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Taehyung

"Na?", begrüsst Hoseok mich, kaum hat er die Tür für mich geöffnet. "Hi", erwidere ich seufzend und trete ein.

"Ich habe mit Yoongi telefoniert", bemerkt er und ich sehe den Älteren verwundert an. "Ihr kennt euch?", stelle ich fest. "Seit der Party, ja", grinst er, doch sein Blick wird sofort wieder ernst. "Du bist ein Idiot!"

"Ich?! Wieso bin ich wieder der Idiot?!", blaffe ich augenblicklich laut und funkle ihn wütend an. "Vor drei Tagen hast du mich vollgeheult, weil er nichts unternimmt. Dann stifte ich Yoongi an, er soll dem Kleinen einen Anschubs geben und das erstbeste, was du tust, ist ihn nicht einmal ausreden zu lassen. Applaus an dich, Tae. Hat dir der Alkohol in der Nacht, die letzten, aktiven Hirnzellen abgetötet?!"

"Also, würdest du tatsächlich mit jemandem sprechen, der dein Vertrauen bei der ersten Gelegenheit wegwirft, um sich selbst zu schützen?", frage ich ihn. Hoseok schürzt die Lippen. "Im ersten Moment würde ich handeln wie du. Schlimmer noch; ich würde diese Person verabscheuen. Wie kann sie mir das antun? Ich würde sie nicht einmal mehr sehen wollen."

"Wieso nimmst du mir mein Verhalten dann übel, Hobi?", möchte ich wissen. Er lächelt schwach. "Ich war noch nicht fertig. Denn, auch wenn ich diese Person erst nicht mehr in meinem Leben wollen würde... wenn dieser Mensch so sehr bereut, was er getan hat, so darunter leidet, so bitterlich um mich weint, wie Jungkook es getan hat, als Yoongi mich angerufen hat, würde ich mich anders entscheiden. Selbst wenn man mich zutiefst verletzt hat."

Ich drehe mich um und steuere das Wohnzimmer an, bevor er noch länger auf mich einreden und das schlechte Gewissen schüren kann. "Taehyung!", ruft er mir nach und folgt mir dann hastig, "Tae, verdammt, er liebt dich doch!"

"Das ändert nichts an der Tatsache, dass er nicht mit mir gesprochen hat, sondern mich lieber verraten hat! Wieso wollte er es mir nicht sagen?! Er liebt mich, wieso hat er mir dann so weh getan?"

"Er hatte Angst! Denkst du in einer Situation wie dieser noch daran, die Hilfe eines anderen zu holen?! Kannst du ihm nicht einen Fehler verzeihen?", diskutiert er weiter. "Nicht, wenn der Fehler praktisch unverzeihlich war."

"Was ist mit Schlägen, Tae?", fragt Hoseok auf einmal und verschränkt die Arme vor der Brust. Überrascht blinzelnd sehe ich ihn an. "Wie bitte?"

"Gelten Schläge, ernsthafte Schläge, mit Verletzungen, gegenüber geliebten Menschen zu unverzeihlichen Fehlern?", will er wissen und legt den Kopf schief. Irgendetwas sagt mir, dass ich hier gerade auf dem besten Weg dazu bin, die Diskussion mit dieser Frage zu verlieren.  "Was soll diese Frage?!", erwidere ich deshalb harsch.  "Beantworte sie mir einfach", verlangt er ruhig.

"Ja, wenn du jemanden liebst, würdest du ihm nicht wehtun wollen", sage ich also und auf seinem Gesicht breitet sich ein triumphierendes Grinsen aus, doch ich verstehe nicht, weshalb. Was hat er mit dem Themawechsel erreicht? Was hat ihm meine Antwort gebracht. "Tatsächlich?", hakt er nach und sein Grinsen wird breiter.

"Worauf willst du hinaus?", frage ich misstrauisch und kneife die Augen zusammen. Er seufzt genüsslich und wartet einige Momente.

"Erinnerst du dich nicht mehr?", will er dann wissen, "Wie du Jungkook geschlagen hast?"

Jetzt verstehe ich, wieso er das gefragt hat. Er hat mir tatsächlich jedes Argument, das für meine Wut und Enttäuschung spricht genommen. Absolut jedes. Egal, was ich antworte, er wird darauf herumhacken, was ich damals getan habe.

Und wie Jungkook es einfach so hingenommen hat, wie er mich erst nicht mehr sehen wollte, aber wie er mir schliesslich eine weitere Chance gegeben hat - und mir so bewiesen hat, was für ein Idiot ich bin, diesem Menschen Schmerzen zugefügt zu haben.

"Wie du die kleine Schramme auf seiner Wange hinterlassen hast?", fährt der Dunkelhaarige fort, als er versteht, dass mir keine Antwort einfällt. Ich schweige weiterhin und er setzt noch einen obendrauf: "Wie du ihn einfach da stehen gelassen hast?"

"Ich habe es verstanden, heilige Scheisse!", fahre ich ihn nun an. Er grinst nur über meine Reaktion und fragt: "Hat er dir verziehen?"

Ich bleibe einige Sekunden still, bevor ich schliesslich leise nicke und "Ja", wispere.

"Wieso denkst du, hat er das, wo es doch unverzeihlich ist, was du getan hast?", fragt Hoseok mich aus. "Ich weiss es nicht...", murmle ich und lasse den Kopf hängen. "Aber ich. Weil er dich liebt. Weil er das beste, das Gute in dir gesehen hat."

"Denkst du, ich liebe ihn nicht?!", frage ich augenblicklich, "Denkst du, ich versuche nicht, das Beste in ihm zu sehen?! Verdammt, ich liebe sogar jeden seiner kleinen, unbedeutenden Fehler! Aber das hat verdammt weh getan! Verstehst du nicht, dass ich Angst habe? Er hat die erste beste Gelegenheit dazu genutzt, mich einfach auszuliefern, wie wird er da die nächste nutzen?! Es ist egal, wie viel Reue er zeigt, was ist, wenn er wieder in diese Situation gelangt? Was dann? Verstehst du diese Zweifel? Verstehst du, dass ich jedes Mal, wenn ich ihn ansehe, daran denke, was er gemacht hat? Wie schwer es mir fällt, dass zu sehen, was ich liebe?"

"Ich verstehe es, aber einem Menschen zu vertrauen, der dir weh getan hat, ist ein Risiko, dass man eingehen muss", erwidert er ruhig. Ich raufe mir die Haare. "Das ist ein Risiko, womit ich nicht leben kann", flüstere ich. Ich hasse mich bald selbst dafür, dass ich es nicht schaffe, den nötigen Mut aufzubringen, ihm wieder zu vertrauen. Aber in meinem Kopf spukt die Sorge an die nächste schlimme Situation im Kopf herum und wie er dann damit umgeht, kann ich nicht wissen. Ich gehe nur davon aus, dass es genauso wird wie jetzt.

"Aber ohne Jungkook kannst du leben?", fragt der Ältere und ich schweige wieder. Für den Moment vielleicht, selbst wenn es mir schwer fällt. Noch viel schwerer ist es, ihn anzusehen und daran zu glauben, dass er denselben Fehler kein zweites Mal macht. Aber auf Dauer? 

"Er ist das Risiko für dich auch eingegangen", merkt Hoseok noch leise an, "Denk darüber nach, Tae."

Stripper [Vkook]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt