12. Adam jubelt

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"Ich bin 40 und Adam 33 Jahre alt." sagte Eve und setzte nach: "aber sicherlich möchtest du unser anderes Alter wissen. 1275 wurden wir beide verwandelt. Das ist jetzt 900 Jahre her. Wir haben also schon so einiges gemeinsam erlebt." verträumt und verliebt sah sie Adam an, der ihren Blick nicht minder liebevoll erwiderte und erneut nach ihrer Hand griff. Harry sah auf ihre verflochtenen Finger: sein Handschuh war schwarz, ihrer weiß. Sie wirkten auf Harry wie zwei Magnete, die sich optisch zwar abstießen, aber ansonsten untrennbar miteinander verbunden waren. Eve war blond, in hellem Beige gekleidet und sehr gesprächig. Adam hingegen, hatte schwarzes Haar, trug dunkle Kleidung und schien eher schweigsam zu sein.

Und sie waren schon 900 Jahre alt. Vielleicht stellte Harry sich das ein wenig zu romantisch vor, doch wenn er sich ausmalte, mit Louis gemeinsam so lange zusammen zu sein, machte ihn das glücklich. Harry sah aus dem Fenster, um sich ein wenig davon abzulenken, dass er Louis so heftig vermisste. Der Regen hatte nachgelassen und die Fensterscheibe war fast wieder trocken. "Es hat aufgehört zu Regnen. Wir sollten uns wieder auf den Weg machen." sagte Adam, der Harrys Blick gefolgt war und ebenfalls zum Fenster starrte. Sofort erhob sich Eve von ihrem Platz und zog sich einen Mantel an, der ebenso hell war, wie ihr Haar. "Ich habe Hunger, da sollte man nicht allzu lange in einem Raum voller Menschen zu sitzen." Harry nahm seine Jacke vom Stuhl und schlüpfte hinein. Adam verschloss die silbernen Knöpfe an seiner Jacke und ging dann zwischen den anderen Gästen hindurch zur Tür. Harry und Eve folgten ihm.

Mittlerweile war der Abend angebrochen und es dämmerte, als die drei hinaus auf die regennasse Straße traten. "Wohin wollt ihr?", fragte Harry, als Adam und Eve recht zielstrebig eine Richtung einschlugen. Wie es schien, wussten sie ganz genau, wohin sie wollten. "Nicht weit von hier, etwa 6 Meilen entfernt, gib es ein altes Herrenhaus. Oxenfoord Castle. Dort haben wir 1803 einmal einige Jahre verbracht. Wenn wir Glück haben, dann steht das Gebäude noch, es sei denn die dummen Menschen haben es abgebaut, um die Steine als Baumaterial zu missbrauchen", erklärte Adam und bald ließen sie das Dorf hinter sich.

Ihr Weg führte die drei über gewundene Straßen, die sich über Felder zogen auf denen das Gras hüfthoch gewachsen war, weil sich niemand mehr darum kümmerte. Doch obwohl einige Ackerflächen ungenutzt waren, passierten sie auch eine kleine Weide, auf der mehrere Kühe standen. Harrys Augen blieben an einer Kuh hängen. Obwohl er keinen großen Hunger hatte, war die Versuchung groß, denn in dem Tier floss frisches, warmes Blut – wärend sein Proviant schon einige Tage alt war. "Du willst nicht ernsthaft dieses Viech beißen, oder? Nur zu, wir warten hier auf dich. Wir können uns aber später auch einen Menschen teilen." bot Eve fröhlich an, doch Harry schüttelte nur rasch den Kopf. Menschen waren für ihn ein Tabu und daran würde sich sicherlich für ihn nichts ändern. Da Adam und Even tatsächlich auf ihn zu warten schienen, kletterte Harry über den Zaun und ging auf die Tiere zu, die gemächlich wiederkäuten. Er roch die Kühe und seine Nase führte ihn zu einer Kuh, neben der ein Kälbchen stand. Sonderlich alt konnte es noch nicht sein, denn es stand noch sehr wackelig auf den Beinen und roch noch ganz frisch. Doch Harrys Interesse galt dem Muttertier. Der Geruch, der von ihr ausging, zeigte Harry, dass ihr Blut durch die Geburt noch sehr nährstoffreich war. Er ging neben dem Tier in die Hocke und versenkte die Zähne in dem kurzen Fell, durchstieß die dünne Haut an der Kehle mit den Zähnen und trank gierig. Das Tier zuckte kurz zusammen, rannte aber nicht davon, wodurch Harry in aller Ruhe trinken konnte. Als er fertig war, wischte er sich den Mund mit dem Handrücken ab, leckte sich über die Lippen und kehrte zu seinen neuen Gefährten zurück, die sich an den Zaun lehnten und auf ihn warteten. Hinter sich hörte Harry ein dumpfes Geräusch und vermutete, dass die Kuh ein wenig geschwächt ins Gras gefallen war. Sie würde sich in den nächsten Stunden wieder erholen, immerhin hatte Harry nicht sonderlich viel getrunken.

"Und, bist du satt?", fragte Adam und warf Harry blitzschnell seinen Rucksack zu und schien überrascht zu sein, dass er ihn fing. "Ja, ich bin satt. Danke, dass ihr auf mich gewartet habt." - "Keine Ursache." sagte Eve und stapfte weiter durch das hügelige Grasland.

"Die Natur ist unglaublich, findest du das nicht? Alles hier hat seine Daseinsberechtigung. Es ist einfach herrlich." Eve breitete die Arme aus und drehte sich einmal um sich selbst. Auf Harry machte sie in diesem Moment den Eindruck, als sei sie ein Hippie und er warf Adam einen unsicheren Blick zu. Ob Eve immer so war? Adam zuckte mit den Schultern: "Sie erfreut sich an so vielem. Wenn ich die Natur sehe, muss ich daran denken, wie der Mensch sie zugrunde gerichtet hat. Dumme Geschöpfe sind das, die ich nie verstehen werde. Sie zerstören den einzigen Lebensraum, den sie haben. Das ist, als ob ein Fisch freiwillig sein Aquarium verlassen würde, weil er der Meinung ist, es ginge ihm dann besser. Sie schätzen das Leben nicht. Manchmal denke ich, dass man erst so werden muss, wie wir, um darüber richtig urteilen zu können." Bei diesen Worten schob er seine Hände in die Taschen seiner Jacke und auf einmal fragte er Harry ganz unvermittelt: "Wer hat dich eigentlich verwandelt? Weißt du das noch?"

Oh wie gut Harry das noch wusste.

Unwillkürlich zuckte seine Hand zu der Stelle seines Halses, in die William Shakespeare gebissen hatte. Niemals hätte er gedacht, dass er dem großen Poeten einmal leibhaftig begegnen würde und dann hatte sich der Kerl auch noch als hinterlistig und gemein entpuppt. "Deine Erinnerung scheint nicht sonderlich gut zu sein", bemerkte Adam und Williams Gesicht verschwamm vor Harrys Augen und nahm die Züge seines Gegenübers an. Er ging gemächlich neben Harry her über die Wiese, wärend Eve noch immer über die Wiese wandelte. "Nein, die Erinnerung ist nicht besonders gut. Mein Freund Louis, ist auch ein Vampir und hat mich mit William bekannt gemacht..." Louis' Namen auszusprechen, fiel ihm schwer und er schwieg kurz. Er vermisste Louis so sehr! Wenn er nur wüsste, wo er war. Adam entging Harrys Schmerz. Sein Blick war finster geworden und er hatte nachdenklich die Zunge zwischen die Zähne geschoben. Langsam, als sei er sich selbst nicht ganz sicher, sagte er: "Der Vampir, der dich gebissen hat, war aber nicht zufällig Shakespeare, oder?" - "Doch." bestätigte Harry seufzend und Adams Gesichtsausdruck wurde daraufhin, sofern das möglich war, noch finsterer. "Du musst gute Fähigkeiten haben, wenn er dein Schöpfer ist. Was passierte, nachdem er dich gebissen hatte?" Obwohl Harry der Meinung war, dass Adam außerordentlich seltsame Fragen stellte, antwortete er: "Er wurde erschossen. Mein Freund Zayn hat ihn mit einer Holzkugel aus einem Revolver getötet." - "Wie geht denn das? Eine Holzkugel aus einer Pistole?" Harry zuckte mit den Schultern, denn er hatte sich nie groß mit dem Thema auseinander gesetzt. Mit einem großen Schritt übersprang er einen Kaninchenbau im Boden und sagte dann: "Ich kann es dir leider nicht genau erklären, aber William Shakespeare ist auf jeden Fall tot." In den hellen Augen des Vampirs blitzte ein erfreutes Glitzern auf und zum ersten Mal, seit Harry ihn kannte, wirkte er glücklich. Er wandte sich von Harry ab und sah sich nach Eve um. "Eve! Komm mal schnell zu uns!" rief er und weit hinten auf dem Feld konnte man einen hellen Punkt erkennen, der durch die Dämmerung, auf sie zugerannt kam. Mit fliegenden Haaren kam sie zu ihnen herüber. "Was ist denn los?" fragte sie und schien über Adams glückliches Gesicht nicht minder erstaunt. Noch bevor sie sie ganz erreicht hatte, sprang Adam auf sie zu, zog sie in seine Arme und küsste sie stürmisch: "Liebling, was hast du denn?", fragte sie lachend. "William Shakespeare ist tot!" jubelte Adam und küsste sie gleich ein zweites Mal.

Harry verstand nur Bahnhof.

Umzug mit Folgen IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt