Wenige Stunden zuvor
Ich starrte auf den toten Körper vor mir auf dem Boden und wartete darauf, dass ich Bedauern empfand. Doch in mir regte sich nichts, abgesehen von der lodernden Wut. Jonathans leblose Augen starrten ins Leere, noch immer angstgeweitet.
Bellas Geruch klebte nach wie vor so unverkennbar an ihm, dass das Gefühl der Beklemmung in meinem Innern einfach nicht verschwinden wollte. Ein dunkles Knurren entwich meiner Kehle und hallte durch die kleine Nebengasse, in der wir uns befanden.
Nachdem ich mir seines widerlichen Verrats bewusst geworden war, hatte es nicht lange gedauert, bis ich ihn in einer Bar in der Nähe aufgespürt hatte. Er war noch betrunkener als üblich gewesen, denn er musste geahnt haben, was ihm blühte.
Ich hatte versucht, etwas über Isabellas Verbleib aus diesem versoffenen Schwein herauszubekommen, doch die gelallten Worte, die er zwischen dem Wimmern und Flehen herausgebracht hatte, hatte selbst ich nicht verstehen können.
Als ich anschließend zum ersten Mal seit 26 Jahren wieder in seine Gedanken eingedrungen war, waren diese mir auch keine Hilfe gewesen. Sie waren beinahe noch unverständlicher als seine Worte. Und als ich sicher gewesen war, dass er mir keine brauchbaren Informationen liefern würde können, hatte ich die Beherrschung verloren und hatte mich auf ihn gestürzt. Letztlich war sein Genick gebrochen und ich bereute es beinahe, dass ich nicht besser Acht gegeben hatte. Ich hätte warten müssen, bis alle anderen Knochen seines Körpers gebrochen waren.
Kurz überlegte ich, ihn in den East River zu werfen, doch er hatte es verdient in dieser schmutzigen Seitenstraße zu verrotten. Außerdem war es helllichter Tag und es befanden sich zu viele Menschen auf den Straßen. Es war mein Glück gewesen, dass Jonathan sich nur in den zwielichtigsten Gegenden herumtrieb.
In meinem Hinterkopf spukte eine Stimme herum, die mir die Schuld für die Richtung gab, die Jonathan eingeschlagen hatte. Wenn ich mich damals besser um ihn gekümmert hätte, hätte er sich dann von Isabella ferngehalten?
Ich presste meine Zähne zusammen. Was hätte ich ihm denn für ein Vorbild sein sollen? Vermutlich hätte er sich noch schlechter entwickelt, wenn ich mehr Zeit mit ihm verbracht hätte.
In meiner Erinnerung sah ich ihn als den kleinen, verängstigten Jungen, als den ich ihn vor ein paar Jahren aufgenommen hatte. Noch bis zum heutigen Tag war seine Angst vor Aro nicht geschrumpft. Das war das einzige, was ich sicher über ihn wusste.
Im Rest hatte ich mich getäuscht. Unwillkürlich fragte ich mich, ob es das erste Mal war, dass er mich hintergangen hatte. Oder hatte ich es die anderen Male nur nicht bemerkt? Eins stand fest: Das, was er getan hatte, war absolut unverzeihlich und er hatte seine gerechte Strafe verdient. Und erhalten.
Mit einem letzten Blick auf den verdrehten Körper kehrte ich der Gasse den Rücken zu und ging zurück zur Hauptstraße.
Ich würde die ganze Stadt auseinandernehmen, um sie zu finden. Meine Gedanken überschlugen sich geradezu, als ich mir verschiedene Szenarien vorstellte und daran dachte, was ihr alles passiert sein mochte. Ich musste sie finden, und zwar schnell.
Bevor ich Jonathan ausfindig gemacht hatte, war ich Isabellas Spur gefolgt, die sich allerdings schon nach wenigen Metern in all den Gerüchen der anderen Menschen verloren hatte. Ich würde in diese Richtung weitergehen und die Spur wiederfinden. Das einzige Problem waren die vielen Menschen auf den Straßen, die es mir versagten, mich in einer angebrachten Geschwindigkeit fortzubewegen. So lief ich also nur so schnell wie ein Mensch rennen konnte in den weniger bevölkerten Nebenstraßen und wurde nichtsdestotrotz mit einer Reihe ungläubiger Blicke unter hochgezogenen Augenbrauen bedacht. Einmal rief ein alter Mann empört etwas hinter mir her und ich musste mich beherrschen, ihn nicht gegen die nächste Hauswand zu werfen.
![](https://img.wattpad.com/cover/86703041-288-k930114.jpg)
DU LIEST GERADE
Angst
FanficNew York, Mitte des 18. Jahrhunderts - Isabella Swan lebt bei ihrem Onkel, seitdem ihre Eltern einem Raubüberfall zum Opfer gefallen sind. Als sie eines Nachts einen Auftrag für ihn ausführen soll, fällt sie in die Hände übler Vampire, die in ihr ei...