Kapitel 36

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Die Tür schwang auf und Sebastian trat ein.
Er trug ein weißes Strickhemd und erinnerte Jocelyn wieder einmal an seinen Vater.
Valentin hatte gern Weiß getragen. Es hatte ihn bleicher aussehen,
sein Haar noch weißer leuchten lassen und sein ganzes Erscheinungsbild hatte so
das entscheidene bisschen übermenschlicher gewirkt.
Seine Augen erinnerten Jocelyn an schwarze Farbklekse auf einer weißen Leinwand.
Er lächelte. 
~City Of Heavenly Fire~ 


Mein Mund öffnete sich, nur um sich in dem nächsten Moment wieder zu schließen. Was hatte er gesagt? Ich fuhr mir mit beiden Händen über meine Arme, als könnte ich dadurch das ertasten, was man nicht sehen konnte. Etwas, was sie mir vielleicht angeklebt hatten. Aber nichts, oder? „Ich muss... wir müssen...“, fing ich an panisch zu faseln, doch Jonathan legte mir sanft seine Hand auf den Mund. „Bitte, Zoey, bleib ruhig. Es wird alles gut!“ Aber wie konnte alles gut werden? Wie, wenn sie uns jederzeit finden könnten? Wenn sie jetzt auftauchen würden? Jetzt, wo keiner von uns eine Waffe mehr hatte? Jetzt wo alle Bescheid wussten... wo selbst Izzy wusste, dass ich gelogen hatte. Jetzt würde keiner mehr zögern uns beide umzubringen. 
„Hey...shh... nein, komm her.“ Er zog mich in seine Arme und ich bemerkte, wie die Tränen einfach aus meinen Augen schossen. Ich hörte ein Schluchzen, was seltsamerweise von mir stammte und nicht aufzuhalten war. „Sie...sie werden uns töten.“, flüsterte ich erstickt, ergriffen von der Angst, die sich kalt um mein Herz legte und zudrückte. 
Jonathan strich mit seinen Händen leicht unbeholfen über meinen Rücken. „Nein werden sie nicht.“, murrte er bitter. „Leider... Der Rat will lieber einen knallharten Prozess und das Lichte Volk ist viel zu neugierig, was für angeblich großartige Pläne ich habe... Eher werden sie uns gefangen nehmen und foltern bis einer von uns einknickt und die Antworten liefert, die sie haben wollen...“ 
Erstickt japste ich auf, wandte mich aus der Umarmung und stolperte im Krebsgang zurück. 

Jonathans wütende Miene veränderte sich schlagartig, als er bemerkte, was er da gerade gesagt hatte. „Scheiße.“, fluchte er. „Nein ,Zoey. So meinte ich das nicht.“ „Nein?“, fragte ich mit piepsiger Stimme. „Sicher? Weil ich glaube, dass du genau das gerade gesag...“ „Ja, aber das werde ich nicht zulassen, okay?“, unterbrach er mich und zog mich mit einer fließenden Bewegung wieder auf seinen Schoß. Ich legte müde meine Stirn auf seine Schultern und ließ mich leicht widerwillig von ihm halten. Auch wenn die Pose doch irgendwie intim war, schien es nicht so, als würde Jonathan das wirklich bemerken und ich war einfach zu erschöpft um mich von ihm zu entfernen. Und ja, vielleicht brauchte ich auch einfach in diesem Moment diese blöde Umarmung. 

„Du hast eine ziemlich beschissene Art ein Mädchen zu trösten...“, murrte ich nach einigen Minuten der Stille.
„Ehrlich gesagt... war es das erste Mal, dass ich so was machen musste...“ Ich grinste gegen sein T-Shirt. „Na ja eigentlich nicht, weißt du noch wegen der Fernsehanzeige? Da war ich auch etwas außer mich.“ „Tut mir Leid. Meine Worte waren echt nicht die Besten.“ Ich lachte leise. „Schattenjäger durch und durch, was?“ „Jah...“, antwortete er leicht abwesend. Vermutlich dachte er wieder einmal an sein früheres „Dämonen-Ich“ und ich bereute sofort, dass ich so was Blödes gesagt hatte. 
„Und was machen wir jetzt?“, fragte ich ablenkend und rutschte von seinem Schoß herunter. „Zu Clary gehen.“, antwortete er ernst und sprang leichtfertig auf seine Füße. 

„Zu Clary? Aber ist das nicht zu gefährlich?“, fragte ich unsicher. Er zog mich hoch und sah sich um. Das tat ich nun auch zum ersten Mal. Die Bäume um mich herum verrieten mir, dass wir an einem mir ziemlich bekannten Ort gelandet waren. Wenn ich genau hinsah konnte ich den See vom Central Park in der Ferne erkennen. 
„Ja vielleicht, aber was ist in unserer Situation jetzt nicht lebensmüde?“, antwortete er. „Außerdem ist sie die Einzige, die uns jetzt noch nach Idris bringen kann und würde.“ „Was? Moment, wie soll sie das bitte machen?“, fragte ich verwirrt und stolperte noch etwas benommen dem Nephilim hinter her. 
„Was? Hat sie dir nichts von ihrer Superpowerfähigkeiten erzählt?“, fragte er grinsend über seine Schulter schauend. „Meinst du die Blutgeschichte?“, fragte ich und folgte ihm über den feuchten Rasen. Es sah so aus, als hätte es erst geregnet und jetzt bemerkte ich auch, wie kalt die Luft eigentlich um uns herum war.
Auch hier, in New York, war es Winter. Auch wenn kein Schnee wie in London lag.
„Ja aber eher die damit zusammenhängende Super-Power-Runen Geschichte“, kam es schmunzelnd von Jonathan. „Sie sieht vielleicht ganz unschuldig aus, aber sie hat es schon ziemlich faustdick hinter den Ohren. Sie ist eben eine Morgenstern.“ „Das bezweifle ich nicht.“, murmelte ich und erntete ein raues Lachen von Jonathan. 
„Wir sollten uns beeilen vom Terrain des Lichten Volks herunter zukommen.“ Mit diesen Worten setzten wir schweigend unseren Weg fort, der uns vermutlich ins Verderben führen würde...

Das zweite GesichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt