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Taehyung

Zum Lied, welches im Radio gespielt wird, mitsummend fahre ich die belebte Strasse entlang, zu Jungkooks Wohnblock. Die Schule ist gerade zu Ende und ich bringe ihm die Hausaufgaben.

Obwohl eigentlich ist das eine ziemlich dumme Ausrede. Zwar habe ich die Aufgaben, die der Junge machen muss, wie die ganzen restlichen Tage der Woche, aber eigentlich möchte ich ihm nur näher kommen.

Er soll mich nicht ständig abweisen, er soll endlich offener werden und mit mir reden. 

Und damit er endlich versteht, dass ich ihm nicht schaden will, habe ich jeden Tag, den er gefehlt hat, im Sekretariat seine Aufgaben abgeholt, da es sonst niemand tun wollte, sie ihm gebracht und wollte mit ihm etwas Zeit verbringen. Jungkook allerdings scheint dem Ganzen mehr als abgeneigt. Bei den ersten paar Besuchen ist er immer an die Tür gekommen und hat sich die Dinge von mir erklären lassen, doch schliesslich hat sein Vater die Aufgaben entgegen genommen oder ich habe sie in den Briefkasten werfen müssen. Er will schlichtweg nichts mit mir zutun haben.

Mir ist das egal. Ich möchte seine Freundschaft. Er kann sie noch so sehr verweigern, aber jedes Mal, wenn ich in seine Augen sehe, erkenne ich einen Funken Freude, egal wie sehr es abstreitet. 

Ich parke vor dem Haus und greife mir meinen Rucksack vom Beifahrersitz, bevor ich aussteige und auf den Wohnblock zulaufe. Relativ schnell bin ich oben im dritten Stock angelangt und habe geklingelt. Wie zu erwarten, öffnet mir sein Vater die Tür. "Hallo, Taehyung", begrüsst er mich.

"Guten Tag", lächle ich höflich, "Ist Jungkook hier?"

Sein Vater nickt. "Er schläft aber gerade", erklärt er und ich kann gerade noch so ein Augenverdrehen unterdrücken. "Na ja, die Aufgaben sind ziemlich kompliziert, ich kann sie Ihnen nicht einfach geben. Ich bin mir sicher, er wird sie nicht verstehen", meine ich und lächle gespielt charmant. Der Mann kratzt sich am Kopf und seufzt dann.

"Na gut, aber sag nicht, ich hätte dir nicht gesagt, dass er schläft, wenn er wütend ist", meint er und macht mir Platz, um einzutreten. Ich nicke bloss vage, ziehe mir die Schuhe aus und steuere direkt das Zimmer an, welches wohl das einzige ist, was ich in dieser Wohnung kenne. Ohne zu klopfen drücke ich die Klinke der Tür hinunter und stosse diese auf.

Zu meiner Überraschung ist kein Laut zu hören, bis auf tiefe, regelmässige Atemzüge vom Bett aus - Jungkook schläft wirklich. Verdutzt bleibe ich in der Tür stehen und starre das Bett an. Der Schwarzhaarige hat die Decke von seinem zierlichen Körper gestrampelt und sich zu einer kleinen Kugel zusammengerollt, die Beine nah an seine Brust gezogen, die Arme um sie geschlungen und sein Gesicht an seinen Knien versteckt.

Unwillkürlich muss ich lächeln. Er scheint so friedlich, dass ich es beinahe nicht übers Herz bringe, ihn zu wecken. Allerdings muss ich ihm seine Aufgaben wirklich erklären und dazu muss er wohl wach sein.

Also schliesse ich die Tür leise hinter mir und schleiche zum Bett. Ich zögere ein wenig, bevor ich langsam die Hand ausstrecke und durch seine Haare fahre. "Jungkook?", frage ich flüsternd und streiche wieder durch die seidig weichen, pechschwarzen Haare.

Ein leises Brummeln kommt von ihm, was wohl heissen muss, dass ich verschwinden soll. Ich lache unterdrückt, gebe aber immer noch nicht auf. Meine Hand wandert zu seiner Schulter, die ich sanft drücke, bevor ich seinen Körper etwas rüttle. "Jungkook", wiederhole ich diesmal ein wenig lauter.

"Nur noch ein kleines bisschen", murmelt er mit heiserer Stimme und macht sich noch kleiner, als er es bereits ist. Ich grinse breiter. "Komm schon, Kookie", meine ich und höre sein Seufzen. Ein kleines, gequältes Wimmern kommt von ihm, bevor er langsam seine Beine ausstreckt und sich auf den Rücken dreht. Seine Augen sind noch geschlossen, während er gähnend mit den Händen über sein Gesicht fährt.

Mit Ausnahme von Yiuma habe ich wohl noch nie etwas Süsseres gesehen, als einen verschlafenen Jungkook. Wie kann man diesen Menschen nur so verachten? Ich verstehe meine Schulkameraden nicht. Er würde doch niemandem etwas tun und ist unglaublich sensibel.

Wie kann man nur so böse sein und diesen Menschen für seine Sexualität verachten?

Ich kann nicht anders und muss leise lachen. "Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe", entschuldige ich mich, "Hast du gut geschlafen?" 

Er scheint nun meine Stimme zu erkennen, denn innert Sekunden sitzt er im Bett und starrt mich an. "Was machst du hier?!", fährt er mich harsch an, wobei seine heisere, Morgenstimme dem ganzen einen gefährlichen Unterton verleiht. Leider wird dies durch sein viel zu süsses Auftreten vernichtet. Seine Haare sind unordentlich, sein grosses Shirt ist ihm über eine Schulter gerutscht und er sieht noch immer müde aus, trotz seiner nun aufkommenden Wut über meinen Besuch.

"Beruhig dich mal", erwidere ich, "Dir auch einen schönen Tag!" 

Jungkook schnaubt abfällig. "Du hättest die Aufgaben wie sonst auch meinem Vater geben oder in den Briefkasten werfen können!", knurrt er, "Was willst du also hier?"

"Wieso meidest du mich so?", frage ich rundheraus, "Deswegen bin ich hier. Ich will nicht, dass du dich ständig vor mir versteckst!" Er verdreht die Augen und fährt sich durch die Haare. "Wenn ich dich oder deine Hilfe brauchen würde", beginnt er abfällig und setzt das 'Hilfe' klar in Gänsefüsschen, "Dann würde ich wohl von selbst zu dir kommen. Ich will sie nicht. Und ich will auch deine Freundschaft nicht! Am Ende verletzt du mich sowieso! Denkst du ich bin dumm?! Wetten, du wurdest von irgendjemandem - vermutlich Yoongi - angestiftet, mein Vertrauen zu gewinnen, damit du mir wehtun kannst, wenn es soweit ist? Danke, darauf kann ich gut verzichten! Geh einfach, denn du bist nicht besser, als der ganze Rest, dieses Abschaums! Du bist ganz genau wie sie alle! Denkst du ich würde dich und deine Sorte nicht kennen?!"

Jetzt reicht's. Ich überlege gar nicht, als ich ihn am Kragen seines Schlafshirts packe und so auf die Füsse zerre. Der Jüngere scheint überrascht von der Aktion und gibt ein hilfloses Fiepen von sich, als ich ihn wütend gegen die Wand drücke. "Hör mir mal gut zu, du verdammter Idiot!", zische ich wütend, "Du weisst gar nichts über mich! Gar nichts! Du weisst nicht, wer ich bin, du weisst nicht, wie ich bin, du weisst nichts! Du bist ein sturer Dummkopf! Du weisst nur eines: Du weisst ganz genau, dass ich nicht wie diese Missgeburten bin, du weisst es, verdammt!" Bei den letzten Worten werde ich lauter und schlage mit der flachen Hand gegen die Wand, direkt neben seinem Kopf er zuckt zusammen, schaut mir jedoch weiterhin fest in die Augen, selbst wenn sich Angst in ihnen widerspiegelt.

"Wenn du nicht so arrogant und hohlköpfig wärst", fahre ich knurrend fort, "Dann würdest du meine Hilfe annehmen, aber schön - du brauchst und willst sie nicht? Gut, dann stelle ich sie dir auch nicht länger zur Verfügung! Sieh zu, wie du selbst zurecht kommst, denn anscheinend ist es ja das, was du schon immer getan hast und gut kannst. Andere verletzen, die dir helfen wollen, sie vor den Kopf stossen, wenn sie dir nahe sein wollen, ihre Gefühle mit Füssen treten, weil deine von anderen so behandelt wurden!" Ich lasse von seinem kleinen, fragilen Körper ab und gehe einen Schritt zurück.

Jungkooks dunkle Augen sind vor Panik geweitet, sein Atem gleicht einem Keuchen und sein gesamter Körper zittert wie Espenlaub. "Du bist erbärmlich, weisst du das?", frage ich leise. Er reagiert darauf nicht, als ich ihm einen letzten Blick zuwerfe und aus dem Zimmer gehe. Sein Vater ist wohl im Wohnzimmer, wie ich den Worten eines Moderators aus einem anderen Zimmer entnehmen kann, doch diesmal verabschiede ich mich nicht von ihm, sondern ziehe wortlos meine Schuhe an und verlasse dann die Wohnung.

Stripper [Vkook]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt