18. Kapitel

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Ein erneutes Stöhnen von Zen lenkte mich wieder von den Fremden ab.

,,Ihr müsst mich jetzt einen kleinen Augenblick entschuldigen, ich muss erstmal meinen Freund versorgen. Dann können wir weiter plaudern und Geschichten erzählen. Da ich euch nicht vertraue und meine Ruhe zum Heilen meines Freundes brauche, bitte ich euch, Abstand zu halten und nichts zu unternehmen, was mich ablenken könnte. Denn falls ihr eine falsche Bewegung machen solltet, die auch nur annähernd einem Angriff, Hinterhalt oder Sonstigem gleicht, steht ihr bald nicht mehr so perplex in der Gegend rum und gafft fremde Leute auf ihrem Land an."

Mit diesen Wörtern drehte ich den beiden Männern den Rücken zu, stellte mich aber so, dass ich sie aus den Augenwinkeln beobachten konnte.

Anschließend  begutachtete ich sorgfältig Zens Wunde. Sie war nicht so tief, dass sie diese Reaktion bei ihm hätte auslösen können. Nachdenklich betrachtet ich die Ränder der Wunde, welche sich leicht bläulich verfärbten. Einem plötzlichen Gedankensblitz folgend, inspizierte ich die Waffen der Angreifer.

Meine Vermutung bestätigte sich an dem gelblichem Schimmer, den die Klingen aufwiesen. Einige der Waffen waren mit Gift infiziert worden. Wahrscheinlich mit so einer starken Dosis, dass ein Unsterblicher wie wir nicht dran sterben würde, aber doch so viel, dass man starke Schmerzen, eine Betäubung der Sinne und die Wirkung des Gifts spürte. Dies waren nämlich die Folgen des ,,Roten Atems", wie das Gift sich nannte. Mit einem Blick auf die Folgen der Infizierung und dem Aussehen des Giftes hatte ich es erkannt. Und ich kannte auch das Gegenmittel dazu. Es war ein Kraut welches sogar hier wuchs. Allerdings war es nicht sonderlich einfach zu finden. Aber nach den Lehrstunden bei Zen wusste ich, wonach ich suchen musste. Mit den Fremden konnte ich sowieso nichts anfangen, solange der Mönch nicht wach war.

Prüfend warf ich den beiden gut aussehenden Männern ein Blick zu. Die beiden hatten sich in der angegebenen Entfernung einen Baumstamm gesucht und sich wachsam hingesetzt, doch sie beobachteten mich mit scharfem Blick. Ich hob das Kinn. Sie sollten nicht wissen , dass ich darüber nachgedacht hatte, sie um Hilfe zu bitten. Entschlossen stand ich auf und ging zum Rand der Lichtung. Prüfend ließ ich meinen Blick gleiten. Meistens wuchs das Kraut an den Wurzeln eines faulenden Baums. So einen gab es hier an dem Rand der Lichtung. Zu dem ging ich hin und bückte mich, um den Stumpf zu untersuchen.  Erleichtert stellte ich fest, dass das Kraut hier wuchs. Zum Glück.

Einem ungeübtem Auge wäre das unscheinbare Gewächs wohl nicht aufgefallen, doch ich wusste, wie es aussah und übersah es nicht. Zuoft schon hatte ich diesen Fehler vor Monaten in Zens Übungsstunden gemacht; danach hatte ich unzählige Baumstümpfe danach absuchen müssen, bis ich das Kraut kein einziges Mal übersehen hatte. Ich fragte mich, ob Zen diese Situation vorhergesehen hatte. Er meinte immer, dass es einmal überlebenswichtig sein würde, jedes Kraut, jede Bewegung, jedes Umfeld, jede Tücke auswendig zu kennen. Dabei hatte er sich natürlich nicht nur auf die Heilkunde bezogen, sondern auch auf die Menschen und Kämpfe. Wegen ihm, wegen seinem ständigen Unterricht, wegen seinen nervigen Lektionen, wegen seinen ständigen Ermutigungen, war ich zu dem geworden was ich heute war. Jetzt war die Zeit gekommen, wo ich ihm helfen musste und dafür sorgen musste, dass er mir auch weiterhin auf die Nerven gehen konnte.

Vorsichtig pflückte ich das Kraut und ging zu Zen zurück. Ich zerdrückte es zwischen den Fingern und strich die Masse sanft auf die verletzte Stelle. Die Blutung hörte nach kurzer Zeit auf. Ich atmete erleichtert auf. Nun konnte ich nichts mehr tun. Das Kraut musste über die Zeit erstmal seine Wirkung entfalten. Das konnte schon mal eine halbe Stunde dauern. Ich überzeugte mich davon, dass mein Freund einigermaßen gemütlich lag und richtete mich anschließend auf. Mit scharfem Blick musterte ich die beiden Männer. Sie hatten sich nicht großartig gerührt, beobachteten aber jede Bewegung von mir mit Argusaugen. Langsam schlenderte ich auf sie zu. Als ich näher kam, standen sie beide auf.

Tarek blickte sich noch einmal um.

,,Was ist hier passiert?"

Ich hob eine Augenbraue.

,,Warum sollte ich euch das sagen?"

Aber er ließ sich nicht einschüchtern.

,,Sie tragen Großherzog Samuels Wappen.",stellte er fest.

Dazu sagte ich nichts. Dann mischte sich auch noch der andere ein.

,,Wer bist du überhaupt?", fragte Drake, eine Spur überheblich.

Meine Augenbraue schnellte erneut nach oben. Bei Tarek hatte es noch distanziert, aber höflich geklungen, doch bei Drake klang es regelrecht feindselig. Ich beschloss, dass Tarek der Nettere der beiden war.

,,Das gleiche könnte ich euch fragen."

Drake verdrehte die Augen.

,,Du weißt doch schon, wer wir sind.", konterte er.

Ich schnaubte verächtlich.

,,Was wollt ihr hier? Ihr habt gesagt ihr seid Freunde von Zen. Warum seid ihr hier?"

Ich traute den beiden kein Stück. Ich wollte warten, bis Zen wieder wach war und dann weitersehen, ob er sie kannte. Das würde alles leichter machen.

Tarek versuchte die angespannte Stimmung zu glätten.

,,Zen hat uns hergebeten. Warum wissen wir nicht. Aber er hat uns nicht gesagt, dass er gerade Besuch hat. Deshalb ist mein Bruder wohl etwas misstrauisch."

,,Misstrauisch? Ich? Guck dir doch dieses Mädchen an! Noch nicht einmal ihren Namen will sie uns sagen! Und freundlich ist sie auch nicht gerade. Jetzt schlägst du dich auch noch auf ihre Seite?", begehrte Drake empört auf.

,,Ihre Seite? Es gibt hier keine Seiten, Drake. Wir kennen uns nicht, da ist es ganz verständlich, dass man einander misstraut.", versuchte Tarek seinen Bruder zu beschwichtigen.

,,Aha. Also ist es jetzt plötzlich doch okay, wenn ich ihr misstraue? Du elender Schleimer!"

Bei den Geschwisterstreitereien musste ich lächeln. Das kannte ich selbst noch zu gut von früher.

Drake warf mir einen finsteren Blick zu und wand sich ab. Tarek seufzte.

,,Er hat euch nichts von einem Besuch gesagt, weil ich kein Besuch bin.", erklärte ich wenigstens diesen Punkt.

,,Du bist kein Besuch? Was bist du dann?" ,fragte Tarek.

Auch Drake wandte sich, wieder neugierig geworden, um.

,,Ich lebe bei ihn. Ich denke nicht, dass man mich dann als Besuch bezeichnet oder?"

Überrascht schauten sich die Brüder an.

,,Du lebst bei ihm?", fragten sie wie aus einem Munde.

Ich nickte.

In diesem Moment stöhnte Zen auf. Ich wirbelte herum und lief zu ihm. Er hatte die Augen aufgeschlagen und sah sich etwas verwirrt um.

,,Zen, wie geht es dir?", fragte ich besorgt.

Er machte eine wegwerfende Handbewegung. Dabei zuckte er zusammen.

,,Nicht allzu schlimm. Nur ein bisschen matt." , krächzte er.

Ich musste mir ein Lächeln verkneifen.

,,Nur ein bisschen matt? Du liegst hier wie ein toter Sack auf dem Boden und warst eine Zeit lang ohnmächtig.", wies ich ihn zurecht.

,,Ach wirklich? Na dann wird es ja langsam mal wieder Zeit aufzustehen. Nicht das ich hier noch länger wie ein toter Sack auf dem Boden rumliege.", witzelte er.

Doch zuerst sah ich mir seine Wunde an. Die Ränder hatten schon angefangen sich zusammen zu ziehen und es war keine Entzündung zu erkennen. Das Kraut hatte sich leicht lila verfärbt, ein Anzeichen dafür, dass es das Gift vollständig rausgezogen hatte. Ich seufzte erleichtert.

Dann half ich ihm, sich aufzurichten. Als er relativ sicher saß, hob er den Kopf und entdeckte die beiden Brüder.

Überrascht rief er aus: ,,Drake! Tarek! Ihr seid angekommen! Ein etwas schlechter Zeitpunkt vielleicht, aber darüber sehen wir mal hinweg. Warum steht ihr denn da so rum wie festgefroren? Kommt doch her setzt euch zu mir. Wie ist es euch denn so auf der Reise ergangen?"

Die Wörter sprudelten nur so aus meinem Freund heraus.

Er kannte die beiden also wirklich.

Der Segen der ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt