Kapitel 11

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Schließlich nahm der Hunger Überhand.

Ich schob die Bettdecke zurück und stieg aus dem Bett. Über der Lehne des Stuhls, auf dem Edward eben noch gesessen hatte, hing ein dünner Überwurf, den ich mir nun dankbar um die Schultern legte. Lieber hätte ich mich natürlich umgekleidet, doch ich konnte im ganzen Zimmer keine Kleider entdecken. Auch Schuhe gab es keine. Offensichtlich gingen sie davon aus, ich bliebe im Zimmer.

Edward hatte gesagt, ich könne nach ihm rufen, wenn mir etwas fehlte. Doch wieso sollte er so fürsorglich sein? Wahrscheinlich machte er sich einen Spaß daraus, mir seine Zuneigung vorzugaukeln.

Barfuß verließ ich das Zimmer und schlich beinahe geräuschlos den Flur entlang und die Treppe hinunter. Unten angekommen wickelte ich den Überwurf enger um mich herum und lauschte angestrengt.

Die Klänge eines Pianos drangen leise an meine Ohren, außerdem zwei gedämpfte Stimmen. Falls es hier irgendwo einen Salon gab – wovon ich ausgehen musste – unterhielten Edward und Jonathan sich darin, während einer der beiden spielte.

Neugierig schlich ich näher. Das Klavierstück hörte sich wunderschön an. Beinahe, als wäre es nicht von dieser Welt. Die Töne flossen ineinander über und die Finger des Künstlers mussten geradezu über die Tasten fliegen, um diese Klänge zu erzeugen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es Jonathan war, der spielte.

Schließlich blieb ich vor einer angelehnten Flügeltür stehen.

„ . . . durchaus in Betracht ziehen", hörte ich Jonathans Stimme.

Ich hatte das Gefühl, dass sie eine Unterhaltung führten, die privat bleiben sollte. Aus diesem Grund blieb ich still stehen und versuchte so leise zu atmen wie möglich. Schließlich wusste ich, dass Edward das kleinste Geräusch hören würde. Folglich war es doppeltes Glück, dass die Töne des Pianos den Salon erfüllten.

„Ich weiß nicht, mein Freund", glaubte ich Edward mit seiner Samtstimme erwidern zu hören. „Zu welchem Zweck haben meine Schwester und ich sie dann befreit?"

Nun musste ich mich nicht mehr darum bemühen, leise Luft zu holen, denn der Atem stockte mir. Sie sprachen über mich. Und ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass es nichts Gutes war.

„Eure Schwester scheint einen schlechten Einfluss auf Euch zu haben, Edward", sagte Jonathan, woraufhin einige schiefe Töne im Klavierstück erklangen.

„Wie meint Ihr das?", hakte Edward nach und ich betete, dass er nicht aufhörte zu spielen.

„Nun, Ihr scheint fast schon zu verweichlichen. Noch vor einigen Jahren hättet Ihr nicht gezögert, meinem Vorschlag zuzustimmen."

„Das mag sein, Jonathan. Doch ich habe mich entschieden, nicht mehr auf diese Weise zu leben. Und aus diesem Grund werde ich sie auch nicht bei anderen unterstützen. Falls ihr irgendwelche . . . Erwartungen habt, wie ich mit Isabella verfahren werde, bitte ich Euch, sie zu verwerfen", entgegnete Edward.

„Aber . . . Aro wird nicht eher ruhen, bis er sie bei sich hat. Ihr wisst, wie unerbittlich er ist", warf Jonathan ein und seine Stimme klang nun beinahe flehend.

Ich hatte das Gefühl, der Boden würde mir unter den Füßen weggezogen. Vorsichtig machte ich einen Schritt zurück und lehnte mich gegen die Wand.

„Außerdem ist Eure Schwester nun abgereist. Der Zeitpunkt ist günstig", fuhr Jonathan fort.

Von was für einem Zeitpunkt sprach er? Was hatten sie bloß mit mir vor?

„Es steht nicht in meiner Absicht, Isabella in näherer Zukunft an Aro auszuliefern. Und auch Ihr werdet keinerlei Bemühungen in diese Richtung unternehmen. Haben wir uns verstanden?", fragte Edward mit offensichtlich beherrschter Stimme.

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