Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Zwar hatte ich Alice in den letzten beiden Tagen nicht allzu oft zu Gesicht bekommen, doch ich hatte gewusst, dass sie sich in diesem Haus befand. Und nun wollte sie mich tatsächlich schutzlos zurücklassen?
Ich kämpfte gegen die Verzweiflung in meinem Innern an. Ich konnte sie schlecht bitten, hier zu bleiben. Das stand mir nicht zu. Dennoch wünschte ich mir in diesem Augenblick lächerlicherweise, dass sie meine Gedanken lesen konnte und meine Angst erkannte. Das war natürlich nicht der Fall, denn sie lächelte mir nur weiterhin zu und tätschelte meine Hand ein wenig zu fest.
Sie wandte sich an die beiden Männer.
„Bitte lasst uns einen Augenblick lang allein. Und ihr wisst, wie es dem Lauscher an der Wand ergeht."
Diese letzten Worte schien sie vor allem an Edward gerichtet zu haben, der ihr milde lächelnd zunickte.
Kurz darauf war ich mit Alice allein.
Ich konnte nicht anders, als sie verblüfft anzuschauen. Wo nahm sie diesen Mut her? Sie wirkte so klein und zierlich und doch sprach sie mit ihrem Bruder und dessen zwielichtigem Freund so, als befände sie sich in der höheren Stellung.
„Ihr seid sehr mutig", sagte ich leise.
Ihre Mundwinkel zogen sich leicht nach oben.
„Ich lasse mich nicht gerne in eine mir zugedachte Stellung drängen. Wir Frauen müssen stark sein", entgegnete sie, noch immer lächelnd.
„Aber Ihr Bruder . . . und Mr Thurgood. Ist es ihnen gleich?", fragte ich ein wenig fassungslos.
Ich konnte mir kaum vorstellen, dass jemand wie Edward es sich gefallen ließ, dass eine Frau auf eine solche Weise mit ihm sprach. Allerdings hatte ich mich vor wenigen Sekunden ja selbst davon überzeugen können, dass es ihn nicht besonders zu bekümmern schien.
Alice machte eine wegwerfende Handbewegung, die ich von einer Dame in ihrer Position ehrlich gesagt niemals erwartet hätte. Sie benahm sich genauso unkonventionell wie ihr Bruder.
„Im Fall von Jonathan - ich habe ihm den nötigen Respekt verschafft", antworte sie und mit einem Mal befand ich Alice als gar nicht mehr so schutzlos und zierlich. Immerhin war sie kein Mensch, wie ich mir nun wieder ins Gedächtnis rief.
„Und Edward hatte genügend Zeit, sich an meine Art zu gewöhnen. Außerdem hat auch er mit den Jahren gelernt, dass Familienbande wichtiger sind als die Stellung von Mann und Frau."
Ich kam nicht umhin, Alice mit einem prüfenden Blick zu mustern. Sie schien höchstens ein Jahr älter zu sein als ich, wenn überhaupt. Ihre Worte klangen allerdings so, als lebten sie und ihr Bruder schon eine geraume Zeit lang auf der Erde.
„Bitte frage mich nicht nach dem Geheimnis meiner ewigen Jugend – diese Frage ermüdet mich. Außerdem bin ich sicher, dass du bereits weißt, um was es sich bei meinem Bruder und mir handelt."
Sie sagte das mit einer solchen Leichtigkeit, dass ich nicht recht wusste, wie ich reagieren sollte.
„Wie alt seid Ihr?", fragte ich deswegen nur, war mir allerdings nicht ganz sicher, ob ich die Antwort überhaupt hören wollte.
„Ich fände es schön, wenn du mich duzen würdest, Bella", eröffnete mir Alice. „Ich finde es verwirrend, in dieser Form angesprochen zu werden. Schließlich könnte sich das „Ihr" sowohl auf meinen Bruder und mich als auch nur auf mich allein beziehen."
Sie gab ein Seufzen von sich, als würde es sich dabei um ein schwerwiegendes Problem handeln, auf das so schnell keine Lösung gefunden werden konnte. Vollkommen überrumpelt von ihrer Bitte und der Tatsache, dass sie mir einen Spitznamen gegeben hatte, konnte ich nur perplex nicken.
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Angst
FanficNew York, Mitte des 18. Jahrhunderts - Isabella Swan lebt bei ihrem Onkel, seitdem ihre Eltern einem Raubüberfall zum Opfer gefallen sind. Als sie eines Nachts einen Auftrag für ihn ausführen soll, fällt sie in die Hände übler Vampire, die in ihr ei...