Als die Sonnenstrahlen schließlich so weit hinter dem Horizont hervorgekommen waren, dass sie in die Kutsche fielen, wurde ich von den düsteren Gedanken, die mich befallen hatten, abgelenkt. Ich hatte Edward schon einmal im Sonnenlicht gesehen, doch ich war noch immer fasziniert. Seine Haut glitzerte und funkelte mit den Knöpfen an seinem Gehrock um die Wette und der Wind, der durch Spalten und Ritzen einen Weg ins Innere der Kutsche fand, zerzauste seine Haare. Ich konnte nicht anders als ihn anzustarren. Doch zu meiner Verwunderung schien er es gar nicht zu bemerken und schaute wie versteinert auf die gefalteten Hände in seinem Schoß.
Mir fiel wieder ein, wie er mich das letzte Mal damit aufgezogen hatte, dass ich meinen Blick nicht von ihm hatte abwenden können. Damals hatte ich noch keinen Schimmer gehabt von den Machenschaften, in die er verwickelt gewesen war. Unwillkürlich fragte ich mich, ob es mir lieber gewesen wäre, wenn er es mir nicht erzählt hätte.
Doch machte das wirklich einen Unterschied? Er war derselbe Mann, wenn auch mit derselben schrecklichen Vergangenheit. Und im Prinzip hatte ich ja schon vor seinem Geständnis die Wahrheit vermutet. Er war noch immer derselbe Mann, der mich in der Nacht zuvor geküsst hatte. Derselbe Mann, der mir nun schon zweimal das Leben gerettet hatte. Schuldgefühle überkamen mich, als ich ihn dort so bewegungslos sitzen sah. Sollte ich versuchen, ihm zu verzeihen? Konnte sein Verhalten in der Gegenwart das der Vergangenheit wieder wettmachen?
Ich räusperte mich. Edward hob den Blick.
„Ich habe mich gewundert, warum Aro Euch als Edward Masen vorgestellt hat. Ihr seid schließlich nicht verheiratet . . . und selbst wenn Ihr es wäret, würdet Ihr kaum den Namen Eurer Frau annehmen", fügte ich halb zu mir selbst als kleinen Nachgedanken hinzu.
Die Andeutung eines Lächelns schlich sich auf Edwards Gesicht und er richtete sich ein Stückchen auf. Es war mir ein Rätsel, wie meine Worte eine solche Macht auf diesen Mann ausüben konnten.
„Mein eigentlicher Name ist Masen. Carlisles und Esmes Zuname ist Cullen und ich schätze, ich hatte das Gefühl, einen Strich ziehen zu müssen. Dass ich mich nun Cullen nenne, macht nicht gleich einen anderen Vampir aus mir, aber es erinnert mich dennoch an die Person, die ich gern sein würde", erklärte er, den Blick gedankenverloren aus dem Fenster gerichtet.
Seine Worte berührten mich auf eine verquere Art und Weise. Ich empfand tatsächlich Mitgefühl für diesen so widersprüchlichen Mann.
Nach einigen weiteren Minuten des Schweigens stellte ich die nächste Frage. Solange einer von uns beiden redete, konnte ich nicht so furchtbar viel über seine Worte von eben nachdenken.
„Wie lange werden wir brauchen, um Eure Familie zu erreichen?"
„Etwa zwei Tagesreisen. Außer . . .", sinnierte er, brach dann aber ab.
„Außer was?", hakte ich nach.
„Außer wir würden uns in meiner Geschwindigkeit fortbewegen", vollendete er seinen Satz und lächelte schief. „Ich nehme allerdings an, dass dein Vertrauen in mich angesichts meiner Enthüllungen zu sehr geschrumpft ist als dass du es zulassen würdest, dass ich dich trage."
Ich war mir nicht ganz sicher, ob dieser letzte Satz eine schlichte Aussage war, oder ob ich nicht doch den Klang eines Fragezeichens am Ende seiner Worte wahrgenommen hatte. So oder so hielt ich es für besser nichts zu sagen.
„Isabella, trotz alldem, was ich dir gerade erzählt habe . . . ich hoffe dir ist bewusst, dass ich dir nichts tun werde. Das ist das Letzte, was ich will."
Er sprach leise, beinahe als wollte er, dass ich ihn nicht hörte. Doch das tat ich und hatte mit einem Mal das Gefühl, ihm Trost spenden zu müssen. Aus diesem Grund lehnte ich mich ein wenig nach vorne und streckte die Hand nach ihm aus. Seine Augen weiteten sich erstaunt, doch er nahm meine Hand zwischen seine beiden und legte sie auf seinem Schoß ab. So saßen wir einige Sekunden schweigend, während derer ich das wundersame Gefühl seiner kühlen, glatten Haut auf meiner bestaunte. Alle Gedanken waren vergessen, nur ein paar Bilder von gestern Abend trieben träge durch meinen Kopf und brachten meine Wangen zum Glühen.
DU LIEST GERADE
Angst
FanfictionNew York, Mitte des 18. Jahrhunderts - Isabella Swan lebt bei ihrem Onkel, seitdem ihre Eltern einem Raubüberfall zum Opfer gefallen sind. Als sie eines Nachts einen Auftrag für ihn ausführen soll, fällt sie in die Hände übler Vampire, die in ihr ei...