2. Kapitel

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Nach der nicht allzu langen Autofahrt stieg ich mit zitternden Beinen aus dem Auto. Vor mir ragte ein riesiges Anwesen auf. Vorhin waren wir durch ein großes schmiedeeisernes Tor gefahren und befanden und nun im Vorhof. Geschäftig liefen Leute herum trugen Wäsche oder Feuerholz auf den Armen und beeilten sich wieder ins Warme zu kommen. Doch niemand begrüßte uns oder guckte neugierig. Alle hielten ihren Blick gesenkt und redeten nicht untereinander. Die Atmosphäre war gedrückt. Verunsichert schaute ich mich nach meinem Fahrer um. Dieser stand auf der anderen Seite des Autos und beobachtete mich. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Mir gefiel nicht was ich sah. Ich hatte angenommen, da mein Onkel mich gerettet hatte, dass er ein gerechter und netter Großherzog war. Doch wie es jetzt aussah hatte ich mich wieder einmal getäuscht.

,,Kann ich meinen Onkel sehen?", fragte ich den Fahrer.

,,Nein.", antwortete dieser einfach, drehte sich um und steuerte direkt auf eine der vielen Türen zu.

Verwirrt und alleingelassen beeilte ich mich ihm zu folgen, als dieser sich umdrehte und mich ungeduldig mit einer harschen Handbewegung dazu auffordete.

Wir betraten das große Gebäude durch einen unscheinbaren Seiteneingang und folgten dann einem großen Korridor in die Eingangshalle. Dort gingen wir an einer prunkvollen Treppe mit verschnörkeltem Geländer vorbei, über den weiß glänzenden Mamorboden, bogen in einen weiteren Korridor ein und gingen eine andere nicht ganz so protzige Treppe hinauf. Rechts und links hingen teuer aussehende Ölgemälde, wobei ich den Eindruck hatte, dass mich die Blicke der unheimlichen Personen verfolgten.
Schaudernd ging ich weiter und konzentrierte mich auf den Weg den wir nahmen. Doch schon nach den nächsten drei Biegungen verlor ich die Orientierung und gab es auf.

Schließlich, nachdem wir etliche Prunksäle durchquert hatten, hielten wir vor einer schlichten brauen Tür an. Der Mann kramte einen alten Schlüssel hervor, schloss die Tür auf und bedeutete mir einzutreten. Vorsichtig ging ich hinein und schaute mich um. Wie ich auch schon zuvor bemerkt hatte, war alles altmodisch aber teuer und geschmackvoll eingerichtet. Ein großes Himmelbett stand neben dem ebenfalls großem Spitzbogenfenster, woraus ich auf einen riesigen Wald gucken konnte. Es gab auch noch einen prächtigen Eichenholzschrank und eine zierliche Frisierkomode. Ein dicker roter Perserteppich, der exakt die Farbe der schweren Seidenvorhänge neben dem Fenster und am Himmelbett hatte, lag auf dem Boden und dämpfte meine Schritte als ich zum Fenster ging.

,,Das Essen wird dir morgens und abends von den Küchenmädchen gebracht. Dieses Zimmer darfst du nicht verlassen, es sei denn du wirst von einer höheren Persönlichkeit dazu aufgefordert. Ein Bad ist da hinter der angrenzenden Tür und du befindest dich hier im Ostflügel. Dein Onkel wirst du erst sehen, wenn er dich holen lässt, also stell dich schonmal auf eine längere Wartezeit ein. Sonst noch irgendwelche Fragen?", ratterte der Fahrer lustlos herunter.

Ich selbst war sprachlos  über seinen plötzlichen Wortschwall, wo er doch vorher kaum mehr als ein Wort gesagt hatte.

,,Was soll ich denn jetzt die ganze Zeit machen wenn ich das Zimmer nicht verlassen darf?",fragte ich vorsichtig.

,,Das ist nicht mein Problem!", schnauzte er mich an und wandte sich zum Gehen.

Nachdem sich die schwere Tür hinter dem Mann geschlossen hatte und ich bei dem Geräusch des sich umdrehen Schlüssels zusammengezuckt war, setzte ich mich jetzt erschöpft auf das große Himmelbett. Das war keine gute Idee, denn prompt fühlte ich mich klein, wehrlos und allein. Doch von den vielen Ereignissen der letzten Tage ausgelaugt fielen mir schon bald die Augen zu und ich schaffte es noch mit letzter Kraft unter die seidenen Bettdecken zu schlüpfen. Noch bevor mein Kopf die weichen Daunenkissen berührte war ich schon eingeschlafen.

Am nächsten Tag wachte ich erst am späten Nachmittag wieder auf. Die Sonne berührte gerade noch so die Spitzen der Baumwipfel welche ich aus dem Fenster sehen konnte. Nun wieder bei Kräften schlug ich die vielen Decken zurück und stand auf. Ich trug immernoch die schmutzige Kleidung von gestern und sah mich deshalb nach etwas Passablerem um. Auf einer großen Truhe am Ende des Himmelbettes lag ein dunkelgrünes Seidenkleid mit weißem Unterkleid und goldenen Stickereien auf dem Mieder. Vorsichtig nahm ich es in die Hände. Der Stoff war fein säuberlich gewebt und von sehr guter Qualität. Doch es war mir unbegreiflich wie ich mir ein solches Prachtstück von Kleid selbst anziehen sollte. Da brauchte man mindestens die Hilfe einer weiteren Frau um das Mieder zu schnüren und das Unterkleid zu richten. Ich kannte solche Kleider nur von den wohlhabenderen Frauen und Mädchen aus dem Mittelalterdorf, denn ich selbst hatte nie ein solches besessen. Unsere einfachen Stoffkittel und Schürzen waren aus groben Leinen gewebt und in einem Stück anzuziehen gewesen. Das war viel praktischer bei der Arbeit. Außerdem hätten unsere Eltern es sich sowieso auch nicht leisten können. Weder für sich noch für uns. Sowieso erinnerte mich hier vieles, allein die altmodische Einrichtung an das alte Dorf. Das allerdings rief keine guten Erinnerungen hervor. Verwirrt legte ich das Kleid wieder zurück. Ich war zu dem Schluss gekommen das es nicht möglich war es alleine anzuziehen. Doch ich hatte noch so viele ungeklärte Fragen.

Wie hatte mein Stiefonkel von uns erfahren? Warum hatte er ausgerechnet mich gerettet? Und wenn er mich schon gerettet hatte warum hielt er mich dann hier gefangen? Wo es genau so zuging wie im Dorf?

Das machte alles keinen Sinn und ich hoffte das ich ihn das alles bei unserer ersten Begegnung fragen konnte.

Doch wie der Fahrer an meiner Ankunft hier schon gesagt hatte, konnte ich darauf lange warten. Es war nun eine Woche vergangen, mit dem immer gleichen Schema an einem Tag: Morgens wurde ich von den Küchenmädchen geweckt, dann frühstückte ich und wurde von weiteren Bediensteten angekleidet. Ein Privileg das ich so noch nie vorher erlebt hatte und welches mich beschämte. Ich war ja schließlich keine Edelfrau aus dem Mittelalter. Dann musste ich den restlichen Tag irgentwie herum bringen. Es war schreklich langweilig. Denn die Leute die zu mir kamen, redeten nicht mit mir sondern verrichteten nur stumm ihre Arbeit und gingen wieder. Seltsame Gestalten gab es hier auf dem Anwesen. Abends wurde dann wieder Essen gebracht und anschließend ging ich ins Bett.

Doch das Warten hatte sich gelohnt. Nach genau acht Tagen klopfte es zu einer ungeplanten Zeit an der Tür und es wurde kurz danach aufgeschlossen. Erwartungsvoll blickte ich zum Eingang. Doch es war nur ein weiß gekleideter Diener mit einem Silbertablett in der Hand. Aber darauf war kein Essen, sondern es war ein Zettel zu sehen. Neugierig nahm ich ihn entgegen und öffnete ihn. Zum Glück hatte meine Mutter Zoé und mich heimlich Zuhause im Lesen und Schreiben unterrichtet, denn sonst hätte ich keine Chance gehabt die verschnörkelte Schrift zu entziffern. Nur ein einziger Satz stand auf dem dicken Permanent und er war mit roter Tinte geschrieben:

Ich erwarte dich heute Abend in meinem Arbeitszimmer...

-Samuel

Ich wusste zwar nicht wie mein mysteriösen Onkel hieß, ging aber mal stark davon aus, dass er den Namen Samuel trug.

Und er erwartete mich.

Endlich.

Der Segen der ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt