51. Kapitel

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Alles ging sehr schnell.

Ich lief auf ihn zu und schwang das Schwert. Mit einem Summen sirrte es unglaublich schnell auf Samuels Kopf zu. In letzter Sekunde konnte er ausweichen. Die Klinge bohrte sich tief in seine Schulter. Ich hörte Knochen brechen. Er schrie vor Schmerz auf. Sein Schlüsselbein war zerschmettert. Ich zog die Klinge wieder heraus und mein Stiefonkel sackte auf den Boden. Ich trat ihn auf den Rücken und blickte ihm lange in die Augen. Stille herrschte um uns herum. Sein Blick keilte sich in meinen. Ich konnte weder Bedauern noch Schuld darin erkennen. Es bestärkt meinen Entschluss, den ich nicht gefasst hatte. Er war in meinem grauen Bewusstsein verankert gewesen, seit ich mitangesehen hatte, wie dieses Monster meinen Vater gemordet hatte.

,,Du hast diesen schnellen Tod nicht verdient. Ich sollte dich quälen, wie du mich gequält hast. Doch ich bin nicht wie du."

Mit diesen Worten stieß ich meine Klinge so fest ich konnte in seinen schmalen, abgemagerten Brustkorb.

Er riss die Augen auf. Blut quoll aus seinem Mundwinkel. Er hustete. Dann wurden seine Augen milchig.

In dem Moment als Samuel starb, loderte ein silbernes Feuer auf und verbrannte seinen Körper. Also hatte seine mächtige Magie am Ende doch noch gesiegt.

Ich spürte absolut nichts. Es herrschte eine große Leere in mir. Ich starrte auf die übrige Asche, welche sich im Wind verlor. Stille herrschte an Deck. Niemand sagte etwas. Niemand war nach Freude zumute. Es hatte zu viele Verluste gegeben.

Zitternd vor Trauer drehte ich mich zu dem Sterbenden um und kniete neben Zen nieder.

Diesmal weinte ich nicht. Es ging nicht. Ich zitterte nur unaufhörlich und klammerte mich an seine raue Hand.

Mühselig drehte er seinen Kopf und suchte ein letztes Mal mit seinen Saphiraugen die meinen.

,,Ein neues Abenteuer, kiimo alea. Ein neues Abenteuer. Ich werde dort auf dich warten. Hjio min dainarr, Shaidan. Etz asandlin viy meena, bjino al pyiasta kwonh Xandrye, inn haic suiwendii loy vas."

Mein Herz zog sich bei den rituellen Abschiedsworten zusammen.

Nimm dich meiner an, Shaidan. Und wache über die Meinen, bis sie nach Hause kommen, um sich mit uns zu vereinen.

Ich sprach mit gebrochener Stimme die traditionelle Antwort darauf.

,,Knosayi lou fiinin dras ley muunas jun heyteque nos knijas."

Begleite ihn auf dem Weg und wache über ihn, bis wir uns wiedersehen.

Dann verschwand das Licht in seinen Augen. Seine Hand lag nur noch schlaff in meiner. Er war von uns gegangen. Ich schloss die Augen und betete zu Shaidan und bat ihn erneut, meinen Ziehvater auf seinem Weg zu begleiten. Dann schlug ich meine Augen auf.

Vor mir war nichts als Licht. Der Ring an meiner Kette glühte warm auf.

Der Tod eines Gesegneten.

Der Tod eines Unsterblichen.

Dann war alles vorbei. Ein warmes Gefühl blieb in mir zurück. Ein Gefühl nach Zuhause, Liebe und Familie.

Unwillkürlich musste ich lächeln.

Doch es verschwand wieder, als ich mich umsah. Um mich herum herrschte das totale Chaos. Der Widerstand, meine Freude und die Agenten kämpften gegen Samuels Wachen. Ich sah Xenia, Mellham, Grant und Josh. Sie waren Samuel also nicht zum Opfer gefallen. Ich lächelte erneut. Die gegnerischen Wachen waren stark in der Unterzahl. Viele hatten sich dem Widerstand angeschlossen und verteidigten sich. Nun da ihr Herrscher tot war, schuldeten sie niemandem mehr Gefolgschaft. Das sahen nach und nach auch die anderen Wachen ein.

Wieder kehrte Stille ein. Erschöpfte und gepeinigte Gesichter wandten sich mir zu. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Mein Blick ging zu Drake.

Er hielt sich seine Schulter, hatte aber kampfbereit ein Schwert in der Hand und stand in meiner Nähe. Als er mein Blick spürte, zuckte er ebenfalls ratlos seine Schultern.

,,Euer Peiniger ist tot. Ihr seid nun freie Menschen. Segelt zurück ans Festland und kehrt nachhause zurück, zu euren Familien.", fing ich an.

Nach und nach wurde ich sicherer.

Ich wusste nicht, was mit Samuels Hab und Gut geschehen sollte oder wem es nach seinem Tod zustand. Ich jedoch wollte es auf keinen Fall. Jedoch musste ich, damit die Sache hier vollständig beendet war, zu seinem Herrenhaus und die Bediensteten und die anderen Wachen aus seiner Armee entlassen.

,,Ihr seid an niemanden mehr gebunden. Ich bin nicht wie mein Stiefonkel. Ich werde euch nicht bestrafen, wenn ihr euch abwendet. Ich befürworte es sogar! Ich stehe nicht für seine Sache. Ihr seid jetzt alle frei."

Fassungslose Stille herrschte. Plötzlich fingen einige an zu jubeln. Immer mehr vielen in den Begeisterungssturm ein. Ich spürte, wie sich meine Wangen röteten. Ich verdiente diese Bewunderung und Dankbarkeit nicht.

Menschen waren meintwegen gestorben. Ich hatte selbst viele aus ihren Reihen getötet. Sie sollten mich verabscheuen.

Und doch hatte ich sie befreit.

Durch die düsteren Erinnerungen und Verluste betrübt, wandte ich mich ab und ging zurück auf den Dreimaster.

Meine Freunde erwarteten mich dort und schlugen mir auf den Rücken und sprachen ihr Beileid, gepaart mit ihren Glückwünschen aus. Ich umarmte jeden von ihnen. Ohne sie hätte ich das alles hier nicht geschafft.

,,Segeln wir auch nachhause. Es ist vorbei.", ordnete ich matt an.

Verstohlen sah ich die Agenten sich anlächeln. Auch sie waren nur Menschen und sie freuten sich, dass sie noch lebten und ungeschadet von der Mission heimkehren konnten.

Ich berührte sehnsuchtsvoll Zens Ring. Doch dann blickte ich um mich. Er hatte es so gewollt. Er hat sich für uns alle geopfert. Ich sah in die ganzen Gesichter, alle hin- und hergerissen zwischen Freude über den Sieg und Trauer über die Verluste.

Ich sah in die Gesichter meiner Freunde. Veeran hatte endlich seinen Agenten wieder. Rhyz seinen Kumpel. Tarek seinen Bruder. Castor seinen zweiten Sohn.

Es war richtig so. Und doch war ich so unendlich traurig.

Der Segen der ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt