Kapitel 37,5 - Edwards Sicht

90 4 0
                                    

Ich kannte diesen Blick. Hatte sie mich eben noch mit Bewunderung gemustert, so versank sie nun wieder in Selbstzweifeln. Wieder einmal verfluchte ich ihren Onkel, der ihr nie beigebracht hatte, sich selbst zu lieben. Dabei war sie so eine wunderbare Person.

Statt etwas zu sagen, trat ich auf sie zu und zog sie in meine Arme, um ihr den nötigen Halt zu geben. Langsam und vorsichtig, wie ich mich um sie herum immer verhielt. Es war ein bisschen lästig, aber ich tat es gerne. Ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, ihr mehr Selbstbewusstsein zu geben. Sie war so wunderschön und erkannte es einfach nicht. Dies war auch ein Grund, warum ich sie zu einem Vampir machen wollte. Es gab einfach keine Vampire, die an sich zweifelten.

Für ein paar Sekunden standen wir still am Rand der Lichtung und ich genoss das Gefühl ihres zarten, zerbrechlichen Körpers an meinem und sog ihre Wärme in mich auf. Wie so oft in letzter Zeit musste ich gegen meine Triebe ankämpfen, um sie nicht inmitten der Blütenpracht zu werfen und mich wie ein wildes Tier über sie herzumachen. Ihre weichen Brüste schmiegten sich auf diese wunderbare Weise an meinen Oberkörper und ich konnte absolut nichts mehr gegen die Richtung, die meine Gedanken einschlugen, tun.

Doch ich wusste, dass es zu früh war, und deswegen ließ ich sie los und trat einen Schritt zurück.

„Jedes Mal, wenn ich meine Familie besuche, komme ich hierhin und bleibe für ein paar Stunden. Dieser Ort ist unberührt, so rein. Wunderschön, so wie du", fügte ich hinzu, was nicht unbedingt half, meine Erregung zu verringern. Vielleicht wäre es sicherer für sie gewesen, wenn wir den Tag mit den anderen verbracht hätten.

Ihr Blick war wieder einmal zu Boden gerichtet, doch ein kleines Lächeln spielte um ihre Mundwinkel. Auch wenn sie vorgab, es nicht hören zu wollen, so schien es sie doch zu freuen, wenn ich meine Zuneigung zu ihr bekundete.

„Ich habe mir vorgenommen, dir ein paar nützliche Seiten des Vampirdaseins zu zeigen", sagte ich und machte noch einen Schritt zurück. „Erschreck dich nicht und beweg dich nicht vom Fleck."

Dann rannte ich los. Dieses Mal hielt ich mich nicht zurück, sondern jagte kreuz und quer über die Lichtung, die eigentlich viel zu klein war für die Zurschaustellung meiner Kräfte. Doch so konnte Isabella sich zumindest einen Eindruck verschaffen. Ab und zu verlangsamte ich meine Schritte und wartete, bis ihre Augen mich wieder fanden, doch dann rannte ich sofort weiter. Ich hätte gelogen, wenn ich gesagt hätte, dass es mir keinen Spaß machte.

Anfangs war Isabellas Blick ängstlich, doch nach einer Weile suchten ihre Augen mich fordernd, interessiert. Und dann schlich sich ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht, als ich ein paar enge Kreise um sie drehte und dann direkt vor ihr stehen blieb. Das hatte gut getan.

Isabella öffnete ihren Mund, doch bevor sie etwas sagen kann, war ich schon auf den nächststehenden Baum geklettert und wartete belustigt und ungeduldig, bis sie endlich den Blick hob und mich wiederfand. Dann setzte ich zum Sprung an und landete mit einem dumpfen Geräusch direkt vor ihr. Der Aufprall ließ ein paar Blütenblätter zu Boden fallen.

Ich richtete mich auf, schlang die Arme um Isabella und sprang wieder vom Boden ab. Sie schrie auf, als wir durch die Luft segelten und auf einem anderen, kleineren Baum landeten. Mein Arm lag eng um ihre Hüfte geschlungen und sie klammerte sich an meinem Hals fest, als wir in der Baumkrone standen. Ich bemerkte, wie ihre Augen sorgsam den Boden unter uns mieden. Hatte sie Angst vor der Höhe?

„Wie weit kannst du springen?", fragte sie, leicht außer Atem.

Ich lächelte. „Möchtest du es herausfinden?"

Sie schüttelte hastig den Kopf und lehnte den Kopf an meine Brust, was ein besitzergreifendes Knurren aus meiner Kehle befreite. Ich konnte es nicht einmal in Worte fassen wie sehr es mir gefiel, dass sie mir so vertraute.

AngstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt