Das Zweite Gesicht

1.7K 58 11
                                    

Prolog.

"Sieh her! " rief er mit glühenden Gesicht. Seine Augen leuchteten, sein weißblondes Haar wehte im aufkommenden Wind und Jace fragte sich, ob sein Vater in seiner Jugend auch so ausgesehen hatte: furchterregend und faszinierend zugleich.

~City of Glass~

Eigentlich habe ich mich immer in der Mitte gesehen. Ich fand mich weder hässlich noch bildschön. Ich war sportlich aber in keiner Sportart richtig gut. Meine schulischen Leistungen waren ebenfalls Mittelmaß. Es schien mir immer so, als hätte ich mich in nichts speziellesiert und war dementsprechend, langweilig oder einfach nur nett.

Bis sich eines Tages mein Zustand verschlechterte. Es fing damit an, das ich nicht mehr mittelmäßig beim Sport war, das ich beim Tanztraning durchhing. Ich wollte es abtun, redete mir ein eine Erkältung verschleppt zu haben, doch nach zahlreichen Artzgängen konnte ich mich damit nicht mehr abspeisen. Nach einigen Wochen war ich nicht mehr die Mitte, der Durchschnitt oder die Unscheinbare. Ich war diejenige mit der Herzkrankheit, die mit der Herzinsuffizienz. NYHA3 die Einstufung, die ich letzten Feitag von meinem Arzt bekommen hatte. Definiert durch Erschöpfung, Hetzrhythmusstörungen, Luftnot und Angina pectoris, sowie starke Einschränkung bei geringer. b. Z. alltäglicher Belastung. Ich konnte diese Sätze runter beten und im Schlaf aufsagen. Mittlerweile konnte ich auch die mitleidingen Blicke übersehen. Es gehörte zu meinem Alltag dazu, genauso wie meine Tabellen. ACE-Hemmer und Betablocker waren meine besten Freunde geworden. Während meine besten Freunde sich zurückgezogen hatte, mit den Worten, das sie es nicht ertragen könnten, wenn ich auf einmal weg wäre. "Weg" ein sehr dämliches Synonym für tot. Der Mensch gewöhnt sich an alles und deswegen hatte ich mich auch daran gewöhnt. Ich war mittlerweile abgestumpft und lebte von einem Artzbesuch bis zum Nächsten. Wegrennen könnte ich ja nicht, wortwörtlich...

Die Tropfen klatschten hart auf die Kapuze meiner schwarzen Regenjacke. In Zeitlupe bewegte ich mich vorwärts, ein Schritt nach dem Nächsten und auch wenn es so aussah als würde ich mich quälen, was ich auch ein Stück weit tat, lebte ich für diese Spaziergänge. Ich begegnete kaum Menschen, die mich mit merkwürdigen Blicken beschießen konnte und ich konnte mich einfach unter meiner Kapuze verstecken.
Einige meiner braunen Haare schauten hervor und wurden an den Spitzen schon nass. Ich spielte gedankenverloren mit einer der Strähnen.
Ich dachte an die Broschüre, die mir mein Arzt gegeben hatte, mit Tipps und Tricks für die Krankheit und immer wieder dachte ich an den Satz: „Auf Totenscheinen wird als Todesursache häufig „Herzversagen" angegeben. Damit ist die akute Herzinsuffizienz gemeint, die in vielen Fällen zum Tod führt."
Mittlerweile sollte ich immun gegen diese Aussagen sein, aber ich war es nicht. Ich hatte zwar versucht meine Mauer aufzubauen, aber es war eine instabile Mauer, sie hatte Risse, derbe Risse.

Ein Zischen ließ mich erschrocken stehen bleiben, nein erschrocken gab es bei mir nicht. Alles was mich aufregen könnte, sollte ich vermeiden, deswegen blieb ich einfach nur beduselt stehen und blickte in rotglühende Augen. Rot? Ich schielte zur Datumsanzeige meiner Uhr. Nein es war erst Anfang Oktober, noch keine Zeit für Halloween und erst danach fiel mir der Rest auf.
Der ganze Rest, der mich einen Schritt nach Hinten taumeln ließ.
Jetzt war es offiziell, zu meiner dämlichen Krankheit, wurde ich verrückt.
Eigentlich wäre ja Verrücktheit fast schon cool gewesen, damit könnte ich die Leute noch mehr auf Abstand halten, aber so hatte ich mir das nicht vorgestellt.
Ich wollte keine Hunde sehen, zumal ich Hunde so schon nicht ausstehen konnte. Ich war eher der Katzentyp.
„Du hast... ähm..." Sollte ich ihn darauf hinweisen, dass er überdimensional riesig war für einen Hund, verdammt lange spitze Zähne besaß oder eher, dass sein Schwanz aussah, wie ein mittelalterlicher Streitkolben?
„Du bist ziemlich hässlich für einen Hund." Ja so konnte ich es auch ausdrücken.
Der Hund fletschte die Zähne oder eher seine „Vampirhauer" und kam knurrend auf mich zu. Fantastisch!
Dabei flogen nur so seine Sabber-Fäden durch die verregnete Luft.

Ok, ich überlegte mir meine Möglichkeiten, bis sich ein bitteres Lächeln auf mein Gesicht zeigte.
Ich hatte keine Möglichkeiten.
Kein Weglaufen, kein Hund abwehren und auch kein um Hilfe schreien.
Alles würde ich momentan nicht gebacken bekommen, da mein Herzschlag schon unregelmäßig schnell und schmerzhaft ging. Der Hund setzte zum Sprung an und ich tat das Einzige, was ich tun konnte.
Ich verschloss meine braunen Augen.
Doch keine Zähne bohrten sich in mein Fleisch und auch keine Pranken rissen mich um. Stattdessen ertönte ein Kreischen, was ohrenbetäubend laut in meinem Kopf widerhallte.
Verwunderte öffnete ich wieder meine Augen und erblickte ein Wirrwarr aus Hund und Mensch?
Nach Luft schnappend trat ich ein Schritt vor und danach zwei Weitere zurück.
Mit Mühe und Not konnte ich einen hellen silbernen Schein ausmachen und einen weißen Schein und schwarze Konturen. Der Hund schien auch nur noch ein Vieh zu sein, bestehend aus schwarzen Borsten und Stacheln.

