dem Zimmer, und aus dem nächsten und dem Flur. Öffnete die Haustüre, ging raus aus der Wohnung, schlug sie wieder zu. Merkte wie der Wind mir entgegen schlug, zog die frische Luft tief ein und bereute meine Entscheidung sie abzunehmen. Meine Hände an sie gelegt zu haben und sie auf den Boden geworfen zu haben. Ich wollte die Maske wieder. Die Worte verdrängen. Schritte näherten sich mir. Langsame, vorsichtige, leise und dann doch zu laute. Ich drehte meinen Kopf zur Seite, sah die Treppe hinunter. Verdrängte die Tränen und fing an zu rennen. Leben zu spüren. Lies sie mit ihren Problemen alleine zurück, obwohl ich gewusst hatte wie schwer ihr Leben jeden Tag aufs neue war, obwohl ich wusste, dass sie springen wollte. Doch ich war zu feige um bleiben zu können. Ein erbärmlicher Feigling. Ich sank immer mehr in mein Loch ein. Verriegelte mich von Personen, bei denen ich mich öffnen wollte, denen ich helfen wollte. Ich krabbelte auf dem Boden und wahr unfähig aufzustehen. Weil sie bald auch nicht mehr da war und ich Veränderungen hasste. Ich hasste alles an ihnen und zurzeit veränderte sich alles so rasend schnell und dann war da noch dieses Datum. Die Kraft verließ mich mitten auf der belebten Straßen und stillschweigend blieb ich auf dem Zebrastreifen stehen. Ich verkrampfte mich und schlug mir meine Hände vor mein hässliches Gesicht. Die Autos um mich herum blieben stehen. Das kleine Dorf strahlte in dem Licht der Straßenlaternen. Ich sah zwischen meinen Fingern hervor. Das hier war Teil meiner Vergangenheit, meiner Gegenwart aber nicht meiner Zukunft. Zurzeit drehte ich mich in einem Kreis. Alles drehte sich nur um ihm. Die Musik um mich herum wurde immer leiser. Das Hupen verstummte. Ich lag auf dem Boden mitten auf der Straße. Wusste nicht wie es dazu gekommen war. Mein Magen verkrampfte sich und ich hielt mir meine Hände vor meinen Bauch. Ich steigerte mich zu sehr in etwas hinein, das kein Ziel hatte.
Der Himmel war schwarz, die Sterne weiß. Alles verschwamm vor meinen Augen und ja ich hatte getrunken. Ein weiteres mal, als sie unter der Dusche gestanden hatte. Ich war keine Alkoholikerin, aber was konnte ich bitte für diese furchtbare Gefühle in mir? Schreie drangen zu mir durch. Menschen versammelten sich um mich herum. Keine Sorge habe nur keine Kraft mehr. Das letzte mal habe ich vor zwei Tagen geschlafen. Mein Leben ist zurzeit ziemlich kompliziert. Aber es geht mir gut. Geht bitte wieder. Es geht mir gut. Hört ihr? Ich bemerkte wie mich zwei Hände hoch hoben. Ich mochte es nicht, ganz und gar nicht, aber um mich zu wehren war ich zu schwach. Die letzte Kraft war aus mir gewichen. Das einzige was ich heraus brachte war ein mickrigen kleiner Satz. Nicht mehr. "Lassen Sie mich los, ich brauche keine Hilfe und ich brauche keinen unbekannten, der mich wegträgt", brach ich flüsternd hervor. Leise fing die scheinbar männliche Person an zu lachen. "Also wirklich Frau Lunack haben sie mich schon wieder vergessen?", flüsterte er mir leise ins Ohr und eine Gänsehaut überzog meinen Körper. Mein Mund war zu trocken, um mehr Wörter heraus zu bringen. Mudrack bemerkte dies wohl, denn er wendete sich von mir ab und den um mich herum stehende Menschen zu. "Ich kenne Sie." Eine bittere Lüge. "Ich kümmere mich um Sie." Schritte, laute, leise, schnelle, langsame gingen von diesem Platz fort. Sie verschwanden wieder in ihren Autos, genauso wie wir es taten. Auf dem Beifahrersitz fand ich platz, sein Duft umhüllte mich und benommen öffnete ich meine Augen. Seine Haare hingen in sein Gesicht und erschöpft machte er sich daran mich anzuschnallen. Leise Worte murmelte er vor sich hin. Keines von ihnen war so laut, dass ich es verstehen hätte können. Meine Augen fielen zu und alles um mich herum wurde zu einem unklarem Brummen. Das letzte was ich wahrnahm war der Knall der Türe, dann wurde alles schwarz, wollig und warm. In diesem Moment machte ich mir nichts daraus, dass ich in dem Auto meines neuen Chefs saß. Dass er mich so elendig gesehen hatte. Es war mir sogar ziemlich recht. Denn niemand hätte mir besser helfen können wir er. Leonardo Mudrack.

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Der Maskenball (Cro Ff)
Romance"Wenn du aufhören würdest daran zu denken, würde es nicht mehr so schmerzen." "Das geht aber nicht. Ich kann nicht." . Ich hielt an der Vergangenheit fest, weil ich Angst vor der Zukunft hatte und die Mas...