31. Aufbruch nach London

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Adam ging vor Harry auf und ab und blickte ihn immer wieder kurz an, sagte jedoch nichts.

Das wirkte nicht gerade beruhigend, denn Harry hatte den Eindruck, als sammelte der Vampir eine Menge an, bevor er zu platzen drohte. Als er dann endlich stehen blieb und auf ihn hinuntersah, sagte er leise: „Genau DAS habe ich damit gemeint, als ich sagte, ich hätte durchaus mehr Lebenserfahrung als du. In 400 Jahren kämst du nie wieder auf die Idee, Menschen zu verstecken, wenn du wüsstest, dass sie auf der Jagd nach uns sind."
„Tut mir leid, ich wollte doch nur, dass sie denken, du seist nicht hier und wieder gehen. Dann hätten wir hier bleiben können...", entschuldigte sich Harry und krächzte immer noch. Adam hatte ihn so fest gehalten, dass er seine Hand praktisch noch immer an seinem Hals spüren konnte. Wäre er ein Mensch gewesen, hätte Adams Griff ihn erwürgt, da war er sicher. Eve senkte den Blick hinunter auf die Leiche, die noch immer auf dem Fußboden lag und sagte sachlich: „Nun, nach dieser Aktion ist es uns heute Nacht nicht mehr möglich, zu bleiben. Wenn die drei nicht zurückkommen, wird man nach ihnen suchen und hier genug Spuren finden." Harry fragte sich, ob man die Leichen nicht fortschaffen und das Blut wegwischen könnte, um alle Spuren zu verwischen, doch dann fiel sein Blick auf die Holzvertäfelung. Adam hatte so schnell angegriffen, dass Harry nicht genau gesehen hatte, wie es von statten gegangen war, doch den tiefen Kratzern im Holz nach zu schließen, hatte er sich wohl an den Wänden abgedrückt, um noch mehr Kraft zum Angriff zu haben. Diese Kratzer waren unmöglich zu beseitigen, es sei denn, sie rissen die ganze Wand heraus.

Jeder von ihnen schien seinen eigenen Gedanken nachgehangen zu haben, denn nach einer Weile sagte Eve abschließend: „Lasst uns die Sachen zusammenpacken und von hier verschwinden, es hat doch keinen Sinn, dass wir hier bleiben." Sie sah abwechselnd zwischen Harry und Adam hin und her. Harry wagte es nicht zu entscheiden und sah den schwarzhaarigen Vampir ebenfalls erwartungsvoll an. „Na gut, dann nichts wie weg hier", sagte er und verschwand augenblicklich aus dem Zimmer. „Harry, hol deine Sachen aus dem Turmzimmer, dann gehen wir!", rief er aus der Eingangshalle und seine Stimme klang erschreckend laut in dem leeren Haus wider. Rasch rappelte sich Harry auf und stolperte hinaus in die Halle und die Treppen hinauf bis ins Turmzimmer.

Zum Glück hatte er seinen Rucksack nicht ausgepackt und so vergewisserte er sich nur, dass das Foto von Louis noch da war, warf sich den Rucksack dann über die Schulter und kletterte zügig die Leiter wieder hinunter.

Adam wartete mit Eve am Fuß der Treppe und blickte Harry ausdruckslos an, als er auf sie zukam. „Es tut mir wirklich Leid, bitte sei nicht mehr sauer", sagte Harry und setzte einen Blick auf, von dem er hoffte, dass er Adam überzeugte. Sie lieferten sich ein Blickduell, dann wurde in den grauen Augen des Vampirs ein weicherer Ausdruck sichtbar und er seufzte: „Ich bin nicht mehr böse. Aber in Zukunft möchte ich dich bitten, keine Alleingänge mehr zu veranstalten, solange wir drei gemeinsam unterwegs sind. Sprich solche Aktionen vorher bitte mit uns ab." Harry nickte rasch und musste zugeben, dass er erleichtert darüber war, dass Adam die Entschuldigung angenommen hatte. „Hast du auch nichts vergessen?", fragte Eve sicherheitshalber noch einmal nach, bevor sie endgültig wieder hinaus auf die kleine Vortreppe traten und über den weichen Rasen davon gingen. „Ich hatte nicht viel dabei und nichts davon ausgepackt. Keine Sorge", gab Harry zurück und blickte nochmal über die Schulter zu Oxenfoord Castle. Ruhig und erhaben lag es da und die hellen Holzrahmen der Fenster reflektierten das Licht des Mondes.

„Sieht beinahe aus, wie Manderley", seufzte Eve, die ebenfalls zurückblickte, doch Adam schnaubte nur: „Manderley ist ein fiktives Gebäude, Liebling" und versuchte seine Partnerin wegzuziehen, doch sie blickte weiter verträumt auf das Herrenhaus zurück. „Das ist mir gleich. Ich finde trotzdem, dass es so aussieht, wie Manderley." Harry hatte keine Ahnung, wovon die beiden sprachen, doch der Name den Eve genannt hatte, gefiel ihm gut und nachdem sie dann doch einigen Abstand zwischen sich und das Gebäude gebracht hatten, fragte er: „Was ist Manderley?" Eve lächelte und stupste Adam an. „Siehst du, ihn interessiert es auch", neckte sie ihn und wandte sich dann Harry zu: „Nun, als Vampir hat man ja Zeit genug, die schönsten Bücher zu lesen und ich habe 1938 ein Buch gefunden, das mich so gefesselt hat, dass ich es kaum aus der Hand legen konnte. In diesem Buch kommt ein Herrenhaus vor, das der Hauptperson des Buches sehr bedrohlich gegenüber steht und dieses Haus heißt Manderley. Ich habe es schon immer geliebt, weil es etwas ausstrahlt, dass sehr geheimnisvoll ist."
"Als hätten wir nicht schon genug Geheimnisse in unserem Leben", setzte Adam nach, als sie an einen Hügelwall kamen, auf dessen Scheitelpunkt sich Bahngleise befanden. Der Mond verlieh den Schienen einen hellen Glanz, sodass es aussah, als würden zwei schmale Streifen von flüssigem Silber auf der Erde liegen. Harry sah den Schienen nach, die sich in der Ferne verloren und fragte: „Wo wollen wir eigentlich hin?"

„Nach London", antwortete Adam und blickte Richtung Süden. Harrys Herz hätte sicherlich einen Hüpfer gemacht, wenn es gekonnt hätte, stattdessen zog es voller Vorfreude in seinem Bauch. Er hatte zweimal schon vom Globe Theater geträumt, das musste bedeuten, dass er nach London kommen sollte und dort hoffentlich endlich wieder auf Louis traf. „Wieso gehen wir denn nach London? Das passt mir nämlich ganz gut, ich habe nämlich jetzt schon zweimal vom Globe geträumt. Sicherlich ist das ein Zeichen, dass ich nochmal dorthin zurückkehren soll", erzählte Harry begeistert und Eve lächelte: „Dann hat mein Tip mit dem Schlafen ja doch etwas gebracht."
„Wir gehen nach London, weil wir dort Freunde haben, die uns sicherlich für eine Weile aufnehmen werden. Sie haben Vorräte und Räumlichkeiten, um uns Unterschlupf geben zu können. Diese Vampire dort, sind etwa so alt wie wir, oder noch älter", erklärte Adam und ging zwischen den Schienen entlang. Der Kies knirschte unter seinen Stiefeln.

Die Bahnstrecke wurde ihr Reiseweg und während das glänzende Silber unter ihnen hinwegflog, dachte Harry darüber nach, was das wohl für Freunde waren, die Adam und Eve in London hatten. Sonderlich scharf darauf, Vampiren zu begegnen, der noch älter als Adam waren war Harry zwar nicht gerade, aber die Aussicht, dem Globe und damit vielleicht auch Louis ein wenig näher zu kommen, stimmte ihn optimistisch.

Und so liefen die Drei hintereinander her, hatten den Blick wachsam auf die Erde gerichtet und bewegten sich immer weiter nach Süden.

Züge fuhren auf dieser Strecke nur äußerst selten und sie mussten nur zweimal die Schienen freimachen, um einer Dampflokomotive Platz zu machen, die ruckelnd und Rauch ausspuckend ebenfalls nach Süden unterwegs war und mindestens 12 Waggons hinter sich herzog.

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Das Kapitel widme ich Merliwa, die mich immer wunderbar unterhält :-)

LG

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