Plötzlich verpuffte dieser riesiger Klumpen zu Staub, welcher von dem strömenden Regen auf den Boden gespült wurde und in dem nächsten Gully abfloss.
Während sich der Mensch, nein Junge oder eher Mann? aufrichtete und seine Schwertklinge, die komisch durchscheinend war und bis eben noch hell geleuchtet hatte, wegsteckte, brach ich zusammen.
Nach Luft schnappend sackte ich auf meine Knie und presste meine Hände hart auf meine Brust, da mich mal wieder die Stenokardie überraschte. Der Schmerz war betäubend, meine Arme wurde dazu taub und ich fing an zu würgen. Es war nicht nur ekelig, sondern auch peinlich und ich versuchte mich so gut es ging zu beruhigen.
Aber erst als sich zwei Hände auf meine Knie legten, beruhigte ich mich langsam wieder. Immer noch nach Luft schnappend blickte ich auf die bleichen Hände, über die sich schwarze Linien und zahlreiche dünne fast silbrige Narben schlängelten.

Und aus irgendeinem Grund fand ich diese Hände schön, irgendwie auch wunderschön, trotz der Blässe und den Kontrast zu den schwarzen Tätowierungen? Ich atmete ruhiger und blickte hoch. Das Gesicht war ebenfalls attraktiv. Nur die schwarzen Augen irritieren mich, schienen noch einen viel größeren Kontrast abzugeben, als die schwarzen Linien, die ich nun auch auf Teilen von seinem Hals erkennen konnte.
Während ich immer noch ruckartig ein und ausatmete betrachtete ich diesen jungen Mann ausgiebig. Er sah so unecht und echt zugleich aus. Wäre er nicht so zu tätowiert, hätte ich sofort gesagt, er wäre ein Model, aber ich bezweifelte, dass Models mit Schwertern durch London zogen und Riesen-Hunde töteten.
Jedes Detail prägte sich ein, helle fast weiße Haare, die ihm vom Regen am Kopf klebten , schwarze tiefe Augen, schmale aber nicht zu schmale Lippen, ein kantiges Kinn und fast ein wenig androgyne Züge. Sein Körper war muskulös, mindestens dass was man unter der Leder- Stoff- Jacke erkennen konnte. Derbe Stiefel und eine Hose aus dem gleichen robusten Stoff. Alles in Schwarz. Vielleicht war er ein Gothic? Aber er war nicht geschminkt, nur diese schwarzen Male machten kein Sinn. Waren es Runen? Aber Runen, die ich noch nie gesehen hatte.
Und dann sah ich die zahlreichen Waffen, die er am Körper trug. Am Gürtel und über den Rücken, in Ledergurten. Vermutlich wogen die Waffen mehr als er selbst, denn trotz der ganzen Muskeln, war er schlank.

„Du kannst mich sehen." Seine kalte Stimme ließ mich wieder in sein Gesicht blicken. Er klang nicht verwundert und auch nicht fragend. Es war eine Feststellung und trotzdem schien er mit dieser Feststellung alles andere als zufrieden. Ich nickte und legte den Kopf schief, noch immer hockte ich auf der Straße, aber es war eine Nebenstraße und keine Menschenseele war zu sehen. Fast keine, denn im nächsten Moment hörte ich Stimmen an mein Ohr dringen. „Dort hinten, dort könnte er sein." Wie wahrscheinlich war es, dass sie meinen Retter meinten? Vermutlich sehr, denn dieser war sofort auf seinen Beinen, so schnell, wie ich nicht mal zu meinen Bestzeiten gewesen war.
Seine Hand packte mich, fast schon grob zog er mich hoch und ich konzentrierte mich einfach darauf meine Atmung ruhig zu halten. Statt erneut auszuflippen, dass ich gerade vermutlich verschleppt wurde.
„Morgenstern lass sie sofort los.", schrie ein Mann am anderen Ende der Gasse.

Schon von Weitem konnte ich sehen, dass die Personen genau die gleiche Kleidung trugen, wie der Blonde neben mir. Gehörten sie etwa einer Sekte an? Oder war das eine neue Kampfart? All die abstrusen Ideen, die durch mein Kopf schossen, schienen unwirklich, nichts passte zu dem eben Erlebten und ich wollte einfach zu dem Schluss kommen, dass ich nun doch endgültig durchgedreht war.
Ich spürte kaltes und hartes Metall an meinem Hals, ohne dass ich es bemerkt hatte stand der Blonde hinter mir, drückte mich an sich und hielt mir tatsächlich eine Klinge an den Hals.
Von was genau die Klinge stammte konnte ich schwer sagen, da ich mich nicht traute meinen Kopf zu bewegen.
Aber es schien etwas in den Männern gegenüber zu bewirken, denn sie blieben abrupt stehen.

„Willkommen in meiner Welt.", flüsterte der junge Mann hinter mir in mein Ohr und mit einem Schlag wurde mir bewusst, dass ich nicht verrückt geworden war, sondern dass ich ernsthaft in der Klemme saß.

Das ist meine Erste Geschichte also seit bitte nicht zu Hart mit Mir!!!

Das zweite GesichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt