36.Kapitel, in dem wir jemand nicht ganz unbekannten wiedertreffen

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Dimitris Sicht
Dicht gefolgt von Luna und Isa verließ ich das Café am späten Nachmittag. Draußen standen, wie mit Lessing vereinbart, Fire und Tornado, an einen Laternenpfahl angeleint. Um sie herum eine Menschentraube. Oh, super gemacht, Lessing. Auffälliger ging's wohl nicht. Warum müssen die Erben überhaupt per Pferd reisen. Diese mittelalterliche Tradition gehört schon längst überarbeitet. Na ja, egal, jetzt mussten wir erstmal die Pferde da wegholen, merkten die Leute nicht, dass sie den Tieren mit ihrem Gegaffe Angst machten?! Mit einem kurzen Blick zu Luna versicherte ich mich, dass sie mir auch weiter folgte. Sie schaute die umstehenden Menschen böse an, während sie sich durch die Menge schob. Sie ist so süß, wenn sie so schaut! Und wie schön ihre Augen funkeln, wenn sie wütend ist. Man könnte meinen, sie werden noch intensiver grün...

Ja ja, hallo, nicht träumen, sondern die Pferde losbinden!, ermahnte mich meine innere Stimme. Ja, chill mal! Ich lief auf Fire zu, die deutlich nervöser als Tornado war. Idioten, die sollten endlich abhauen. Beruhigend strich ich ihr über die Nüstern. „Sch sch, Süße, ich bring dich hier weg, keine Angst", redete ich beruhigend auf sie ein und begann die Zügel vom Laternenpfahl zu lösen. Luna hatte sich Tornado zugewendet und war ebenfalls dabei, ihn loszubinden. Ein älterer Junge, vermutlich in meinem Alter, fotografiere Fire. Ein grelles Licht blitzte aus der Kamera. Fire wieherte panisch und versuchte zu steigen. Schnell zog ich an ihren Zügeln. Ich wollte mich gerade auf den Jungen stürzen als Luna wutentbrannt mit Tornado an den Zügeln auf den Jungen zu lief. Überrascht hielt ich inne. „Hey, du, du mit der Kamera!", rief sie ihm in perfektem Französisch zu. „Was glaubst du eigentlich was du da machst?! Siehst du nicht, das dieses Pferd eh schon total verängstigt ist? Hast du eine Ahnung, wie schwer es für meinen Freund hier ist, sie zu beruhigen, auch ohne das du sie mit deinem Blitz noch zusätzlich erscheckst? Wenn du auch nur ein bisschen Gripps hättest, hättest du das Foto ohne Blitz gemacht. Außerdem ist es nicht erlaubt, einfach so Fotos von anderen Leuten zu machen! Schon mal was vom Recht am Bild gehört?! Da fragt man!" Sie hatte sich vor dem völlig verdatterten Jungen, der mindestens einen Kopf größer war als sie, aufgebaut und riss ihm jetzt die Kamera aus der Hand. „Hey!", rief dieser matt, da gab Luna ihm die Kamera auch schon zurück. „So, gelöscht. Lass dir das eine Lehre sein. Tiere sind auch Lebewesen. Wenn du in Zukunft ein Bild von ihnen machen möchtest, fragst du vorher und tust es ohne Blitz. Das gilt übrigens für Sie alle. Und jetzt gehen Sie bitte, ich weiß ja, dass Pferde in Paris nicht gerade zum Alltag gehören, aber hier gibt es nichts mehr zu sehen!", rief sie völlig außer Atem jetzt auch an die anderen Umstehenden gewandt. Murrend löste sich die Menge auf. Wow, so hab ich sie auch noch nicht erlebt! Das war ja ... der Wahnsinn! Ich bin beeindruckt. So gut hätte wahrscheinlich nicht mal ich es hinbekommen. Einzig und allein der Junge stand noch da und schaute verwirrt auf die Kamera in seinen Händen. Ganz entspannt lief ich auf ihn zu, Fire im Schlepptau. „Sorry, falls du kein Französisch sprichst, aber meine kleine Freundin hier meinte, dass du verschwinden sollst", erklärte ich ihm in aller Seelenruhe, diesmal auf Englisch.o Erschrocken blickte der Junge auf. Er hatte weiß gefärbte Haare und einen etwas zu großen Kopf für seinen dünnen Körper. Alles in allem erinnerte er mich an einen Wichtel. Mit den großen Augen... vielleicht sollte ich ihm empfehlen, sich eine Zipfelmütze zu kaufen? Na ja, lieber nicht, dann wäre es zu auffällig. Abwartend sah ich ihn an. „Ähm, ja... also,... entschuldige, ich wollte nicht..., also, ich habe noch nie ein Pferd von so nah gesehen ... ähm ich, ähm, ähm...", stammelte er, sehr wohl auf Französisch. Ich seufzte. „Möchtest du sie vielleicht mal streicheln?", fragte ich resigniert. Seine Augen wurden noch größer. „Darf ich wirklich?!", fragte er nervös und aufgeregt zugleich. Ich nickte kurz. Schon traurig die Jugend von heute. Sitzen nur noch vor der Glotze und haben noch nie ein Pferd gestreichelt. Ach, ne Mister Perfekt! Weil du ja nie zockst und so! Ich hab immerhin schon mal ein Pferd gesehen, und dass nicht nur im Fernsehn! Ich beobachtete, wie der Junge sich vorsichtig Fire näherte. Genauso vorsichtig schnupperte sie an seiner ausgestreckten Hand. Schnell zog er seine Hand zurück. „Beißt es?", fragte er ängstlich. Ich musste mich ein Lachen ja wirklich verkneifen. „Nein, keine Sorge, Pferde treten nur", erwiderte ich amüsiert. Ich glaube, er hatte schon nach Nein abgeschaltet. Er näherte sich Fire wieder und begann sie zu streicheln. Seine Mine hellte sich auf. „Es ist ganz flauschig!", rief er begeistert. Ja natürlich, du Idiot, sie hat ja auch Fell! Der Junge trat einen Schritt zurück. „Äh, danke, und tut mir echt leid wegen vorhin. Ich heiße übrigens Niklas." Ich nickte kurz. „Dimitri" Plötzlich kam Léa von hinten an. Fassungslos starrte sie uns an. „Pferde? Ging's nicht unauffälliger?", fragte sie. Ich ging emotionslos an ihr vorbei. „Nö." Ich hörte Léa hinter mir seufzen. „Na dann, kommt mit, meine Wohnung ist nicht weit von hier", meinte sie und marschierte los. Luna und ich schwangen uns auf die Pferde und ritten hinterher, Isa folgte uns brav.

Die Reise der ErbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt