[29] gleich

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Flashback

Stella wollte Jura studieren. Sie hatte blondes Haar und blaue Augen. An einem Samstagmorgen war sie wie aus dem nichts an Carlos Krankenbett gestanden. Ihre Augen waren rot angeschwollen und sie weinte, während Carlo sie in seinen Armen hielt. Beide sahen sehr betroffen aus. Ich dachte im ersten Moment, sie würden sich kennen. Viele seiner Freunde kamen hier her um ihn zu besuchen, immer wieder neue Gesichter kamen zum Vorschein, allerdings hatte sie ihn bis dahin noch nie gesehen. So erfuhr ich später. Verstehen konnte ich sie trotzdem. Carlo konnte man gut umarmen, auch wenn er mit der Zeit nur noch Haut und Knochen war. Das mit ansehen zu müssen tat manchmal echt weh. Mit einem "Hey" hatte ich die Aufmerksamkeit für kurze Zeit auf mich gezogen und bereute es im selben Moment mich gemeldet zu haben. Vier Augen starrten mich verweint an und ich wusste nicht was ich hätte tun sollen. Bewegungsunfähig stand ich vor ihnen und wusste nicht weiter. Zum Glück gab es da ja noch Carlo, der mir das ganze erklärte und die Situation auflockerte. Er war selbst am Boden, jedoch tat er alles damit ich mich gut fühlte.
Die zwei hatten sich nach Angaben im Krankenhausflur getroffen und fingen dort an zu reden, bis Carlo keine Kraft mehr hatte und sie in sein Zimmer gegangen sind. Stella war wegen ihrer Freundin da, weil sie einen Unfall erlitten hatte. Eine traurige Geschichte und trotzdem war ich in dem Moment, als Carlo ihre Hand nahm, eifersüchtig. Im Grunde genommen hatte ich kein Recht dazu, er wollte nur helfen, aber abschalten konnte ich meine Gefühle nicht.
Mit der Zeit wurde Stella ein fester Bestandteil von seiner Gang und auch ich fing sie an zu mögen.
Ihre Art war wirklich erfrischend. Sie lenkte mich von meinen düsteren Gedanken ab.

Clara war ihre beste Freundin. Wie sie dazu kam, ist beinahe einleuchtend. Wenn Stella da war, war sie es auch.

Ben war sein Bruder, aber er war auch der Freund von Nadine, kurz Nadi. Braunes Haar, hammer Figur, nett, freundlich und beneidenswert. Wenn sie den Raum betrat sah man wie ihr die Jungs hinterher sahen. Wie gerne ich in ihrer Haut gewesen wäre, dabei meinte Ben zu mir, dass ich so wie ich war perfekt sei. Das war wirklich süß von ihm, leider nur nicht die Wahrheit.

Lucca ging mit mir in die Schule. Er war zwar älter, aber besuchte mit mir und Lu desto trotz die gleiche Klasse. Lernen wollte er nicht. Anscheinend war er dagegen allergisch. Er schrieb im ganzen Jahr nicht auch nur eine einzige positive Note. Der einzige Grund wieso er da war, war Carlo der wollte dass ich nicht alleine war, jemand hatte der auf mich aufpasste. Bei dem Gespräch zwischen den beiden war ich sogar dabei gewesen. Lucca hatte mich damals auf der Krankenhaustoilette gefunden. Ich lag auf dem Boden, hatte die Beine an die Brust gezogen und weinte, während eine Schwester Carlo einen neuen Bettbezug gab. Seiner war voller Blut gewesen. Er hatte Blut gespuckt. Es sah so aus als würde er bald sterben. Luccas Hände um mich beruhigten mich. Zwar trug er mich nur ins Zimmer, um mich ins Bett zu legen. Doch diese Nähe war für eine Sekunde genau das was ich brauchte. Als es dann so aussah, als würde ich schlafen, fingen sie an zu diskutieren. Über alles mögliche. Dabei verstand ich jedes einzelne Wort.
Deshalb war auch Lucca fast immer bei mir gewesen. 

Flo war der Freund von Aileen, die wiederum war mit mir und Lu befreundet. An ihrem Handgelenk befanden sich immer unzählige dieser Festivalbändchen. Ihr Style war der beste, den ich je gesehen hatte. Nach einem Referat, das wir zusammen halten mussten, waren wir unzertrennlich geworden. Sie schrieb ebenfalls. Ich liebte ihre Geschichten. Sie hatten so viel Leidenschaft in sich und in dieser Hinsicht was sie mein Vorbild. Dies sagte ich ihr auch immer wieder. Sie kam irgendwann dann sogar groß raus. Diese Person, die mit mir befreundet war, wurde berühmt. Wegen ihr hatte ich meine erste Geschichte eingeschickt und meine erste Absage bekommen.

Dann gab es noch Tim. Er hatte zusammen mit Carlo und später dann auch mit Flo eine Band gegründet.
Sie nannten sich die Totengräber. Ihre Musik war auch gar nicht schlecht. Aber außer in ihrer Garage traten sie nur selten auf.
Tim war schon immer ein Teil unserer kleinen Gruppe gewesen. Er war einfach da.
Natürlich hatte Carlo auch noch andere Freunde. Für mich waren sie jedoch uninteressant. Zwar versuchten sie immer wieder Kontakt mit mir zuknüpfen, das wollte ich aber nicht. Nur weil ich wusste, dass sie es nur wegen Carlo taten.
Carlo war überfürsorglich, wenn es um mich ging. Das war manchmal echt anstrengend.

Wenn man etwas über ihn wissen sollte, dann aber nicht wie er war, sondern was er alles getan hatte.
Er war derjenige gewesen, der alle zusammen hielt. Er half wirklich jedem, der es brauchte. Er reichte den Leuten, die am Boden lagen, die Hand.
Den Blog hatte ich nicht angefangen, weil ich Leuten helfen wollte, sondern um wieder auf die Beine zu kommen. Es zu verkraften, dass er nicht mehr da war. Mir nicht mehr helfen konnte. In dieser Hinsicht dachte ich wirklich, als ich anfing, nur an mich und meine Gefühle. Nicht an die anderen. Deshalb waren die ersten Einträge so anders geschrieben wie der Rest. Irgendwann habe ich dann beschlossen, dass ich es Carlo nachmachen wollte und ich fing an den Leuten zu zeigen, wie sie ihre Masken abnehmen konnten und das nicht nur im Internet.
Anscheinend gab es genug, die diese Ratschläge brauchten, denn die Klicks wurden täglich mehr.
Ich wurde regelrecht zu einer Persönlichkeit, zu einem Etwas, ich war plötzlich nicht mehr unsichtbar und das war schön.
Meine Wörter wurden geschätzt, weil ich auf Themen einging, die die Leute hören wollten.
Das schreiben bereitete mir immer mehr Spaß. Ich tat das was ich wollte und Leuten gefiel das.
Aber irgendwann änderte sich alles. Der Blog wurde zu etwas hinter dem ich nicht mehr mit völliger Überzeugung stand. Ich gab nur noch Ratschläge und ließ meine Meinungen nicht mehr durchdringen. Das was ich wollte, war es zu helfen, dennoch zerstörte ich dadurch die Tätigkeit, die ich liebte. Ich war oft im Internet und googelte, die Themen über die man sprach.
Da gab es nicht mehr Alaska, die mit Leichtigkeit 1000 Wörter eintippte, sondern nur noch die Hülle von mir, die für ein einziges Wort Stunden benötigte.

Der Maskenball (Cro Ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt