Angespannt lauschte ich denn schweren Schritten draußen vor der Tür. Angst schnürte mir die Kehle zu. Und dann waren da die Stimmen zu hören:
,,Hey Kalio! Gibt mir mal den Speer bitte."
,,Mensch, hol ihn dir doch selbst!"
,,Jungs hört auf zu streiten, wir müssen uns echt beeilen! Sie sind hier im Haus nicht gefunden worden, also werden wir jetzt auf dem Hof gucken. Und dafür werden wir uns jetzt angemessen ausrüsten, so wie der neue Hauptmann es gesagt hat! Schließlich müssen wir von Widerstand ausgehen bei diesem rebellischen Pack da unten... Ich weiß gar nicht warum Großherzog Samuel sie bei sich arbeiten lässt... Sowas Gutes haben die Bauerntrapel überhaupt nicht verdient!"
Ich schnaufte.
Sie waren also nicht unseretwegen hierher gekommen. Sie wollten sich nur ausrüsten. Für einen eventuellen Kampf mit den eigenen Leuten.
Ich biss meine Zähne zusammen. Manfred und seine Familie gehörten auch dazu. Aber wenn sie sich nicht gegen die Durchsuchung wehrten, würde ihnen nichts passieren.
Was ich allerdings schwer bezweifelte...
Hinter mir spürte ich eine leichte Bewegung. Soweit ich das erkennen konnte hatte Timus sich umgedreht und versuchte den Raum oder Gang, oder was auch immer das hier war, wo wir uns befanden, zu erforschen. Vorsichtig tastete ich mich durch die Finsternis hinter ihm her.
Ich konnte einen mannshohen Gang ausmachen. Rechts und links kahle, kalte Steinwände. Über uns dicke Holzbalken. Ein neuer Funke Hoffnung fing an, in mir zu wachsen. Dies war der Anfang eines Ganges, das hieß, er hatte auch ein Ende. Nur wo dies war, wussten wir natürlich nicht. Jetzt hieß es hoffen und ein bisschen Glück haben.
Vorsichtig schlich ich langsam hinter dem breiten Kreuz von Timus her. Nach einer gefühlten Ewigkeit blieb die Wache dann endlich stehen.
,,Was ist?", fragte ich.
,,Hier geht es nicht mehr weiter."
,,Gibt es eine Tür?"
Unruhig versuchte ich etwas zu erkennen, doch er versperrte die ganze Sicht. Timus schwieg.
,,Jetzt sag doch!", herrschte ich ihn an.
,,Ja gibt es...", antwortete er.
,,Na also! Was ist denn jetzt das Problem?"
Ich verstand ihn nicht. Er war manchmal einfach komisch.
,,Es ist die Tür zum Wehrgang."
Das sagte mir nichts. Was war daran so schlimm?
,,Jaaa...? Das heißt?"
Ich zog die Frage unnötig in die Länge, um ihm meine Unwissenheit klar zu machen.
,,Mensch Leah! Jetzt denk doch mal nach! Das ist der Gang auf der äußersten Mauer. Dort patrouillieren regelmäßig Wachen und behalten das Umfeld ganz genau im Auge. Wenn wir da rausgehen, haben wir noch nicht einmal Zeit Amen zu sagen bevor die uns festnehmen."
,,Ehrlich gesagt bin ich nicht gläubig...", versuchte ich die aussichtslose Lage mit einem Witz aufzulockern.
Timus schnellte herum und packte mich grob am Arm. Ich zuckte zusammen.
,,Leah du verstehst den Ernst der Lage nicht, oder? Wenn wir jetzt geschnappt werden war alles umsonst!"
Ich schluckte. Er hatte Recht. Doch was sollten wir tun? Wie er schon gesagt hatte, es war aussichtslos.
Etwas in mir zerbrach. Dieses kleine Flämmchen Hoffnung, welches sich gebildet hatte, zerbarst in tausend Scherben und schnitt mir in die Lungen, ins Herz und in den Magen.
Ich keuchte.
Jetzt erst wurde mir die ganze Sache bewusst. Eine einzelnde Träne bildete sich und rann einsam meine Wange hinunter.
Verärgert wischte ich sie weg. Ich wollte jetzt nicht aufgeben! Wir hatten es so weit geschafft!
Zorn auf mich selbst, Zorn auf meinen Stiefonkel, Zorn auf diese ungerechte Welt, Zorn auf den Bürgermeister meines alten Dorfs, Zorn auf alle die mir dies angetan hatten, oder nichts, rein gar nichts dagegen unternommen hatten, bildete sich in mir und formte sich zu einem großen heißen Ball, der mein Innerstes einnahm. Er überdeckte die Schnitte der Hoffnungslosigkeit in meinem Herzen und wuchs bis zu meinem Kopf. Und von da an, fing eine Idee in meinem Kopf an zu reifen.
Timus stand nur stumm daneben, als ich ihm den Plan erklärte. Ich konnte verstehen, dass er nicht sonderlich begeistert war. Alles würde auf seinen schauspielerischen Fähigkeiten beruhen. Und dazu könnte es ihm das Leben kosten. Doch was wollte er tun? Es gab keine andere Möglichkeit. Auch nicht für ihn.
Der Plan bestand darin, dass er hinausrennen sollte und die Wachen mit irgendeiner Geschichte ablenken würde. In der Zeit würde ich über die Brüstung klettern und in den Wald fliehen. Wenn alles gut klappen würde, sollte ich dann versuchen, so weit wie möglich zu laufen und bei irgendwem Unterschlupf zu finden. Obwohl mir bei diesem Part etwas unwohl war. Ich konnte schließlich niemandem vertrauen... Aber das erste Hinderniss war jetzt erstmal die Flucht überhaupt. Um alles andere würde ich mich später kümmern.
Schließlich nickte Timus.
,,In Ordnung. Der Plan ist zwar nicht der Beste, aber mit etwas Glück könntest du es schaffen."
Ich nickte ebenfalls. Auf dieses Urteil hatte ich gehofft. Doch was würde aus meinem Freund werden? Etwas ängstlich schaute ich zu ihm hin. Timus guckte mir direkt in die Augen.
,,Mir wird schon nichts passieren, Leah."
Als hätte er meine Gedanken gelesen.
,,Pass auf dich auf...", fügte er noch hinzu.
Bevor ich noch etwas fragen konnte, ihm danken konnte oder mich verabschieden konnte, stieß er die Tür auf und stürmte mit lautem Geschrei nach draußen.
Ich hielt die Luft an. Sekunden später vernahm ich aufgebrachtes Gemurmel. Vorsichtig lugte ich um die Ecke.
Vier stämmige Männer, die vorher wohl auf dem Gang patrouilliert hatten, kamen nun im Eilschritt auf Timus zu, der mit fuchtelten Armen auf sie zu lief. Niemand achtete auf die Tür. Die Wachen von den anderne Abschnitten sahen kurz her, richteten ihre Aufmerksamkeit dann aber schnell wieder auf ihre eigentliche Aufgabe.
Dann sah ich meine Chance gekommen. Drei von den vier Männern hatten mir den Rücken zugekehrt und lauschten angestrengt der Erzählung von meinem Freund. Den vierten konnte ich nicht sehen, jedoch wusste ich das ich diese Möglichkeit nicht sausen lassen konnte. Sie war einmalig.
Also stieß ich mich von der Mauer im Gang ab und trat vorsichtig in die Tür. Den Schmerz ignorierte ich wie gewohnt. Noch war ich in Deckung. Getarnt von dem Schatten. Dann nahm ich allen Mut zusammen und schnellte hervor, sprintere so leise und unauffällig wie möglich zur Brüstung. Schnell schaute ich zurück zu den Männern. Niemand schien mich bemerkt zu haben. Dann blendete ich alles andere aus und konzentrierte mich auf die Flucht. An der Mauer angekommen blieb ich kurz stehen und schaute einen Moment nach unten. Mir stockte der Atem. Es ging über 10 Meter weit herunter. Doch darüber durfte ich jetzt nicht nachdenken. Mit schwitzigen Händen griff ich nach der Steinkante und packte sie mit festem Griff. Dann stieg ich vorsichtig auf den breiten Sims, hockte mich hin und ließ mich langsam auf der anderen Seite herunter. Nun hing ich mit meinem ganzen Gewicht nur noch an den Händen. Vor Anstrengung ging mein Atem schneller. Mein Rücken fing sofort wieder an zu bluten und ich spürte das warme Blut daran hinunterlaufen. Meine Füße baumelten über dem Abgrund. Ich schloss die Augen.
Einfach loslassen, Leah. Einfach loslassen. Du schaffst das.
Meine letzten Gedanken galten meiner Familie.
Dann ließ ich los.
Und fiel in endlose Tiefe.
DU LIEST GERADE
Der Segen der Zeit
Fantasy{Abgeschlossen} ~ [wird überarbeitet] Leah ist eine Gesegnete. Und somit hat sie etwas, was ihr gefürchteter Stiefonkel Samuel unbedingt haben will. Doch sie flieht und geht bei Zen, einem Mönch des Kampfes, in die Lehre. Aber ihr Onkel spürt sie e...