27. Linlithgow Station

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Louis:

Verdattert zuckte Zayn kurz zusammen, schlang dann aber die Arme um Louis und erwiderte die Umarmung. "Du musst dich dafür nicht bei mir bedanken. Es war ja kaum auszuhalten, wie du gelitten hast." sagte er und schob ihn dann wieder von sich. "Los, hauen wir ab. Ich will keine Sekunde länger in der Nähe dieses Schlosses sein."

Ohne einen Blick zurück, gingen sie in Richtung Strand, kletterten die Felsen an der Brandung hinunter und schlugen den Weg ein, über den sie hergekommen waren.

Es war bereits Nachmittag und der Wind vom Meer zerzauste ihnen die Haare. Ein Fischerboot schaukelte weit draußen auf den Wellen, ansonsten war weit und breit Niemand zu sehen. "Haben wir Proviant dabei?", fragte Louis irgendwann und Zayn breitete lachend die Arme aus: "Siehst du mich einen Rucksack schleppen? Liam hatte einen dabei aber der ist ja...naja...nun, jedenfalls haben wir nichts mitgenommen. Aber wir werden schon was finden." Er drehte sich einmal um sich selbst und fügte dann hinzu: "Erstmal müssen wir einen Bahnhof finden."

Im nassen Sand zu laufen war anstrengend und Louis war froh, als sie endlich eine Treppe erreichten, die sich über einige Steinbrocken hinauf zu einer Wiese wandt. Ein zerfallenes Fischerhäuschen befand sich auf halber Höhe. Die Fenster waren eingeschlagen und Holz und Stein durch die salzige Meeresluft verwittert. "Hier wohnt sicherlich Niemand mehr. Lass uns doch mal sehen, ob wir eine Tasche oder sowas finden können. Vielleicht können wir uns irgendwo nochmal Blut abfüllen", schlug Louis vor und drückte die verrostete Klinke herunter. Es war abgeschlossen. Er legte eine Hand an die Stirn und spähte durch ein staubiges Fenster. "Da drin steht nur Schrott. Wieso schließt man sowas ab?" 
"Ich mach das", bot Zayn an, trat einen Schritt zurück und trat die Tür kurzerhand ein. Das Holz war so morsch, dass es knackend zusammenfiel und nur noch die eisernen Türangeln im Rahmen hängen blieben. Zayn kletterte über die Reste der Tür in die Hütte hinein und Louis folgte.

Hier drin war es zugig und es roch nach feuchten Steinwänden und verschimmeltem Holz. In einem Regal standen mehrere Einmachgläser, die so verstaubt waren, dass man den Inhalt nicht mehr erkennen konnte. Auf einem Tisch standen mehrere Flaschen, die einen Schnappverschluss besaßen und Louis nahm sie genauer unter die Lupe. Wenn man sie auswusch, könnte man sicherlich Blut darin abfüllen. Vorsichtig nahm er eine Flasche in die Hand und roch daran. Scheinbar enthielt sie nur abgestandenes Wasser und er kippte es kurzerhand auf den Fußboden. "Schau mal, die können wir mitnehmen", sagte er zu Zayn, der sich gerade auf die Zehenspitzen gestellt hatte und einen Leinenrucksack von einem Schrank zog. Zusammen mit dem Rucksack fielen noch ein paar Korken, ein Metallstück und mehrere Spinnen herunter, doch das kümmerte sie nicht. Nachdem der Rucksack ausgeklopft worden war, verpackten sie die Flaschen darin und Zayn warf ihn sich über die Schulter. "Bei der nächsten Gelegenheit machen wir das sauber. Los, lass uns von hier verschwinden."

Im Laufe des Nachmittags brachten sie immer mehr Abstand zwischen sich und Blackness Castle. Sie hielten sich auf einer Straße Richtung Süßen und passierten Örtchen, die keine Namen trugen und kamen am Abend in Linlithgow an. Auch hier standen viele Häuser leer, doch das Städtchen wirkte gepflegt und schien über einen Bahnhof zu verfügen. Louis fiel auf, dass Zayn kaum merklich langsamer ging, je näher sie dem Bahnhof kamen. Ob er vielleicht doch hoffte, von Liam eingeholt zu werden?

