„Onkel?", rief ich und blieb vor seiner Zimmertür stehen. Hier war der Geruch so stark, dass ich mir den Arm gegen die Nase presste und versuchte, den Stoff meines Kleides als Filter zu nutzen. Es brachte leider kaum etwas.
Als ich meinen freien Arm ausstreckte, um die Tür weiter zu öffnen, zitterte er so stark, dass ich es nur mit Mühe schaffte, meine Hand um die Klinke zu schließen.
Seitdem meine Tante verstorben war, waren immer mal wieder merkwürdige und auch abstoßende Gerüche aus diesem Zimmer gedrungen, aber noch nie ein solch penetranter Verwesungsgeruch, der mir geradezu zuzuschreien schien, die Beine in die Hand zu nehmen.
Doch ich missachtete diese Stimme und öffnete die Tür. Prompt schwappte mir eine ganze Welle des Gestanks entgegen und ich musste würgen. Tränen traten mir in die Augen.
Als ich den Kopf hob, um einen vorsichtigen Blick in das Zimmer zu werfen, hatte ich das Gefühl, meine Beine würden unter mir nachgeben.
Es war dunkel, da mein Onkel die dicken Vorhänge vor das kleine Fenster gezogen hatte, doch es fiel immer noch genügend Licht herein, sodass ich die gedrungene Gestalt meines Onkels auf dem staubigen Boden liegen sehen konnte. Leblos und die Beine und Arme auf eine so unnatürliche Art abgespreizt, dass sie gebrochen sein mussten. Unter seinem Körper hatte sich eine rötliche-braune Substanz ausgebreitet, bei der es sich nur um Blut handeln konnte.
Ich keuchte auf und presste beide Hände fest auf meinen Mund und die Nase, doch es half nicht. Der Leichengeruch bahnte sich einen Weg in meine Nase.
Doch das Schlimmste waren seine Augen, die trübe und mit leerem Blick genau in meine Richtung starrten. Ich musste mich abwenden und wurde erneut von heftigen Würgereflexen geschüttelt. Mein Hals schmerzte inzwischen stark. Es fühlte sich alles ein bisschen so an, als erlebte ich es aus einer großen Entfernung. Ich fühlte mich so unglaublich hilflos, dass ich einige Sekunden lang einfach nur dastand und auf den Boden schaute. Den Blick noch einmal auf die Leiche meines Onkels zu richten, wagte ich nicht.
Dann streckte ich die Hand sehr langsam nach der Tür aus und zog sie wieder zu. Wie eine Puppe an Schnüren setzte ich mich steif in Richtung der Haustür in Bewegung.
Der einzig klare Gedanke, den ich fassen konnte, war, dass ich das Haus schleunigst verlassen musste. Plötzlich erschien mir der Flur unendlich lang zu sein. Mit jedem Schritt brannte sich der tote Blick meines Onkels tiefer in mein Gedächtnis und gepaart mit dem haarsträubenden Verwesungsgeruch, der auch hier noch so gegenwärtig war, wurde mir schwindelig.
Ich musste innehalten und stützte mich an die Wand, um nicht umzukippen. Mir war bewusst, dass ich jetzt tief durchatmen sollte, doch dieser entsetzliche Gestank hinderte mich daran. Mein Sichtfeld begann sich zu verdunkeln und Panik machte sich in mir breit.
Alles, nur das nicht! Ich wollte auf keinen Fall das Bewusstsein verlieren, während ich mich in dieser Wohnung befand. Die skurrile Angst, später nicht mehr in der Lage zu sein aufzuwachen, brachte mich dazu, einen Fuß vor den anderen zu setzen, bis ich die Haustür erreicht hatte. Kraftlos zog ich sie auf und setzte einen Fuß ins Freie.
Gerade, als ich begann, einen Funken Erleichterung zu verspüren, schob sich ein Paar schwarzer Schuhe in mein Sichtfeld.
„Na, wen haben wir denn da?"
Bei dem weichen Klang der Stimme schrillten tausend Alarmglocken in meinem Kopf. Angsterfüllt hob ich den Blick und sah in zwei blutrote Augen. Der Schrei, den ich ausstoßen wollte, blieb mir in der Kehle stecken.
Der Mann – oder sollte ich besser sagen Vampir – lächelte grausam, als ob er genau wüsste, was in mir vorging. Er war wunderschön. Als ob er ein Engel wäre, der geradewegs aus dem Himmel gekommen war, schillerten seine blonden Locken im Sonnenlicht. Es war schrecklich, dass diese Monster ihre Grausamkeit so einfach hinter dieser schönen Fassade verbergen konnten.

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Angst
FanfictionNew York, Mitte des 18. Jahrhunderts - Isabella Swan lebt bei ihrem Onkel, seitdem ihre Eltern einem Raubüberfall zum Opfer gefallen sind. Als sie eines Nachts einen Auftrag für ihn ausführen soll, fällt sie in die Hände übler Vampire, die in ihr ei...