Kapitel 30

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Als ich wieder zu mir kam, war wie so oft in den letzten Tagen alles dunkel um mich herum. Mein Kopf schmerzte, mein Magen grummelte dunkel und ich setzte mich ein wenig auf, um mich besser umsehen zu können. Doch bevor ich dazu kam, warf sich eine kleine Gestalt auf mich und drückte mich zurück ins Kissen. Im ersten Moment war ich starr vor lauter Schock, doch dann begann die Person zu reden.

„Bella!", rief eine hohe Singsang-Stimme direkt in mein Ohr und ließ mich zusammenzucken. „Endlich bist du aufgewacht, ich habe mich schon gesorgt! Wie geht es dir?"

Sie lehnte sich ein wenig zurück, um mich besser betrachten zu können. Im ersten Moment ließ mich der Name, den auch Aro mir gegeben hatte, versteinern, doch dann erkannte ich, wen ich da vor mir hatte.

„Alice!", stieß ich erstaunt aus. „Mrs Cullen", verbesserte ich mich dann und räusperte meine eingerostetete Stimme.

„Nein, nein. Alice war schon ganz richtig. Bist du hungrig? Esme bereitet dir gerade ein spätes Mittagessen zu", erklärte sie eifrig und ich sah, wie ihr dunkler Umriss sich erhob und wie sie die Vorhänge zurückzog. Das Licht der Nachmittagssonne fiel auf ihr Gesicht und verwandelte es, wie ich es schon ein paar Mal bei Edward beobachtet hatte, in ein Meer aus Diamanten.

„Das ist sehr nett", erwiderte ich und erhielt dafür ein strahlendes Lächeln von Alice. Dennoch fragte ich mich, was für eine Art Mittagessen eine Vampirin wohl zubereiten würde, doch mein Hunger überwog eventuelle Zweifel.

Alice musterte mich einen Augenblick lang und dann wurde ihr Blick plötzlich ernst.

„Edward hat erzählt, was passiert ist", sagte sie schlicht und geradeheraus. „Es tut mir sehr leid, Bella."

Ich nickte leicht. „Es hätte schlimmer kommen können. Euer Bruder hat mich schließlich befreit. Und wenn ich nicht weggelaufen wäre, dann . . ."

Alices zornfunkelnder Blick unterbrach meine Worte. Irritiert stellte ich fest, dass ihre Augen nicht mehr ganz so rot waren wie ich sie in Erinnerung hatte, sondern ins bernsteinfarbene gingen. Ich wusste von Edward, dass die Augenfarbe eines Vampirs von einem hellen bis hin zu einem so dunklen rot, dass es schon fast schwarz erschien, variieren konnte, aber von diesem helleren Ton hatte er nichts gesagt. Was hatte diesen Farbwechsel ausgelöst?

„Wenn ich in deiner Haut gesteckt hätte, hätte ich es nicht einen Tag lang mit Jonathan unter einem Dach ausgehalten. Ich bin bloß froh, dass dieses Scheusal endlich . . . na ja, dass er dich nicht mehr belästigen kann. Normalerweise unterstütze ich es nicht, wenn wir unsere Überlegenheit gegenüber Menschen auf eine negative Weise nutzen, doch in diesem Fall war es längst überfällig. Verwandtschaft hin oder. . ."

„Alice", ertönte in diesem Moment Edwards ruhige Stimme aus Richtung der Tür und ich schaute erschrocken auf. Wie konnte er sich nur so lautlos bewegen?

Als ich den Blick aus seinen dunkelroten Augen entgegnete, breitete sich mit einem Mal eine angenehme Stille über die Unruhe in meinem Innern aus, die ich bis dahin nicht einmal wahrgenommen hatte. Er sah perfekt aus – so wie immer. Seine bronzefarbenen Haare glänzten selbst unter dem wenigen Licht, das durch das Fenster hineinfiel in hundert verschiedenen Tönen. Offensichtlich hatte ihn die Reise genauso geschlaucht wie mich, da seine Augen um einiges dunkler waren als ich es gewohnt war. Doch nichtsdestotrotz fand ich mich wie so häufig von seiner Schönheit gefangen und konnte ihn bloß anstarren. Und dann schoss mir prompt das Blut in die Wangen, als ich daran denken musste, in welcher Situation uns der Kutscher vor ein paar Stunden ertappt hatte. Vorsichtshalber blickte ich zu Boden, da ich Angst hatte, Alice könnte meine Gedanken sonst erraten.

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