[14] noch

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Sein Blick musterte mich von der Seite, während er einige Meter versetzt hinter mir saß und den Rauch seiner Zigarette in die Luft pustete. Die Sonne strahlte auf uns herab und einzige Sonnenstrahlen reflektierten sich im See wieder. Meine Augen fixierten meine nackten Füße und all meine schlechten Gedanken waren verschwunden. Ich dachte über nichts mehr nach und fühlte mich frei.
Ich dachte nicht darüber nach was wir machten, oder warum er mich mitgenommen hatte. Ich schaltete einen Moment mein Gehirn aus und lehnte mich zurück, fuhr mit meinen Fingern durch das Gras und sah in den hellblauen Himmel.
Einige Wolken flogen an uns vorbei. Sie ähnelten Watte und am liebsten wäre ich in sie gelegen und geflogen. Schwerelos wollte ich sein, doch ich lag hier, mit der Schwerkraft an den Boden gekettet und diese Erkentniss ließ mich wieder in der Realität ankommen.

"Herr Mudrack", flüsterte ich und schloss meine Augen, bis kurz darauf sein "Mhm", ertönte und ein Lächeln sich auf meine Lippen zauberte. "Warum sind wir hier?" Ich drehte mich auf den Bauch und sah ihn an. Die Zigarette drückte er auf dem Boden aus, ließ sie dort liegen und strich sich durch die braunen Haare, nachdem er sich seine Krawatte gerade gerichtet hatte. Perfektion war wahrscheinlich eines seiner Lieblingswörter. Bei ihm konnte ich mir seinen Tagesablauf perfekt vorstellen. Er stand auf,  gut gestylt und ohne irgendwelche Mangel in seinem Gesicht, ging ohne Emotionen ist Bad, wusch sich, sah gleich perfekt dannach aus, nahm sich einen seiner 100 Anzüge aus dem Schrank und frühstückte ausschließlich einen Apfel und einen Kaffee. Dazwischen machte er irgendwann noch sein Bett und dann ging er zur Arbeit. Ende.
"Ich wollte schon lange hier her fahren", beteuerte er, steckte seine Füße aus und strich sich die Falte aus seiner Hose. "Sie haben meine Frage nicht verstanden", gab ich bekannt und sah gleichzeitig die Neugierde in seinem Blick. Plötzlich ähnelte er einem normalen Menschen. Nicht merkt so perfekt. Er hatte also doch Gefühle. Was ihn in gewisser Weise sympathischer machte.  "Ich habe gefragt, warum wir hier sind. Warum haben Sie mich mitgenommen?" Er räusperte sich, wippte mit den Schuhen hin und her, sah an mir vorbei, räusperte sich ein weiteres mal, bevor er aufstand und mir seine Hand reichte. Unsicher betrachtete ich ihn lange, musterte seine Gestalt  mehrmals von oben bis unten, warf die Unsicherheiten nach einiger Zeit jedoch ab und nahm seine Hand an, sodass er mich zu sich hoch ziehen konnte. Kurze Zeit waren wir nur einen Atemzug von einander entfernt, bis er einen Schritt nach hinten ging und meine Hand los ließ. In diesem Moment glitt eine Last von mir ab. Eine Last, die im Grunde genommen nicht einmal so schlimm gewesen war.  "Ein Gefühl hat mir gesagt, dass ich das Mädchen, das zum zweiten Mal fast vor mir überfahren wurden,  nicht gehen lassen kann. Nicht einfach so, Frau Lunack." Gleichmäßig nickte ich, mein Kopf wippte immer wieder leicht vor und zurück, bis er sich schließlich senkte und die schwarzen Schuhe vor meiner Nase betrachtete. Ich sah zu wie seine Hand sich langsam hob und zu meinem Gesicht wanderte, vor ihm aber zum Stillstand kam, um sich in ihre vorige Position zu legen. "Darf ich Sie noch was fragen?" Das Rauschen des Baches, der in den See mündete, war wie Musik in seinen Ohren und so nahm er meine Frage nicht wirklich wahr. Verträumt sah er einfach in den Horizont und so blieb meine eigentliche Frage unausgesprochen. Die Ruhe ließ ein wolliges Gefühl zurück und das wiederum beunruhigte mich.

Der Klingelton seines Handy unterbrach den Moment des nichts Tuns. Er zog es aus der Hosentasche, drehte sich von mir weg und sprach Wörter. Wörter die leise waren, undeutlich und viel zu schnell gesprochen. Am liebsten hätte ich ihm gezeigt, wie man richtig Telefoniert, doch das war plötzlich nicht mehr nötig. Denn irgendwann drückte er es mir in die Hand. "Es ist für Sie", murmelte er, während er sich enttäuscht von mir abwandte. Verwirrt sah ich sein Smartphone an, als hätte ich so etwas noch nie in der Hand gehalten und dann hielt ich es an mein Ohr. Es war wie die Erfindung des Feuers, oder eben auch nicht. "Hallo?", fragte ich unsicher und setzte mich auf den Boden. Rauch drang zu mir durch. Dieser Anzugträger hatte sich eine weitere Zigarette angezündete. Aber abhalten wollte ich ihn davon nicht. Schließlich sterben wir alle einmal. Er nun eben früher. "Alaska. Wo bist du?" "Vanessa?", meinte ich überrascht und hielt die Luft an. Sie hatte noch nie meinen Chef angerufen, um mich zu erreichen. Obwohl ich manchmal für Tage nicht erreichbar gewesen war. Das war doch nicht ihre Art. Kannte ich sie überhaupt noch?  "Ja, ich bins. Wo bist du?" Ich blickte zu Leonardo hinüber und biss mir auf die Unterlippe. Bei meinem alten und jungen Chef, der mich gerade gefeuert hat. Etwas ganz normales.
Leicht schütelte ich meinen Kopf. "Ich brauchte nur kurz Ruhe. Das musst du doch verstehen." "Klar verstehe ich das. Aber ich verstehe nicht, was dieses Mädchen in deiner Wohnung zu suchen hat." Ich kniff meine Augen zusammen. Scheiße. "Hör mir zu. Ihr Name ist Johanna, aber nenn sie Jojo. Sie ist 15 und eine schwere Zeit hinter sich. Sie tat mir Leid und darum habe ich sie mitgenommen. Pass auf sie auf. Sie ist mir sehr wichtig." Denn sie war wie ich. Mein kleines Spiegelbild. Wenn ich mich nach rechts beugte, beugte sie sich nach links. Wir waren symmetrisch. "Darüber müssen wir später noch reden...", presste sie hervor und ich hörte wie wütend sie in diesem Moment auf mich war. Aber ich verstand nicht wieso. Schließlich hatte ich nichts gemacht. Wahrscheinlich war es nicht einmal deswegen. "Was ist los? Warum aufeinmal so abwesend." Sie seufzte laut auf und ihre Wut verwandelte sich in Trauer. Ihre Stimme war brüchig und es schien mir so, als würd ich ihre Tränen fallen hören. "Du weißt, dass ich einen Internet Blog täglich lese." Mein Herz zog sich zusammen und eine Gänsehaut überzog meinen Körper. "Ja", stotterte ich und hörte ihr weiter zu. Wörter flogen in meinem Kopf herum, doch die einzigen, die zusammen passten waren Bitte nicht. Mir wurde kalt und ich zog meine Beine an mich heran, platzierte meinen Kopf auf meinen Knien. "Ich habe beschlossen ohne ihn auszukommen." Erleichterung machte sich in mir breit und gleichzeitig, wusste ich das sie nicht von meinem redete. "Ohne wen?", fragte ich leise, sodass Leonardo nichts mitkam. Mit der Zeit war der braunhaarige mir immer näher gekommen. Warum musste er auch so neugierig sein? "Es ist kompliziert", murmelt sie und schluckte laut "Aber Fakt ist, ich habe dich angelogen. Ich will nicht wegen der Arbeit wegziehen. Es hat einen anderen Grund." "Lass mich raten, dein Freund aus Stuttgart hat etwas damit zu tun." Eine Antwort kam nicht an. Das Handy schaltete sich ab. Kein Akku mehr. Nach und nach senkte ich meine Hand mit dem Handy, welches mir bald entnommen wurde und dann lag ein wütender Blick auf mir. "Mussten Sie wirklich meinen ganzen Akku verschwenden?", fragte er missmutig, worauf ich nur mit den Schultern zuckte und leise das Lied summte, welches er auf dem Lenkrad getrommelt hatte. Die Melodie war in meinen Kopf eingraviert. Doch der Text fehlte. Wo war nur dieser verdammte Text geblieben? Ich kannte dieses Lied. Aber woher? Wo hatte ich es schon einmal gehört.
"War das Gespräch wenigstens interessant?", fragte er und setzte sich neben mich. Ich bejahte dies. "Sogar sehr. Wir haben nur über die Arbeit geredet, die ich nicht mehr habe", log ich und beobachtete ihn vom Augenwinkel aus. "Hat sich anders angehört." "Sie sind ein Stalker", beteuerte ich, worauf er seine Hände hoch hob. "Es ist mein Handy", protestierte er. Ich verdrehte meine Augen und legte mich ins weiche gemähten Gras. Atmete die Luft ein, die nach ihm roch und beobachtete wieder die Wolken. Verschwand in irgendeiner Zwischenwelt, bis ich seinen Kopf in den Wolken erblickte. "Ich kann damit einfach nicht abschießen. Ich werde es nie schaffen", murmelte ich und drehte meinen Kopf zu Mudracks hinüber. Inzwischen lag er auch schon auf dem Gras, hatte seine Jacke neben sich gelegt und sah mir in die Augen. In diesem Moment fing ich an zu atmen. So lange hatte ich die Luft angehalten. Doch er gab mir ein Gefühl der Vertrautheit. Langsam fing ich seine Gegenwart an zu mögen. Selbst wenn er merkwürdig schien. Dennoch stellte er etwas mit mir an, das ich nicht beschreiben konnte. "Mit was denn?", fragte er und zog eine Augenbraue nach oben. Ich wollte ihm alles erzählen, alles erklären, er sollte der erste sein, der mehr erfahren sollte. Sogar vor Vanessa sollte er sein. Doch ich tat es nicht. Winkte das Angebot praktisch ab und erläutere nur, dass es für nicht wichtig sei. Das war es für ihn eigentlich auch nicht, dachte ich.

Der Maskenball (Cro Ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt