Kapitel 13,5 - Edwards Sicht

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Kapitel 13,5 – Edwards Sicht


Mit regelmäßigen Atemzügen hob und senkte sich Isabellas Brust. Ich saß an der Seite ihres Bettes und schaute ihr beim Schlafen zu. Das war eine Tätigkeit, an der ich in den letzten Tagen einen immer größeren Gefallen gefunden hatte.

Wenn mir vor einigen Wochen jemand gesagt hätte, dass ich einmal am Bett eines Mädchens sitzen würde, um ihr beim Schlafen zuzugucken, hätte ich diese Person verspottet. Und bis jetzt hatte ich auch nie etwas Reizvolles daran finden können. Doch Isabella war anders.

Ich konnte es noch immer nicht glauben, dass ich ihr tatsächlich die Wahrheit über mein Wesen gesagt hatte. Und noch weniger konnte ich es verstehen, wie sie nach dieser Offenbarung so verhältnismäßig ruhig hatte bleiben können. Um ehrlich zu sein, erwartete ich, dass sie jeden Moment aufwachen und schreiend aus dem Raum laufen würde. Doch Sekunde um Sekunde und Minute um Minute verstrich und nichts geschah.
Auf dem kleinen Nachtschrank neben dem Bett lag ein Buch, das ich bereits beim Eintreten bemerkt hatte. Nun nahm ich es in die Hand, um es mir genauer anzuschauen. Es handelte sich um John Smiths Entdeckung Amerikas und seinem Zusammentreffen mit Pocahontas. Auch wenn ich an dem Wahrheitsgehalt der Geschichte zweifelte, war es ein Buch, das mir sehr gefiel. Offensichtlich hatte Isabella nun ebenfalls Gefallen daran gefunden.
Es freute mich, dass sie sich bemühte, es zu lesen. Sie war allerdings nur wenige Seiten weit gekommen. Vielleicht konnte ich es ihr eines Tages beibringen.
Ich lächelte und legte das Buch an dieselbe Stelle zurück, von der ich es genommen hatte. Ich wollte nicht, dass sie sich der Tatsache, dass ich Nacht um Nacht an ihrem Bett verbrachte, bewusst wurde.
Meine Gedanken flogen zu dem Augenblick am heutigen Abend zurück, in dem Jonathan uns unterbrochen hatte. In diesem Moment hatte ich eine so große Wut verspürt, dass ich ihm vermutlich ernsthaften Schaden zugefügt hätte, wäre Isabella nicht anwesend gewesen.
Sie war so unverdorben und zart, dass ich ihr so etwas niemals zumuten würde. Ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht, als mir ihre Worte von vor ein paar Stunden wieder in den Sinn kamen. Sie hatte tatsächlich geglaubt, ich würde so viel Blut zu mir nehmen, um ihr die schwarze Farbe meiner Iris zu ersparen. Dieser Gedanke war so unschuldig und süß, dass mir ganz warm geworden war, als sie die Worte ausgesprochen hatte.
Eine Zeit lang schaute ich ihr einfach nur beim Schlafen zu und versuchte, den Großteil meiner Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen.
Doch da war ein Gedanke, der sich absolut nicht vertreiben ließ. Seit gestern dachte ich ununterbrochen daran, dass ich ihre Stimme in meinem Kopf gehört hatte. Zum zweiten Mal.
Und als ob das Ganze nicht schon merkwürdig genug gewesen wäre, hatte ich mich in beiden Fällen nicht einmal anstrengen müssen, um einen Blick in ihren Kopf zu erhaschen. Ihre Gedanken waren förmlich auf mich eingestürzt. Das war mir bis jetzt weder bei einem anderen Vampir noch bei einem Menschen passiert.
Auch wenn meine Reaktion, als ich ihre Gedanken zum ersten Mal gehört hatte, verständlich war, könnte ich mir noch immer die Haare ausreißen, da ich sie so verängstigt hatte. Ich musste mich in ihrer Gegenwart einfach rund um die Uhr beherrschen.
Nachdenklich musterte ich ihr entspanntes Gesicht für eine Weile und registrierte erst, dass ich meinen Arm nach ihr ausgestreckt hatte, als meine Hand schon an ihrer Wange lag. Ungläubig ruhte mein Blick auf meinem verräterischen Körperteil. Normalerweise handelte ich nie so unbewusst. Was stellte dieses Mädchen bloß mit mir an?
Eines war klar: Sie war der erste Mensch in meinem endlosen Dasein, dem ich je so viel Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Und auch der erste Mensch, bei dem es mir nicht gleich war,
was er von mir hielt.
Meine Gedanken wurden von der angenehmen Wärme ihrer Wange abgelenkt und ich bewunderte ihre Weichheit, indem ich meinen Daumen sanft darüber gleiten ließ.
In mir keimte der absonderliche Drang, ihr all ihre Wünsche zu erfüllen, sie zum Lachen zu bringen und dieses bezaubernde Lächeln auf ihrem Gesicht zu sehen, das viel zu selten dort aufzufinden war. Mit anderen Worten: dieses Mädchen schien mich von Grund auf zu verändern. Auf jeden Fall befand sie sich auf dem besten Wege, die Menschlichkeit, die irgendwo tief in meinem Innern schlummerte, zu erwecken. Und ich sträubte mich nicht einmal dagegen.
Ihr Verhalten des letzten Tages weckte eine sprudelnde Hoffnung in mir. Sie war ein wenig aufgetaut, jedenfalls mir gegenüber. Nachdem meine Schwester abgereist war, hatte ich mich nicht zu gering gesorgt, dass sie sich sofort wieder in sich zurückziehen würde. Doch das war zum Glück nicht geschehen. Alice hatte mir Mut zugesprochen und mir versichert, dass alles gutgehen würde, doch erst jetzt konnte ich ihren Worten Glauben schenken.
Vielleicht würde ich Isabella morgen mit auf den Markt nehmen. Ich war mir sicher, dass sie in ihrem bisherigen Leben viel zu wenig am öffentlichen Leben teilgehabt hatte. Und der Markt mit seinen vielen bunten Seiten, den verschiedenen Gerüchen und Eindrücken, war möglicherweise genau das Richtige, um sie in ein glücklicheres Leben einzuführen. Denn genau das war es, was ich ihr bieten wollte.
Seufzend entfernte ich meine Hand von ihrer Wange und lehnte mich zurück.
Was tat ich hier überhaupt? Je mehr ich mich ihr verbunden fühlte, desto angreifbarer machte ich mich selbst. Und wenn die falschen Leute davon erfuhren, würde es zu meinem Verhängnis werden, so viel stand fest.
Meine Gedanken schweiften zu Aro. Und dann weiter zu Jonathan und wie er heute Morgen vorgeschlagen hatte, Isabella an Aro zu verschachern. Ich hatte mich nur mit Mühe beherrschen können, ihn nicht windelweich zu schlagen. Sah er denn nicht, wie zerbrechlich sie war? Sie würde vermutlich nicht einmal einen Tag in Aros Gefangenschaft überleben. Als ich mir vorstellte, an was für Gestalten er sie weiterverkaufen würde, keimte erneut heiße Wut in mir auf. Nicht sie!
Auch vor Jonathan durfte ich mich ihr nicht allzu zugetan zeigen. Zwar vertraute ich ihm vorbehaltlos, doch es gab Situationen, in denen jeder Mensch und sogar jeder Vampir dazu gebracht werden konnte, die Wahrheit zu sagen.
Isabella gab ein leises Seufzen von sich und drehte sich langsam auf die andere Seite. Dabei stieg eine Welle des Rosenduftes ihres Haars in meine Nase, getränkt mit dem noch viel berauschenderen Duft ihres Blutes. Für einen Moment wandte ich das Gesicht ab und hielt den Atem an, um mich auf das Wesentliche zu konzentriere: sie nicht anzugreifen.
Seit ein paar Stunden schwebte der Gedanke einer Desensibilisierung in meinem Hinterkopf herum. Im Laufe der vielen Jahre, die ich nun schon auf der Erde verweilte, hatte ich gelernt, meinen Durst nach Menschenblut deutlich einzuschränken. Eventuell würde ich dasselbe mit Isabella schaffen, wenn ich nur genügend Zeit in ihrer Nähe verbrachte und es mir gelang, meinen Hunger zu zügeln. Bis ich irgendwann keinen Unterschied mehr zwischen meinem Verlangen nach Isabellas Blut und dem anderer Menschen verspüren würde. Das jedenfalls war der theoretische Plan.
Draußen wurde es langsam wieder heller und mit einem ungläubigen Blick auf meine Taschenuhr stellte ich fest, dass ich über sechs Stunden in diesem Raum verbracht hatte, ohne dass mich Isabellas Anblick auch nur ein einziges Mal ermüdet hatte. Es erschien mir eher wie eine halbe Stunde, die ich hier verbracht hatte.
Langsam erhob ich mich und haderte einen Augenblick. Konnte ich es wagen, mich ihr zu nähern? Mein Verlangen siegte über meinen Verstand und ich hielt erneut die Luft an. Dann beugte ich mich zu ihr hinunter und legte so sanft wie möglich meine Lippen auf ihre Wange. Es war kein Vergleich zu dem Handkuss, den ich ihr vor dem Schlafengehen gegeben hatte.
Meine Lippen glühten, standen förmlich in Flammen, aber auf eine andere Weise als wenn ich Durst hatte. Alles in mir schrie danach, bei ihr zu bleiben, sie vielleicht sogar aufzuwecken und meine Lippen nicht von ihrer Haut zu lösen
Doch das war albern und so löste ich mich von ihr und ging hinaus.

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