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Taehyung

"Tae!", schreit Hansol bereits zum dritten Mal, weswegen ich mich nun doch zu ihm umdrehe. "Was ist los, verdammt?!", fauche ich wütend. Seine blosse Anwesenheit regt mich schon auf.

Der Gleichaltrige kommt keuchend neben mir zum Stehen. "Miu", schnauft er und ich sehe ihn sofort misstrauisch an. Was hat er diesmal mit ihr?

"S-sie steht auf dem Dach, Taehyung!"

Meine  Augen weiten sich. Verdammt, sie stand doch erst Vorgestern bereits auf dem Dach! Ohne weiter darüber nachzudenken, dass ich die nächste Stunde verpasse, renne ich los, zu den Treppen und eile diese hinauf, bis ich ganz oben bei der Tür angekommen bin, die wir Schüler eigentlich nicht öffnen dürfen. Allerdings ist sie nie abgeschlossen und ich weiss nicht, wie oft ich nun schon hier oben stand, ohne erwischt zu werden.

Es ist angenehm auf dem Dach, ruhig, ohne diese Hektik und eigentlich kommt niemand hier hier hinauf, bis auf ich und eben Miu. Ich stosse die Tür auf  und sehe sie bereits. Das Mädchen steht auf der kleinen, Knöchelhohen Brüstung und hat ihr Gesicht schluchzend in ihren Händen vergraben.

"Miu?", frage ich leise, so sanft und beruhigend wie ich kann. Die Braunhaarige zuckt zusammen und weint laut auf. "Miu, darf ich zu dir kommen?", frage ich nach. Sie gibt mir keine Antwort, doch immerhin lässt sie endlich ihre Hände sinken, während sie weiterhin schniefend zu Boden starrt.

Das hinter ihr direkt ein Abgrund ist, versuche ich so gut ich kann zu ignorieren, während ich mit ihr rede. "Miu? Darf ich?", probiere ich es ein weiteres Mal.

Diesmal nickt sie kaum merklich und ich seufze erleichtert, während ich auf die zierliche Gestalt zuhaste. Bevor sie etwas sagen kann, stehe ich vor ihr und schlinge meine Arme um ihre Taille, damit ihr nichts passieren kann. "Komm da runter, Miu", verlange ich leise, während ich meinen Kopf auf ihrer Schulter ablege. Ich höre ihr Schluchzen, als sie ihre Finger in meine Haare krallt und meinen Namen wimmert.

"Miu, bitte", flüstere ich, während ich sie zaghaft ein Stück hochhebe. Da sie sich nicht wehrt, trete ich einige  Schritte zurück und stelle sie dann sanft auf den Boden. Ich löse meine Arme um ihren Oberkörper, stattdessen lege ich meine Hände an ihren Wangen, die nass von all ihren Tränen sind und streiche einige davon weg.

"T-tae", wimmert sie, "Ich k-kann das nicht mehr!" 

"Miu, wir schaffen das, okay?", frage ich leise. Sie schüttelt schluchzend den Kopf. Sie so verzweifelt zu sehen, sorgt beinahe dafür, dass ich selbst weine. 

Sie stand schon so oft hier oben auf dem Dach. So oft wollte sie endlich loslassen. So oft habe ich sie davon abgehalten. Und obwohl es heute genau dasselbe ist, ist es dennoch etwas völlig anderes. Die letzten Male konnte ich sie wieder zu mir holen. Jetzt nicht mehr.

Jetzt hat sie sich selbst aufgegeben. 

Mit einem Keuchen fahre ich aus dem Schlaf. Einen kurzen Moment lang dreht sich alles, bis ich erkenne, wo ich mich befinde. Ich stehe nicht mehr auf dem Schuldach, vor mir ist kein verzweifeltes Mädchen - und das wird auch nie wieder so sein.

Schwer atmend lasse ich mich zurück in die Kissen fallen. Ich hasse diese verdammten Träume. Müde taste ich auf dem Nachttisch nach meinem Wecker und stöhne genervt auf, als ich die Uhrzeit sehe. Es ist gerade mal sechs, ich habe noch eine Stunde zum Nichts tun.

Jeder andere Mensch würde jetzt wieder einschlafen, ich gewöhnlicherweise auch. Doch nicht, nachdem ich diese Träume hatte. Nach ihnen kann ich nicht mehr schlafen. Stattdessen stehe ich auf, greife nach einem T-Shirt, dass ich achtlos über den Stuhl geworfen habe und laufe ins Wohnzimmer

Dort pflanze ich mich auf das grosse, bequeme Sofa, schnappe mir die Fernbedienung und schalte den TV ein. Anschliessend packe ich mir ein grosses Kissen neben mir und drücke es fest gegen meine Brust. Das ist ein komischer Tick von mir, der wohl dadurch entstanden ist, dass ich die Einsamkeit hasse. Ich bin eine Person, die andere Personen um sich herum braucht. Alleine zu sein macht mich wahnsinnig. 

Dadurch, dass ich nicht mit mir alleine klar komme, bin ich auch ein Mensch, der die Nähe anderer nicht nur psychisch, sondern auch physisch sucht. Ich kuschle gerne, weswegen ich, wenn ich niemanden bei mir habe, einfach ein Kissen umarme - so wie jetzt.

Es läuft nichts interessantes, weswegen ich beschliesse, mir die Doku anzusehen, die gerade läuft. Ich weiss nicht einmal, wovon sie berichtet, aber ich brauche etwas, dass diese Leere in mir füllt. Diese Verzweiflung, diese Schuld begräbt. Ein leises Maunzen zu meinen Füssen lenkt meinen leeren Blick vom Fernseher zum Boden. Auf meinem Gesicht bildet sich ein Lächeln, als ich im schwachen Schein des TVs die zierliche Katze erkenne, die nun auf die Couch springt und ihr Köpfchen gegen meinen Oberschenkel reibt. "Na, Yiuma?", lächle ich und streichle über ihr weiches Fell.

Die Katze weiss echt, wann ich sie brauche. 

Eine Weile sitze ich so da, verfolge die Dokumentation, während Yiuma auf meinem Schoss friedlich schläft, bis das Wohnzimmer plötzlich erhellt wird.

"Taehyung?" Überrascht drehe ich den Kopf zur Tür und sehe das verschlafene Gesicht meiner Mutter. "Morgen Mum", meine ich und sehe auf meinem Handy, dass es gleich sieben Uhr ist.

"Wie lange bist du schon hier?", fragt sie mich. "Seit einer Stunde", antworte ich ruhig und schalte den Tv aus, bevor ich mich gänzlich auf das kleine Fellknäuel in meinem Schoss konzentriere. 

"Willst du-"

"Nein, Mum, ich will nicht darüber reden!", unterbreche ich sie sofort und ihre Schritte erklingen. Selbst wenn ich wollte, ich könnte nicht. Noch nicht jetzt, dafür tut es viel zu sehr weh.

Vielleicht werde ich es auch nie können...

Stripper [Vkook]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt