35. Kapitel

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Stille umgab mich. Nichts als Stille. Kein Vogelgezwitscher. Kein Rauschen der Blätter im Wind. Irgendetwas war gewaltig falsch daran. Ich drehte mich um die eigene Achse. Weißes Licht fiel durch das dunkle Blätterdach über mir. Die Sonne malte ungleichmäßige Flecken auf den Waldboden. Eine Melodie nahm in meinem Kopf Gestalt an. Nie zuvor hatte ich sie gehört. Eigentlich war ich nicht musikalisch. Aber diese Melodie... Meine nackten Füße berührten den kühlen Waldboden. Etwas glitzerte weiter hinten bei den Bäumen. Alles wirkte friedlich. Und doch stimmte irgendetwas nicht. Ich kam nur nicht drauf, was es war. Die Melodie war weiter in meinem Kopf. Ich fing an sie zu summen. Es war eine fröhliche kleine Reihenfolge von Noten. Fast wie aus einem Kinderlied. Farn streifte um meine nackten Waden, als ich mich langsam nach vorne bewegte. Meine Finger wanderten über die harte Runde eines Baumes, der neben mir stand. Meine Zehen bohren sich in die weiche Erde. Das rote Kleid was ich anhatte, flatterte mir munter um die Oberschenkel. Leise summend ging ich weiter durch den Wald. Kein Geräusch drang an meine Ohren. Die Stille erfüllte mich. Nur diese Melodie... Das weiße Licht brach sich an etwas. Dies war das, was ich glitzern gesehen hatte. Sonnenstrahlen fielen auf mich. Moos war unter meinen Füßen. Meine langen Haare fielen mir offen auf meinen Rücken. Ich trug sie fast nie offen, aber jetzt fühlte es sich genau richtig an. Meine Finger glitten weiter durch das hohe Gras. Ich summte die Melodie. Immer wieder wiederholte ich sie. Sie erfüllte mich. Der glitzerne Gegenstand kam immer näher. Ich blieb stehen. Die Stille drückte auf mich. Wieder hatte ich das Gefühl das etwas falsch war. Doch was? Alles war doch gut. Ich war hier. Die Melodie war bei mir. Und ich war frei...
Und doch, war etwas anders.

Die Stille... Doch die Melodie...

Ich trat näher an das Glitzern heran. Es war eine Pfütze. In der sich das Licht gespiegelt hatte. Doch woher kam die Pfütze? Ich trat noch einen Schritt heran. Dann spürte ich plötzlich einen leichten Schmerz. Erschrocken blickte ich an mir herunter. An meinem Bein bildete sich ein kleiner runder Blutstropfen. Ich hatte mich an einer Distel geschnitten. Doch warum verwirrte mich das? Es war doch nicht schlimm, oder? Mein Blick wanderte wieder zu der Pfütze. Und wieder zurück zu meinem Blut. Die Melodie schwoll in mir an. Und gleichzeitig verstärkte sich die Stille. Die Pfütze hatte die gleiche Farbe wie mein Blut. Und wie mein Kleid. Sie war rot. Mein Blickt wanderte weiter. Dort lag jemand. Ich rannte hin. Plötzlich war doch nicht mehr alles gut. Ein dumpfes Gefühl machte sich in mir breit. Was war los? Ich drehte den Menschen herum. Er war voller Blut. Meinem Blut. Denn viele kleine Wunden hatten sich an meinem Körper geöffnet. Es war Castor. Ich schrak zurück. Er war tot. Ich taumelte und fiel hin. Auf einen weiteren Körper. Diesmal war es Rhyz. Ich sprang wieder auf und wollte weglaufen. Doch plötzlich lagen da noch viel mehr Körper. Meine Familie. Drake. Tarek. Manfred. Timus. Und Zen.

Es fing an zu schneien. Ich schrie.

Doch kein Laut kam mir über die Lippen. Alles blieb still. Und rot. Alles war rot. Und die Melodie... Sie war noch da. Nur sie konnte ich hören. Es war eine schreckliche Melodie. Wie aus einem Kinderlied... Das hatte ich heute schon einmal gedacht.

Es schneite. Als der Schnee den Boden berührte färbt er sich rot.

Da war jemand. Es kam jemand. Vielleicht konnte er mir helfen. Ich rannte zu ihm. Stolperte. Fiel fast hin. Doch er schloss mich in die Arme. Ich wollte mich befreien. Doch er hielt mich fest. Es war Samuel. Er lachte. Doch auch bei ihm konnte kein Laut vernehmen. Samuel grinste mich an. Dann beugte er sich zu mir. Ich schrak zurück. Seine Lippen drückten sich auf mein Ohr. Dann flüsterte er etwas. Und ich konnte es verstehen. Weil er die Melodie sag. Samuel sang.

Alles war still. Nur die Melodie...

Ich schrak hoch. Schweißgebadet saß ich senkrecht in Bett. Eine Träne rann mir aus dem Augenwinkel. Alle meine toten Freunde sah ich vor mir. Und meine tote Familie. Und an all dem war Samuel Schuld. Ich sprang aus dem Bett. Ich musste mich bewegen. Diesen Albtraum aus mir herausbekommen. Am besten musste ich trainieren. Dabei konnte ich mich konzentrieren. Ich schnappte mir meine Trainigsklamotten und zog mich schnell um.

Dann öffnete ich die Tür und hastete hinaus.

Der Segen der ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt