Kapitel 11

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Sebastian streifte das Hemd ab und warf es auf die Küchentheke. „Abgemacht.“
„Ich hab keine Stele.“ Clary versuchte, ihn nicht anzuschauen, doch es fiel ihr schwer:
Sebastian schien ihren persönlichen Raum bewusst zu verletzen.
Sein Körper ähnelte dem von Jace - hart, ohne ein Gramm Fett, mit Muskeln,
die sich deutlich unter der Haut abzeichneten. Genau wie Jace war er mit Narben übersät, 
doch seine Haut war so hell, dass sich die weißen Überbleibsel ehemaliger Runenmale bei ihm weniger stark abhoben
als von Jace‘ leicht gebräunter Haut. 
Bei ihrem Bruder wirkten die Narben wie Zeichnungen mit einem Silberstift auf weißem Papier.
~City of Lost Soul~ 


„Wie bitte?“, fragte er verwirrt und trug mich weiter durch die Straßen von Venedig.
Die wenigen Menschen, die uns entgegen geeilt kamen, schienen uns gar nicht wahrzunehmen. Vermutlich hetzten sie zur Arbeit und betrachteten gar nicht ihre malerische Umgebung. Apropos prächtiges Venedig. Ich hatte nur einen tollen Ausblick auf die Straße unter mir...
„Lieblingsfarbe? Rot, Grün... oder Pink?“, fragte ich weiter und trommelte vor Langeweile mit meinen Fingern auf seinen Rücken herum. „Nein.“ Grinste er etwa? 
„Rosa? Violett...“ „Violett kann durchaus gut aussehen.“ Seine Raue Stimme hatte wie so oft eine beruhigende Wirkung auf mich.
„Ernsthaft? Ich meine ... violett, wirklich?“, grinsend hing ich da. 
Kurz darauf setzte er mich ab und ich konnte unser Hotel erspähen. 

Das braune Gebäude sah eigentlich relativ unspektakulär aus, aber nur von außen. Im Hotel selber kam ich mir vor, wie in einem Palast. Überall waren Marmorfliesen, Statuen und Säulen, prunkvolle Treppen und das Kaminzimmer strotzte nur so von Luxus und Geld. Das Hotel hatte seinen eigenen Eingang am Wasser, wo man mit dem Boot angelegen konnte. Es war irre. Die Gäste, die hier nächtigten trugen Designerklamotten. Von teuren Anzügen über schicke Cocktailkleider war alles dabei. Der Gang der Leute war aufrecht und stolz. Ich kam mir vor wie eine dreckige Venedig - Kanalratte und Jonathan neben mir... nun ja er war ebenfalls stolz und selbstbewusst. Er strahlte eine Macht aus, die die Ausstrahlung aller Menschen hier übertraf und das obwohl er nur Jogginghose und T-Shirt trug. 
Wie würden sie ihn erst anhimmeln, wenn er einen Anzug trug? 

„Warum schaut dich niemand an?“, fragte ich verwirrt und sah mich um. Tatsächlich beachtete uns niemand weiter. Zwar wurden mir hin und wieder kurze Blicke zugeworfen, aber das war es dann auch schon wieder.
Jonathan hielt mir seinen Unterarm als Antwort hin und ich beugte mich neugierig zu ihm. Ein Runenmal das stark nach einer abstrakt gezeichneten Raupe aussah. Es verblasste schon, denn es war nur noch bräunlich, statt pechschwarz.
Eine Zauberglanzrune, ich erinnerte mich an die Bedeutung, die im Codex stand. Sie machte einen Schattenjäger unsichtbar, wie der Umhang von Harry Potter. Mit einem Seufzen folgte ich dem Nephilim, der schon einige Meter weiter gegangen war und gerade die Eingangshalle verließ.

Wir durchquerten das leere Kaminzimmer und gelangten zu einer Terrasse mit Blick auf die Bucht von Venedig. Zur rechten Seite der Terrasse konnte man die Kuppel des Markusdoms erkennen. 
Auf der Veranda saßen vereinzelt Gäste des Hotels und nahmen ihr Frühstück ein.
„Wir können doch unmöglich hier so essen gehen.“, murmelte ich ihm zu und schielte zu seinen nackten Füßen. Sie waren nicht einmal dreckig... Er machte nur wieder sein eine Augenbraue-Hochzieh-Ding und zog mir einen der Stühle von dem nächsten freien Tisch zurück. Sofort eilte eine Kellnerin herbei. Seine Rune war nur noch eine helle silberne Narbe, also eine Raupen-Narbe sozusagen. Hastig setzte ich mich hin, als ich meinen Blick hob, saß er mir schon gegenüber.

Ich bestellte mir Orangensaft und Waffeln mit frischem Apfelmus. Jonathan entschied sich für Rührei mit Bacon und Tee. Schmunzelnd nippte ich an dem Saft. Eigentlich sollte ich ja die Teetrinkerin sein, aber seit der Diagnose, wurde mir geraten möglichst wenig zu trinken und am besten Tee und Kaffee zu meiden.
Mit Letzterem kam ich gut klar, aber Tee habe ich immer geliebt. Zuviel Wasser im Kreislauf, zu große Belastung...bla bla. 
Schlussendlich saßen wir einfach da und aßen unser Frühstück. Seltsam normal, wenn man mal den Rest verdrängte. Ich genoss die Sonnenstrahlen, die mein Gesicht wärmten und knabberte zufrieden an meiner Waffel. „Also ist Violett deine Lieblingsfarbe?“, fragte ich lächelnd und riss Jonathan aus seinen Gedanken.
Seine Stirn legte sich in Falten. „Ich hab mir nie Gedanken über eine Lieblingsfarbe gemacht. Bei uns Schattenjägern stehen Farben für verschiedene Dinge. Jede Farbe hat eine bestimmte Bedeutung mindestens im Traditionellen Sinn.“ Ich nickte. Ich war froh, dass er so viel redete und er konnte gut reden. Ich hätte ihm stundenlang zuhören können. Es erinnerte mich an den Abend, wo er mir das erste Mal von den Schattenjägern erzählt hatte und ich dabei eingeschlafen war. 

Das zweite GesichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt