„Willkommen in London." Adam, Eve und Harry waren über den Hügelkamm der Erhebung in Hampsted Heath getreten und blickten hinunter auf die Stadt. Vor ihnen lag eine Stadt, die einst eine der größten der Welt gewesen war. Zwar hatte sich die Skyline nicht sonderlich verändert, nach wie vor waren „the Shard" und das ovalförmige Hochhaus „Gherkin" waren ganz gut zu erkennen. Doch im Vergleich zu Harrys letztem Besuch in der Stadt, stiegen nun ziemlich viele Rauchfahnen aus den Schornsteinen der Häuser in den Himmel.
Es war bereits Nachmittag und sie waren den ganzen Tag unterwegs gewesen. Nun, da die Stadt endlich vor ihnen lag, schien es, als hätten sie nur noch einen Katzensprung zurückzulegen. „Endlich. Es wird wirklich Zeit, dass wir ankommen. Hoffentlich treffen wir auf Richard", seufzte Eve und rieb sich die Augen. Sie alle waren müde und froh, die Stadt endlich erreicht zu haben und konnten es nicht mehr erwarten, endlich bei Richard anzukommen. Zumindest ging es Adam und Eve so. Harry hingegen wollte nur so schnell wie möglich zurück zum Globe Theater. Mit Gewissheit konnte er sagen, dass Louis dort sein würde und er konnte es kaum erwarten, ihn endlich wieder in die Arme zu nehmen.
Die drei stiegen den Hügel hinab und kamen in die Straßen von Hampsted. Früher war das eine besonders vornehme Wohngegend gewesen und die wohlhabenderen Menschen von London hatten dort Häuser besessen. Diese waren noch immer sehr imposant anzuschauen, wenngleich sie auch ein wenig heruntergekommen waren und an manchen Ecken das Efeu die Steine hinaufwuchs. Im Vorbeigehen erhaschte Harry ab und zu einen Blick durch eines der Fenster und erkannte, dass nicht alle Häuser bewohnt waren, die Bevölkerungszahl schien also auch in London zurückgegangen zu sein. Nachdem der Krieg damals einige Hungersnöte verursacht hatte, hatte es wenig Nachwuchs gegeben, denn die Menschen wollten keine Kinder in eine so unsichere Zukunft setzen. Genau das war nun an den vielen leerstehenden Häusern zu erkennen.
Je näher sie jedoch der City kamen, desto weniger Häuser standen leer. Offenbar hatten sich alle Bewohner der Stadt im Stadtkern zusammengerottet. „Wo lebt Richard denn nun?", fragte Harry neugierig, als sie die Stadtteile Lisson Grove und Marylebone durchquert hatten, die allesamt ein wenig schäbig geworden waren, kamen sie nun nach Soho. „Hier muss es sein...lasst mir kurz einen Moment, um mich zu orientieren", nuschelte Adam und musterte die Häuser reihum. Sie standen auf einer Kreuzung und blickten die Backsteinfassaden hinauf. Wo früher allerlei Reklame über die Straßen geblinkt hatte, hingen jetzt verblichene Plakate, die auf Veranstaltungen oder Wochenmärkte hinwiesen.
„Also die Straße ist schon mal die richtige, da bin ich sicher...dann müsste es dieses Haus hier sein." Mit langen Schritten steuerte Adam ein Eckhaus an. Es war beige gestrichen und hatte hohe Fenster mit weißem Rahmen. An der Front stand „Old Compton Street" und im Erdgeschoss befand sich die Front eines Ladenlokals, doch die Scheiben waren staubig und von innen mit alten Zeitungen verklebt. „Hier soll ein alter Vampir leben?", fragte Harry ungläubig und musterte das Gebäude. Er hatte es sich eher gesagt, imposanter vorgestellt. „Ja, das ist es." Adam trat an die Ladentür, hob die Hand und klopfte. In Harrys Augen war das Zeitverschwendung, immerhin deuteten die abgeklebten Fensterscheiben eindeutig darauf hin, dass der Laden leerstand.„Das ist doch sinnlos", murmelte er Eve zu, die gähnte und dann den Kopf schüttelte: „Nein, das hat alles seine Richtigkeit." Ungläubig hob Harry die Augenbraue und wollte gerade nachhaken, woher Eve und Adam denn wissen konnten, dass dies wirklich Richards Haus war und er sich in den letzten Jahrhunderten ein neues Zuhause gesucht hatte. Vielleicht suchte auch ein Vampir mal Abwechslung und zog um. Gerade wollte er seine Bedenken äußern, als Eve mit dem Finger auf die Ladenfront deutete und leise sagte: „Blutrot gestrichene Fensterrahmen im Erdgeschoss...in der ganzen Straße gibt es nichts in dieser Farbe." Sofort wandte Harry den Kopf um sich zu vergewissern, dass Eve recht hatte und tatsächlich: das geschlossene Ladenlokal war wirklich das einzige in der Straße, das in Rot gestrichen war. War das also ein Zeichen um andere Vampire auf sich aufmerksam zu machen? Kaum war ihm diese Idee gekommen, öffnete sich die Ladentür. Sie quietschte nicht, was darauf schließen ließ, dass die Angeln regelmäßig bewegt wurden; folglich gingen hier Vampire ein und aus.
