"Ich habe schon immer geschrieben. Viele Jahre lang war meine Eve die einzige, die meine Werke lesen durfte, weil ich nicht den Mut hatte, es zu veröffentlichen. Irgendwann drängte sie mich jedoch dazu, denn sie war davon überzeugt, dass ich Talent hatte. Also beschlossen wir, mir einen falschen Namen zu geben und machten uns auf die Suche nach einem geeigneten Kandidaten, dessen Geschichte ich als die meinige verkaufen konnte. Wir stießen also auf ein Taufregister – das von dem du gerade sprachst. Der Name Christopher Marlowe klang melodisch und einprägsam und wir beschlossen, herauszufinden, was aus diesem Kind geworden war. Natürlich gab es zu der Zeit wenig Aufzeichnungen und unsere Suche dauerte lange an. Das Kind aus dem Taufregister war mittlerweile ein junger Mann und studierte in Cambridge – das passte alles so hervorragend zusammen, dass wir es kaum glauben konnten. Immerhin sollte ein Schriftsteller ja über eine gewisse Bildung verfügen und Christopher stellte sich als ein schlaues Kerlchen heraus. Eve beschattete ihn jahrelang, wärend ich zu dieser Zeit im Dienste der Königin als Spion in Italien tätig war. Es war ein gut bezahlter Beruf und mir als Vampir konnte ja nichts geschehen – ich ging also kein Risiko ein, mein Leben zu verlieren. In Italien lernte ich die Gegend kennen und schrieb dort die Geschichte von Romeo und Julia, nachdem ich in Verona Gerüchte über zwei verfeindete Familien gehört hatte. Eve ließ mich per Brief immer wissen, was Christopher so trieb: wie sich herausstellte, war er Dichter geworden – äußerst passend für mein Vorhaben, etwas unter seinem Namen zu veröffentlichen. Wenn er meine Geschichten fand, würde er den Ruhm einheimsen und sich sicherlich nicht darüber ärgern, dass ich seinen Namen genutzt hatte.
Das zumindest war mein Plan.
Die Jahre gingen ins Land und ich war bald bereit mein erstes, massentaugliches Stück zu veröffentlichen. Zuvor hatte ich schon einige kleiner Schriften drucken lassen, doch sowohl Eve, als auch ich waren der Meinung, dass Romeo und Julia ein wirklicher Erfolg würde. Als die Sache immer konkreter wurde, verließ mich allerdings der Mut und ich hatte Angst, meine Schrift unter Marlowes Namen zu publizieren. Würde es ein Erfolg werden, dann würde sicherlich auch der Dichter, dessen Namen ich gestohlen hatte, von mir hören. Plötzlich war ich mir nicht mehr ganz sicher, ob er wirklich so begeistert davon gewesen wäre, dass ich seinen Namen gestohlen hatte. Allein der Gedanke, aufzufliegen, machte mir Angst und ich suchte einen jungen Autoren auf, der im selben Alter war, wie Marlowe. Sein Name war William Shakespeare und Eve hatte auch seinen Werdegang in den letzten Jahren verfolgt. Sie sagte mir, dass er durchaus Talent zum Schreiben habe, ihm allerdings das gewisse Etwas fehle und ich ihn einfach bitten sollte, meine Schrift unter seinem Namen herauszubringen. Jetzt im Nachhinein klingt es lächerlich, dass ich mir einen falschen Namen zulegte, nur um dann unter einem weiteren falschen Namen zu publizieren...
Wir suchten also William auf: er war damals ein junger Schauspieler, der für seine Theatergruppe kleinere Stücke schrieb und auch selbst auf der Bühne stand. Er war begeistert von meinem Stück und willigte ein, es herauszubringen. Sicherheitshalber stellte ich mich ihm als Marlowe vor, um meine wahre Identität zu verbergen und er kaufte mir alles ab. Damals gab es keine Bilder von Menschen und er konnte nur nach meinem Namen suchen, sollte er meine Aussage kontrollieren wollen. Hätte er das getan, wäre er auf den Dichter gestoßen und meine Erklärung wäre glaubhaft gewesen. Doch William widmete seine Zeit lieber dem Theater und glaubte einfach alles, was ich ihm erzählte. Er war leicht zu überzeugen.
Was soll ich sagen: Romeo und Julia schlug ein, wie eine Granate und William wurde gefeiert. Ich freute mich, dass mein Werk so gut ankam, doch die Art, wie William meinen Triumph auskostete, missfiel mir und ich schrieb nur noch wenig für ihn. Meine anderen Werke ließ ich dann unter Marlowes Namen veröffentlichen, denn ich hatte wieder den Mut dazu und war durch den Erfolg deutlich risikofreudiger geworden.
Jahrelang ging das alles gut.
Bis Marlowe mir irgendwann auf die Schliche kam. Mein Stil war anders als der seine und es ärgerte ihn, dass man ihm den Namen gestohlen hatte. Außerdem kamen meine Werke besser an, als seine eigenen und er beschloss wohl herauszufinden, wer ich war. Eve heftete sich an seine Fersen, spionierte ihn aus und wie sich herausstellte, war der junge Dichter kurz davor, ein Statement an die Öffentlichkeit herauszugeben, das erklärte, dass einige Werke nicht von ihm waren. Das konnte und wollte ich nicht zulassen, denn ich müsste mich zu erkennen geben und als Vampir war das noch nie sonderlich angenehm – sicherlich würde man meine Geschichte wissen wollen und die würde mir kein Mensch glauben.
Marlowe musste also verschwinden.
Sicherlich weißt du auch, dass Christopher Marlowe "offiziell" bei einem Streit um eine Rechnung in einem Pub erstochen wurde. Nun, den Streit haben Eve und ich angezettelt. Die Details lasse ich weg, aber das Resultat ist dasselbe. Marlowe starb in der Nacht des 1 Juni 1593.
Nun, da ich seinen Namen nicht mehr benutzen konnte, hatte ich natürlich ein Problem. Wie sollte ich meine weiteren Werke unters Volk bringen? Nur widerwillig ließ ich mich von Eve dazu überreden, doch nochmals mit William zu kooperieren. Da er mich aber als Person bereits gesehen hatte, setzten wir Eve als Mittelsmann ein. Sie überbrachte meine Werke an William und der veröffentlichte sie unter seinem Namen. Es war nicht zu leugnen, dass meine Stücke um Welten besser waren, als seine eigenen und er wurde immer fordernder und zahlte immer weniger Geld an mich aus, obwohl er mit den Schriften und den Theateraufführungen, unglaublich reich wurde. Naja, zumindest verdiente er für die damalige Zeit sehr gut.
Vielleicht verstehst du jetzt, wieso ich mich so gefreut habe, als ich hörte, dass William endlich gestorben war. Es hatte mich schon unheimlich geärgert, als ich hörte, dass auch er zu einem Vampir geworden war, denn ich hoffte immer, ihn spätestens dann los zu sein, wenn er starb. Doch den Gefallen tat er mir nie und so hatte ich nie meine Genugtuung dafür, dass er so großkotzig und arrogant mir gegenüber war. Wenn wir deine Freunde finden Harry, dann muss ich dem jungen Mann danken, der William getötet hat. Das ist das größte Glück in meinem Leben gewesen – wenn man Eve nicht mitzählt."
Harry stand der Mund offen und er klappte ihn schnell wieder zu, als ihm das bewusst wurde. Sein Kopf brummte vor so vielen Fakten und wieder einmal wünschte er sich das Internet zurück, um nocheinmal Marlowes Geschichte nachlesen zu können. Doch so musste er Adam wohl oder übel glauben. "Habe ich dich überzeugt?", fragte der Vampir und legte fragend den Kopf schief. "Jaaaa ich denke schon...ich bin jetzt zwar ein kleines bisschen verwirrt, weil ich so viel Information nicht so schnell verarbeiten kann, aber ich glaube dir", sagte Harry und lehnte den Rücken gegen die kalte Steinwand.
Adam war Marlowe war Shakespeare – was für Neuigkeiten!
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Umzug mit Folgen II
FanfictionTeil zwei von Umzug mit Folgen! Das Jahr 2175. Es gab Krieg. Amerika hat gegen Russland gekämpft. England kam durch den Brexit noch ganz gut weg, aber die Menschheit hat sich zurückentwickelt. Sie werden abergläubisch und das ist für die Vampire in...