Kapitel 5

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Am nächsten Morgen weckten mich Strahlen warmen Sonnenlichts, die durch die weit geöffneten Vorhänge in das Zimmer fielen.

Der Duft von etwas Köstlichem stieg mir in die Nase, doch ich konnte ihn nicht gleich zuordnen. Dann fiel mein Blick auf das Tablett, das wieder neben meinem Bett stand. Jemand musste es unbemerkt dort abgestellt und die Vorhänge zurückgezogen haben.

Beim Anblick des Rühreis und einem Korb voll frischen Brotes sowie Honig lief mir das Wasser im Mund zusammen. Ich staunte über mich selbst, da ich schon wieder einen solchen Hunger und Durst verspürte, denn normalerweise müsste ich nach der ausgiebigen Mahlzeit von gestern noch immer rundum gesättigt sein. Es musste damit zusammenhängen, dass mein Körper sehr viel Energie benötigte, um das verlorene Blut zu ersetzen.

Fasziniert betrachtete ich die kunstvoll gearbeitete Gabel, die neben dem Teller mit dem Rührei lag. Sie lag schwer in der Hand und war bestimmt ein kleines Vermögen wert.

Ich nahm ein paar Bissen des Rühreis und

beschmierte eine Scheibe Brot mit einer dicken Schicht Honig, um sie dann genüsslich zu essen. Dazu trank ich ein großes Glas frischer Milch und das alles zusammen schmeckte so fantastisch gut, dass ich einen Moment lang vergaß, wo ich mich überhaupt befand.

Als dann jedoch die Tür geöffnet wurde und Jonathan eintrat, verflog mein Hochgefühl sehr schnell wieder.

„Guten Morgen, meine Schöne", begrüßte er mich und schloss die Tür mit Nachdruck hinter sich.

Ich mochte es nicht, dass er mich so anredete. Ich war nicht schön, doch davon einmal abgesehen beunruhigte es mich, dass er mein Äußeres offensichtlich attraktiv fand.

„Es ist Zeit, aufzustehen", grinste er mir entgegen und trat näher heran. „Der Tag ist angebrochen und sollte sinnvoll genutzt werden."

Sein Blick wanderte von meinem Gesicht aus etwas tiefer und ich zog beinahe unbewusst die Bettdecke höher.

„Na, na, wer wird denn gleich?", lächelte er und stand nun direkt neben meinem Bett. Er stank nach Alkohol und Tabak. „Du hast keinen Grund, dich zu verstecken."

Ich starrte ihn an.

„Lasst mich in Frieden", flüsterte ich, während sich in meinem Kopf eine Wiederholung der vorletzten Nacht abspielte. Bitte nicht! Kalter Schweiß trat mir auf die Stirn und ich konnte meinen Herzschlag überdeutlich in meinen Ohren widerhallen hören.

Er beugte sich so weit vor, dass sein Mund sich nun ganz dicht neben meinem Ohr befand.

„Mädchen, vor mir musst du doch keine Angst haben", raunte er mir zu und sein heißer, stinkender Atem traf auf mein Gesicht. Ich versteinerte und ging fieberhaft die Möglichkeiten durch, die mir blieben.

„Es ist Edward, vor dem du dich in Acht nehmen solltest", flüsterte er weiter und ich sprang mit einem Satz aus dem Bett, als ich seine Lippen an meinem Ohr spürte.

„Letztes Mal, da hatte er eine, die dir verblüffend ähnlich sah. Na ja, lange durchgehalten hat sie nicht", fuhr er, unbeeindruckt von meiner Reaktion, fort.

Mir blieb keine Zeit, über seine merkwürdigen Äußerungen nachzudenken, denn er redete sogleich weiter.

„Ich frage mich, ob er dich auch ein paar Mal mit mir teilen wird. Und für den Fall, dass er das nicht beabsichtigt, bleiben uns zwei ja immer noch die ungestörten Stunden, in denen er und seine Schwester . . . aus bestimmten Gründen das Haus verlassen müssen."

Was meinte er damit?

Eine unbändige Wut breitete sich in mir aus. Was für ein widerwärtiger Mann stand hier nur vor mir?

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