32. Regentropfen

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Louis:

Der Zug fuhr ratternd weiter Richtung Süden und Louis hatte sich in den letzten Stunden kaum bewegt.

Das Gesicht an der kalten Scheibe angelehnt, hatte er dagesessen und hinaus auf die vorbeiziehende Landschaft gestarrt. Zayn saß ihm gegenüber und hatte die Augen geschlossen. Vielleicht gab er vor zu schlafen, um einer Unterhaltung mit Liam zu entgehen. Dieser hatte sich auf den Platz direkt an der Tür gesetzt und blickte ins Nichts. Ob er nachdachte?

Irgendwann waren die älteren Herrschaften ausgestiegen und ihre Plätze waren von zwei jungen Erwachsenen eingenommen worden. Louis' Kehle brannte vor Durst und das jugendlich riechende Blut der beiden machte es nicht wirklich besser. Während sein Körper ihm deutliche Signale schickte, dass er Hunger hatte, war ihm gleichzeitig überhaupt nicht nach Trinken zumute. Mittlerweile war es ihm nicht mehr möglich, zu sagen, wie lange er schon von Harry getrennt war, doch so langsam setzte ihm diese Trennung und die Ungewissheit zu. Er hatte keinen Hunger und fühlte sich antriebslos. Draußen war es immer noch dunkel und in ihrem Abteil brannte kein Licht. Ob es richtig war, nach London zu gehen? Was, wenn Harry doch nicht dorthin gegangen war?

„Louis?", flüsterte Liam und lenkte ihn gerade noch rechtzeitig davon ab, noch tiefer in den Sumpf aus Trauer um Harry zu versinken. Er hob den Kopf und sah, dass Liam ihn mitleidig anblickte. „Wir werden Harry schon finden, da bin ich sicher", sagte er aufmunternd und lächelte matt. Seine dunklen Augen huschten kurz zu Zayn hinüber, als versuchte er abzuschätzen, ob er wirklich schlief, oder nur so tat als ob. Zayn nuschelte etwas und rutschte dann in seinem Sitz noch ein wenig tiefer hinunter, sodass sein Kinn auf die Brust gedrückt wurde. Liam hob den Kopf und wandte sich wieder Louis zu, dann sagte er leise: „Er scheint irgendwie wütend auf mich zu sein...ist es wegen Elisabeth?" Am liebsten hätte Louis verächtlich geschnaubt, doch weil in ihrem Abteil außer ihm und Liam alle schliefen, verkniff er es sich und warf ihm stattdessen einen ungläubigen Blick zu: „Diese Frage eben war hoffentlich ein Scherz, oder? Du hast dich in Blackness Castle wie der letzte Vollhonk aufgeführt. Dass du der Kaiserin nicht noch auf den Knien nachgerutscht bist hat gerade noch gefehlt", sagte Louis verächtlich. „Das ist übrigens auch meine Meinung, nicht nur die von Zayn", fügte er rasch noch hinzu und bemühte sich, leise zu sprechen. Liam senkte den Blick und biss sich auf die Lippe. „Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist. Sie hat mich einfach umgehauen...dagegen konnte ich nichts tun."

„Du hast ihm damit ziemlich wehgetan, da bin ich sicher", sagte Louis ehrlich und blickte in Liams dunkel Augen. Er wünschte sich irgendwie, so etwas wie Reue darin erkennen zu können, doch Liam blinzelte einfach nur ein paar Mal und nickte dann langsam. „Ich dachte, da wir schon so lange kein Paar mehr sind, dass es kein Problem darstellt, wenn ich ...nunja Jemand anderen interessant finde", gab er zu und Louis schüttelte ungläubig den Kopf. „Liam, du bist als Mensch 27 Jahre alt geworden, während Zayn und ich 'nur' 18 sind. Wieso hast du nicht soviel Erfahrung, um zu bemerken, dass es Zayn scheinbar doch nicht ganz so egal war, wie er behauptet hat? Man Liam..." Bei diesen Worten seufzte Liam und zog die Beine auf den Sitz, umklammerte sie mit den Armen und blinzelte Louis unschuldig an, dann gestand er: „Du wirst es mir nicht glauben, aber der Gedanke ist mir einfach nicht gekommen."

„Dir ist nicht zu helfen...echt nicht", seufzte Louis und lehnte die Wange wieder an die kalte Fensterscheibe, während er sich mit der Hand über die Kehle strich, die noch immer brannte, als hätte er wochenlang nichts getrunken. Liam setzte sich neben ihn und kramte in seinem Rucksack. Das Klimpern von Glas war zu hören und er zog eine Flasche aus dunklem Glas hervor: „Ich hab noch was abgefüllt, bevor ich gegangen bin...willst du was?", fragte er, doch Louis schüttelte den Kopf. „Bist du sicher? Ich sehe doch, dass du Durst hast."

„Ist egal. Mir ist nicht nach Trinken zumute. Erzähl mir lieber mal, woher du die Idee hattest, uns doch zu begleiten."

„Ja Liam, das würde mich auch mal interessieren." Zayn war wach und zog sich am Gepäcknetz wieder in eine aufrechte Position, blickte Liam unergründlich an und verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Finger trommelten ungeduldig auf seinen Oberarm. Liam, überrascht von der Aufforderung, wirkte nervös und wich Zayns Blick aus. Doch als er Louis Blick begegnete, der ihn genauso erwartungsvoll anblickte, sah er auf seine Hände hinunter.

„Ich hatte Angst, dass ich euch nicht wieder finde, wenn ihr einmal gegangen wärt. Ich versuchte, Elisabeth meine Bedenken nahezulegen, doch sie war gar nicht daran interessiert und da wurde mir schlagartig klar, dass meine Zuneigung, oder Schwärmerei – nennt es, wie ihr wollt – nicht erwidert wird. Also habe ich sie darum gebeten, ein wenig Proviant abfüllen zu dürfen und meine Sachen gepackt." Ungläubig zog Zayn die Augenbrauen hoch und sah Louis an. Seine Lippen hatten sich zu einem spöttischen Lächeln verzogen. „Und sie hat dich einfach so gehen lassen? Wieso glaube ich dir das nicht?" Herausfordernd erwiderte Liam den Blick und es schien das erste Mal seit langer Zeit zu sein, dass sich Liam und Zayn offen und lange in die Augen blickten. Keiner von beiden gab nach, sie hielten beide dem Blick stand. „Elisabeth ist nur an sich selbst interessiert. Als ich sagte, dass ich mich doch dazu entschieden habe, euch nachzulaufen, hat sie lediglich mit den Schultern gezuckt. Zwar war das eine durchaus ernüchternde Erkenntnis, aber besser ich erfuhr es sofort und konnte euch noch folgen. Also habe ich meine Sachen zusammengesucht und bin euch nachgelaufen."

„Wie rührend", kam es von Zayn, der demonstrativ gähnte und sich wieder in seine bequeme Position hinabsinken ließ. Natürlich musste er Liams Geschichte mit einem solchen Kommentar abtun. Er war viel zu stolz, um zuzugeben, dass es ihn freute, seinen Exfreund wieder in seiner Nähe zu haben.

Draußen begann es zu regnen und die Tropfen klatschten gegen die Fensterscheibe des Abteils. Blitze zuckten über den Himmel und erhellten die Umrisse dunkler Bäume, die an der Bahnlinie wuchsen.

Irgendwo da draußen war Harry.

Hoffentlich war er gerade nicht im Regen unterwegs, dachte Louis und fuhr mit dem Finger einen Regentropfen nach, der auf seinem Weg die Scheibe hinunter, immer mehr Tropfen aufnahm und dadurch größer wurde. Die Regentropfen schienen einander anzuziehen, sodass sie sich sofort miteinander verbanden und eins wurden, auch wenn sie sich nur minimal berührten. Wieso zogen er und Harry sich nicht auf dieselbe Art und Weise an? Dann hätten sie sich im Nu wieder gefunden. Der Gedanke versetzte Louis einen Stich und er schluckte. Ein Stechen an den Augenwinkeln löste eine Träne und sie lief seine Wange herunter. Irgendwie hatte er immer gedacht, dass man wie diese Regentropfen war, wenn man füreinander bestimmt war – man fand immer zusammen, egal wo man sich gerade befand. Aber anscheinend hatte er sich geirrt.

Liam und Zayn hatten zusammengefunden, obwohl sie sich nicht einmal sonderlich angestrengt hatten und saßen doch wieder hier im selben Zugabteil. Aber er und Harry? Waren sie vielleicht doch nicht so sehr füreinander bestimmt, wie sich das Louis gerne gewünscht hätte? Wenn er Harry nicht in London finden würde, dann wäre das der Beweis dafür, dass er sich ihre innige Verbundenheit vielleicht nur eingebildet hatte und sie in Wahrheit gar nicht füreinander gemacht waren.

Liam hatte seine Tränen gesehen und wollte einen Arm um Louis' Schulter legen, doch er schüttelte sie ab, machte sich ganz klein und versuchte den Schmerz zu ignorieren. Zu dem Stechen in der Kehle war nun auch noch ein gebrochenes Herz gekommen.

.-.-.-.

Der arme Louis -_-

Umzug mit Folgen IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt