Drake stand vor mir und starrte mich an.
,,Ich wusste nicht, dass du so gut kämpfen kannst...“, sagte er leise. In seinen Augen schimmerte leichte Bewunderung.
Ich zuckte die Schultern. Bei Zen lernte man soetwas eben.
,,Du bewunderst mich gerade dafür, meinen eigenen Cousin umgebracht zu haben.“, klärte ich ihn auf. ,,Und ebenso vielleicht noch mindestens fünf unschuldige Männer, weitere fünf schuldige Männer mit Familie Zuhause, wo die Kinder ihren Vater nie mehr wiedersehen werden, und dann noch circa fünf Männer die durch und durch zu Samuel standen und an denen nichts Gutes dran war.“
Drake schwieg zuerst. Doch dann erwiderte er: ,,Du musstest dich verteidigen.“
,,Das sag ich mir auch. Aber letztendlich habe ich dann doch einfach Leute umgebracht, die es nicht verdient hatten.“
,,Im Krieg ist das eben so. Du konntest ja nicht wissen, wer von ihnen gut, halb gut - halb schlecht oder ganz schlecht war. Vielleicht wäre auch einer der Guten wieder aufgestanden, wenn du ihn nur verletzt hättest und hätte dir ein Schwert in der Rücken gerammt, nur weil er eben seine Familie zuhause vor Samuel retten wollte. Auch dann wärst du jetzt nicht mehr hier.“
,,Vielleicht wäre es besser, wenn ich einfach sterben könnte und er wieder auf die Suche gehen müsste. Dann würde die Zeit ihn dahinraffen und er hätte kein fast sicheres Ziel mehr vor Augen: Mich.“
,,Er würde einen anderen Gesegneten finden. Und der oder diejenige wäre nicht so widerstandsfähig wie du und er wäre sofort an seinem Ziel, Leah.“
Ich nickte. Diese Diskussion hatte ich schon tausende Male mit mir selbst geführt, um mir die Schuld zu nehmen, aber das ging nicht. Tatsache war, ich hatte Menschenleben ausgelöscht. Aber vielleicht würde ich jetzt das Leben anderer retten. Denn wenn ich tot war, würde er einen anderen Gesegneten finden und dann wahrscheinlich die Macht übernehmen und schreckliche Dinge tun. Also hatte die Sache wohl doch nicht nur einen egoistischen Hintergrund.
,,Was machst du eigentlich hier?“, fragte ich ihn wieder etwas gefasster.
,,Das Gleiche könnte ich dich fragen. Warum wirst du von Samuels halber Armee verfolgt? Liegt das wirklich nur daran, dass du eine Gesegnete bist?“
Ich schnaubte. Vielleicht sollte ich den Jungs die Wahrheit erzählen. Aber nach seinem Auftritt vorhin, hatte ich da verständlicherweise keine sonderlich große Lust drauf.
,,Ich bin gekommen um mich zu entschuldigen.“, fuhr der junge Mann fort, ohne dass ich etwas gesagt hatte, ,,Die ganze Situation hat mich einfach an meine Vergangenheit erinnert und an meine Mutter. Das sind keine guten Erinnerungen. Also war ich einfach schlecht drauf und ich habe dir nicht vertraut. Außerdem ist dann Castor gekommen. Er ist ein sehr guter Freund und hat sich nach dem Verschwinden von unserer Mutter um Vater, Tarek und mich gekümmert. Vor ihm möchte ich mir keine Fehler erlauben. Obwohl Letzteres ja jetzt wohl deutlich schief gelaufen ist. Tut mir leid.“
Erstaunlicherweise war ich nicht mehr sauer. Ich konnte ihn verstehen. Auch wenn ich an meine Vergangenheit erinnert wurde, kam es manchmal bei mir zu Ausrastern. Genau wie vorhin.
,,Ich kann dich verstehen Drake. Auch mir tut meine Reaktion leid. Denn auch ich bin bei meiner Vergangenheit sehr empfindlich.“, erklärte ich ihm.
Er nickte.
,,Und wie geht es jetzt weiter?“, fragte ich.
,,Lass und erst mal nach Hause reiten. Dann stellen wir dir Castor noch einmal richtig vor. Und er will wahrscheinlich wissen, ebenso wie Tarek, warum du blutverschmiert bist. Und dann sehen wir weiter. Vielleicht können wir beide ja einfach noch einmal von vorne anfangen...“
Jetzt war ich es die nickte.
,,Einverstanden.“
Wir setzten uns in Bewegung in Richtung der Pferde.
,,Das mit deinem Cousin tut mir übrigens leid.“, murmelte Drake.
Ich zuckte mit den Schultern.
,,Wir mochten uns nicht besonders.“ ,das war eine krasse Untertreibung, aber ich fuhr fort, ,,Aber als er gestorben ist, hat er noch einmal eine gute Seite von sich gezeigt, von der ich dachte, sie wäre schon vor langer Zeit gestorben. Außerdem war er mein letztes lebendes richtiges Familienmitglied bis auf...“
Ich konnte mir gerade noch das Ende des Satzes verkneifen. Ich hatte Samuel sagen wollen.
Schweigend gingen wir zu den Findlingen, um Shadow zu holen, der immernoch brav dahinter wartete. Ich hob meinen Bogen vom Boden auf und fasste in die Mähne des Hengstes. Dann drängte ich ihn sanft zu Vinlah und Drake.
Drake kam zu mir und nahm mein Bein, um mir beim Aufsteigen zu helfen. Als ich mich mit seiner Hilfe auf Shadows Rücken schwang, riss die Wunde an meinem Schenkel wieder auf. Ich sog scharf die Luft ein.
,,Was ist?", fragte Drake besorgt. ,,Bist du verletzt?"
Ich zuckte die Schultern.
,,Es ist nicht so schlimm...", beruhigte ich ihn.
Er zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. Ich versuchte ihn zu beruhigen.
,,Wir Gesegneten heilen schneller, schon vergessen?"
Ich brachte ein schiefe Lächeln zustande.
Drake runzelte immer noch die Stirn.
,,Aber Zen meinte doch, dass ihr trotzdem ganz normal den Schmerz spürt oder?"
Verdammt, er hatte zu gut aufgepasst. Ich wollte jetzt nicht verhätschelt werden, sondern so schnell wie möglich von diesem Ort hier weg.
,,Das stimmt. Aber ich bin eine Kriegerin, Drake. Ich lernte mit dem Schmerz zu leben. Es bedeutet, dass ich noch am Leben bin."
Das verstand er offensichtlich und er nickte. Dann stieg auch er auf und wir ritten los.
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Der Segen der Zeit
Fantasy{Abgeschlossen} ~ [wird überarbeitet] Leah ist eine Gesegnete. Und somit hat sie etwas, was ihr gefürchteter Stiefonkel Samuel unbedingt haben will. Doch sie flieht und geht bei Zen, einem Mönch des Kampfes, in die Lehre. Aber ihr Onkel spürt sie e...