In der Tür war ein junges Mädchen aufgetaucht. Harry war sofort klar, dass sie ein Mensch sein musste, denn ihr Geruch wehte bis zu ihm hinaus. Wieso öffnete ein Mensch die Tür eines Hauses, das laut Adam und Eve einem Vampir gehörte? Harry verstand gar nichts mehr und beschloss, sich gar nicht erst Gedanken über diesen seltsamen Umstand zu machen. Stattdessen musterte er das Mädchen: sie schien kaum älter als 15 zu sein, hatte langes, helles Haar und musterte Adam mit großen, blauen Rehaugen. „Guten Tag, ich möchte gerne zu Richard", sagte Adam höflich und lächelte das Mädchen an. Diese schien überhaupt keine Angst vor ihm zu haben und trat einen Schritt zur Seite: „Kommt doch bitte herein." Adam trat über die Schwelle und Eve gab Harry einen Schubs, sodass er ebenfalls eintrat.
Sie befanden sich jetzt im ehemaligen Verkaufsraum des Ladens. Durch die abgeklebten Fensterscheiben, war das Licht hier drinnen diffus und zusätzlich waren Gaslampen an der Decke entzündet worden. Auf dem Fließenboden lagen dicke Teppiche und Sessel waren zu Sitzgruppen arrangiert worden. „Wen darf ich Richard denn melden?", fragte das Mädchen und sah Adam erwartungsvoll an. „Sag ihm, dass Adam, Eve und Harry hier sind", antwortete Eve und ließ sich mit einem Seufzen in einen der Sessel sinken. Harry und Adam taten es ihr gleich und sahen dem Mädchen nach, die eine Treppe hinauf in den ersten Stock verschwand. Kaum war sie weg, wandte sich Harry an Adam: „Ein Mensch? Wieso arbeitet ein Mensch im Haus eines Vampirs? Und was sollen diese Sessel? Ich komme mir vor, wie ihn einem Hotel." - „Nun, das liegt daran, dass dieses Haus mittlerweile so etwas in der Art ist. Als Hotel würde ich es nicht direkt bezeichnen, sondern eher als Hostel oder Auffanglager. Vampire können hier Unterschlupf und Nahrung bekommen. Das hat Richard schon immer so gemacht. Er hat einfach ein Herz für seine Spezies" erklärte Adam, streckte die Hand aus und griff nach Eves Fingern, die er liebevoll streichelte. Sie erwiderte sein Lächeln und seufzte: „Ich bin froh, wenn wir endlich ein Bett bekommen. Ich muss schlafen." Obwohl Harry den beiden gerne ihre Ruhe lassen würde, war seine Neugier zu groß und er konnte seine Fragen nicht zurückhalten. „Aber wie kommt er an so viel Blut heran, um die Besucher versorgen zu können? Eine Lagerung mit Kühlsystem ist ja ohne Strom nicht möglich. Und wenn man zu viele Menschen anfällt, ist das doch auch auffällig....ich verstehe das nicht."
Eves Augen huschten an Harry vorbei zur Treppe und in dem Moment ertönte eine tiefe, angenehme Stimme: „Das, mein lieber Junge liegt daran, dass meine Blutkonserven lebendig sind." Harry drehte sich herum und blickte den Mann an, der nach dem Menschenmädchen die Treppe heruntergekommen war.
.-.-.-.-.
Wenn euch interessiert, wo sich die drei gerade aufhalten, dann gebt doch mal die Adresse aus dem Titel bei Google Maps ein und lauft auf dem virtuellen Weg einmal die Straße entlang. An der Ecke "Old Compton Street/Frith Street" werden ihr das Eckhaus mit dem roten Laden im Erdgeschoss, über dem DODO steht, finden.
Viel Spaß!
DU LIEST GERADE
Umzug mit Folgen II
FanfictionTeil zwei von Umzug mit Folgen! Das Jahr 2175. Es gab Krieg. Amerika hat gegen Russland gekämpft. England kam durch den Brexit noch ganz gut weg, aber die Menschheit hat sich zurückentwickelt. Sie werden abergläubisch und das ist für die Vampire in...