Der Bahnhof hier wirkte unscheinbar und hätte genauso gut auch ein Schulgebäude sein können. Die Mauern aus hellem Stein hatten wenige Fenster und neben einer schmalen Tür, die in einen kleinen Eingangsbereich führte, hing ein Glaskasten mit einem Fahrplan. Das wenige Tageslicht reichte den beiden Vampiren noch aus, um die Uhrzeiten der Züge lesen zu können, doch ein Mensch hätte sich mit einem Streichholz Abhilfe schaffen müssen. Wie sie einem Plan entnehmen konnten, gab es nur zwei Gleise. Ein Zug fuhr Richtung Norden, der andere nach Süden. Da es wenig Treibstoff gab, gab es nur alle eineinhalb Stunden eine Verbindung, die sie nehmen konnten. "Hast du Geld dabei? Der Zug geht in einer Stunde", fragte Zayn und Louis kramte in seinen Hosentaschen. Er hatte noch eine 5-Pfund Note und ein wenig Kleingeld dabei. Ob das reichte war jedoch fraglich. Sie waren lange nicht mehr mit der Bahn gefahren und daher nicht über die aktuellen Preise informiert. "Drinnen gibt es einen Schalter. Ich geh mal rein und erkundige mich", bot Louis an, schob das Geld zurück in die Tasche und ging zum Ticketschalter, der sich neben der Wartehalle im Gebäude des Bahnhofes befand.

Vor dem kleinen Glasfensterchen hatte sich eine kurze Schlange gebildet und Louis stellte sich brav hinter einem Mann mit einem Koffer an. Vor dem Mann stand eine Mutter mit einem kleinen Jungen, dem sie gerade ein Taschentuch reichte. "Halte dir das unter die Nase und lege den Kopf in den Nacken, dann müsste es gleich aufhören zu bluten, mein Schatz", sagte sie und beinahe wie aufs Stichwort, drang der metallische Geruch von Blut an Louis Nase. Rasch versuchte er durch den Mund zu atmen und wandte den Blick von dem Jungen ab, der ein wenig außerhalb der Reihe stand und sich konzentriert das Taschentuch gegen die Nase drückte.

Louis kniff die Lippen zusammen und versuchte sich abzulenken, indem er den Blick auf eine große Uhr heftete, die an der Stirnseite des Raumes hing, aber egal, wie sehr er sich auch konzentrierte, in seinem Kopf gab es nur einen Gedanken.

Hunger!

Obwohl sie bei Elisabeth genug Blut bekommen hatten, wurde Louis das Gefühl nicht los, dass es nicht so lange anhielt, wie Tierblut. Dass die Kaiserin ihnen Menschenblut aufgetischt hatte, war ihnen beim ersten Schluck klar gewesen. Man schmeckte den Unterschied einfach zu deutlich. Menschenblut sättigte zwar schneller, als das von Tieren, hielt allerdings nicht so lange an und man brauchte schneller Nachschub. Und dieser Nachschub befand sich zum Greifen nah, doch Louis konnte jetzt nicht einfach einen kleinen Jungen anfallen. Damit würde er sich und Zayn sofort verraten und das durfte er nicht. Mühsam lenkter er seine Gedanken zu Harry, malte sich aus, dass er vielleicht ebenfalls nach London gegangen sein könnte und überlegte, wie ihr erstes Zusammentreffen wohl ablaufen würde. Vor seinem geistigen Auge tauchte das Gesicht seines Freundes auf und verdrängte den blutenden Jungen aus seinem Kopf.

Glücklicherweise war die Mutter schnell an der Reihe und als sie ihre Karte gekauft hatte, verließ sie zusammen mit ihrem Kind das Bahnhofsgebäude. Nachdem auch der Mann mit dem Koffer sein Ticket gekauft hatte, trat Louis an das kleine Fensterchen – sein Hals kratzte noch immer unangenehm. "Hallo, ich brauche zwei Tickets nach London", sagte er zu dem alten Bahnbeamten, der gebückt auf einem niedrigen Stuhl saß und die Tickets von Hand schrieb. "Das macht 5,90£", kam es von dem Beamten und Louis schob sein letztes Geld unter der Glasscheibe hindurch. Mit den Tickets in der Hand, verließ er schnell wieder das Gebäude, doch als er draußen ankam musste er mit Schrecken feststellen, dass Zayn nicht mehr da war.

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Oops, wo ist Zayn?

Umzug mit Folgen IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt